DMW Walter Siegenthaler Preis 2021

Im Mai 2022 wurde der „DMW Walter Siegenthaler Preis“ im Rahmen des 128. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM) an ein Forschungsteam aus Würzburg verliehen. Die Forscher*innen hatten untersucht, welche Vorsorgedokumente Bewohnende von stationären Pflegeeinrichtungen hinterlegt haben und was in Patientenverfügungen festgehalten ist. Die Ergebnisse haben sie 2021 in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift in ihrem Beitrag „Patientenverfügungen von Bewohnenden in Pflegeeinrichtungen – welche Behandlungssituationen und Behandlungsmaßnahmen werden vorausverfügt?“ publiziert.

In die Studie sind Daten aus 13 stationären Pflegeeinrichtungen in und um Würzburg eingeflossen. Der Soziologe Malte Klemmt, die Psychologin Professorin Dr. Silke Neuderth und die Rechtswissenschaftlerin Professorin Dr. Tanja Henking von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt haben in den Einrichtungsakten hinterlegte Dokumente erfasst und ausgewertet. Dabei haben sie eng mit der Medizinerin Professorin Dr. Birgitt van Oorschot, Leitende Oberärztin am Interdisziplinären Zentrum für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Würzburg, zusammengearbeitet. Die Arbeit ist im Rahmen des Forschungsschwerpunktes „Autonomie im Gesundheitswesen (AuGe)“ entstanden. Dieser wird seit 2018 von den Professorinnen Henking und Neuderth geleitet und vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert.

Hirnabbauprozesse sind die am häufigsten genannte Behandlungssituation

Insgesamt 556 der 832 Bewohnenden (67 Prozent) haben mindestens ein Vorsorgedokument hinterlegt. Darunter sind Patientenverfügungen, aber auch Vorsorge- und Generalvollmachten, Betreuerverfügungen, Notfallpläne oder Kombinationen verschiedener Dokumente. Inhaltlich haben die Wissenschaftler*innen ausschließlich die vorliegenden 265 Patientenverfügungen analysiert. Pro Dokument sind darin durchschnittlich acht Behandlungssituationen benannt, welche mit Behandlungswünschen oder -ablehnungen verbunden sind. Die am häufigsten angeführte Behandlungssituation ist mit rund 88 Prozent ein fortschreitender Hirnabbauprozess unter anderem infolge von Alzheimer oder einer Demenzerkrankung. Ein unabwendbarer Sterbeprozess sowie eine irreversible Gehirnschädigung folgen mit rund 74 und 73 Prozent.

Symptomlindernde Maßnahmen eher ja – künstliche Ernährung überwiegend nein

Darüber hinaus sind durchschnittlich sechs Behandlungsmaßnahmen dokumentiert, die entweder gewünscht oder abgelehnt werden. Symptomlindernde Maßnahmen wünschen sich etwa 91 Prozent. Lebensverlängernde Maßnahmen wie künstliche Ernährung oder Flüssigkeitszufuhr lehnen rund 95 Prozent der Bewohnenden, in Verbindung mit bestimmten Behandlungssituationen, ab.

Wiederbelebung kaum erwünscht

In rund drei Viertel (76,2 Prozent) der Patientenverfügungen führen die Bewohnenden Reanimationsversuche an, die sie in den meisten Fällen (94,5 Prozent) ablehnen. Die Wiederbelebungsmaßnahmen sind in fast 89 Prozent der Fälle mit bestimmten Behandlungssituationen verknüpft. Wer es ablehnt reanimiert zu werden, verbindet das oft mit einem fortschreitenden Hirnabbauprozess oder einer tödlichen Erkrankung. Wer einer Wiederbelebung zustimmt, tut dies beispielsweise im Zusammenhang mit einem Unfall oder im Hinblick auf mögliche Komplikationen im Rahmen einer Operation.

Die meisten Verfügungen basieren auf Vorlagen

Ein weiteres Ergebnis: In 94 Prozent aller analysierten Patientenverfügungen werden Textbausteine verwendet. Im Ernstfall helfen die oft pauschalen Formulierungen Ärztinnen und Ärzten jedoch nicht, daraus den individuellen Patientenwillen abzuleiten. Floskeln, wie „die Ermöglichung eines würdevollen Sterbens“ oder die Zustimmung zu „lebensverlängernden Maßnahmen“ mindern die Aussagekraft der Verfügungen. Oftmals sind sie nicht eindeutig genug verfasst, um medizinische Entscheidungsfindungsprozesse zu unterstützen.

Professor Dr. med. Martin Middeke, Vorsitzender der Jury und Schriftleiter der DMW betont: „Die Arbeit von Malte Klemmt, Silke Neuderth, Tanja Henking und Birgitt van Oorschot liefert wertvolle Erkenntnisse darüber, welche medizinisch-pflegerischen Behandlungsmaßnahmen von Bewohnenden stationärer Pflegeeinrichtungen gewünscht oder abgelehnt werden. Das ist wichtig, um einer ungewollten Überversorgung am Lebensende entgegenzuwirken. Darüber hinaus zeigt sich, dass bestehende Informations- und Beratungsangebote weiter ausgebaut und verbessert werden müssen. Nur so können Patientinnen und Patienten befähigt werden, ihre Wünsche vorab möglichst konkret festzuhalten.“

M. Klemmt, S. Neuderth, B. van Oorschot, T. Henking. Patientenverfügungen von Bewohnenden in Pflegeeinrichtungen – welche Behandlungssituationen und Behandlungsmaßnahmen werden vorausverfügt?. Dtsch Med Wochenschr 2021; 146(20): e81-e87

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