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Den ganzen Tag FEUERALARM – doch keiner nimmt ihn ernst – Chronischer Schmerz: Handeln gegen Trägheit

Bei Menschen mit chronischen Schmerzen ist das körpereigene Alarmsystem im Ausnahmezustand. Sie haben keine Perspektive auf Heilung und werden oft stigmatisiert. Mithilfe des Erweiterungsmanuals „Handeln ermöglichen – Trägheit überwinden“ können die Klienten in der Ergotherapie Betätigung als Schmerzbewältigungsstrategie kennenlernen.

Schmerz ist die Alarmanlage unseres Körpers. Eine geniale Schutzeinrichtung, die überlebenswichtig ist. Sie löst aus, wenn unsere Systeme Gefahr erkennen oder vermuten. Bei Menschen mit chronischen Schmerzen ist diese Alarmanlage gestört und sendet ununterbrochen Signale. Man muss sich nur vorstellen, wie belastend es ist, in einem Raum gefangen zu sein, in dem der Feuermelder einfach nicht ausgehen will. Egal, was man versucht. Hinzu kommt: Keiner außer dem Betroffenen kann den Alarm sehen, hören oder spüren. Das macht chronische Schmerzen so wenig greifbar und sorgt für Hilflosigkeit auf allen Seiten.

Irgendwann glauben sich die Betroffenen selbst nicht mehr

„Das ist alles nur eingebildet.“ „Die wollen gar nicht, dass es ihnen besser geht.“ „Stell dich nicht so an, du musst dich einfach mehr anstrengen.“ Das sind laut dem Chronic Conditions Team drei von sieben üblichen Meinungen über chronischen Schmerz.

Mit chronischen Schmerzen geht ein weiteres Thema Hand in Hand: Stigmatisierung. Die in der Gesellschaft verbreiteten Mythen führen oft zu negativen Sichtweisen und Reaktionen, die nicht nur im sozialen Umfeld, sondern auch bei den Betroffenen selbst eine innere Stigmatisierung entstehen lassen. Was sich Menschen mit chronischen Schmerzerkrankungen von Kollegen und sogar der eigenen Familie anhören müssen, ist meist kränkend und herabwürdigend. Ihr Schmerz ist nicht sichtbar, die Menschen sehen „normal“ aus und die Ursache für die quälenden Dauerschmerzen ist nicht erklärbar. Der Schmerz wird als nicht gerechtfertigt gesehen und der Betroffene deshalb als schwach und selbst schuld betrachtet. Weil als Ursache dann meist die Psyche vermutet wird, verstärkt sich die Stigmatisierung.Dem Institute for Chronic Pain zufolge wirkt sich das verinnerlichte Stigma negativ auf das Selbstwertgefühl der Betroffenen aus. Im Umgang mit ihrem Leiden fühlen sie sich nicht mehr selbstwirksam, was dazu führt, dass das Gefühl der Handhabbarkeit sinkt und die Betroffenen vermehrt katastrophisieren. Sie suchen dann zum Beispiel nicht mehr nach neuen Strategien, weil ihrer Erfahrung nach nichts mehr hilft. Da der Schmerz für sie nicht mehr bewusst beinflussbar ist, kommt er ihnen noch intensiver vor, und die Gedanken kreisen nur noch um dieses Thema.

Schmerzen mit Betätigung begegnen

Als Therapeutin muss man besonders darauf achten, Betroffene nicht einfach abzustempeln oder gar abzuschreiben. Ein wichtiger Grundstein, um sie im Rahmen einer ergotherapeutischen Intervention zu unterstützen, ist die eigene Grundhaltung und das Wissen über die Erkrankung. Das ist leichter gesagt als getan. Das Problem für Berufsgruppen, die mit Menschen mit chronischen Schmerzen zu tun haben, ist: Wer darauf aus ist, Schmerzen als Ursache zu bekämpfen, der wird bald genauso hoffnungs- und perspektivlos sein wie die Klienten selbst. Zum Glück haben Ergotherapeuten ein Medium, das den Schmerz von einer anderen Seite anpackt: die Betätigung.

Handeln ermöglichen – Trägheit überwinden

Im Konzept von „Handeln ermöglichen – Trägheit überwinden“, das ursprünglich für Menschen mit psychischen Erkrankungen entwickelt wurde, steht die Betätigungsorientierung an erster Stelle (ERGOPRAXIS 3/18, S. 16). Im Sinne von Recovery geht es nicht darum, das Symptom der Erkrankung, also den Schmerz, zu reduzieren, sondern ein selbstbestimmtes Leben mit einem Maximum an Lebensqualität zu führen (RECOVERY, S. 31). Dieser Ansatz durchbricht den Teufelskreis aus Schmerz, Vermeidung, Passivität und lässt Klienten wieder aktiv werden und ihr Leben selbst gestalten.

Schmerz verstehen

Um zu begreifen, wie man chronischem Schmerz therapeutisch gegenübertreten kann, muss man sich genauer damit beschäftigen. Wie kommt es, dass aus dem gesunden und überlebenswichtigen Akutschmerz ein krankhaftes und andauerndes Problem wird? Welche Prozesse und Verhaltensmuster verstärken Schmerz und welche lassen ihn in den Hintergrund rücken?

Bevor man sich also in den therapeutischen Prozess begibt, gilt es zunächst mit den eigenen Vorurteilen über Schmerz aufzuräumen: Schmerz ist eine normale menschliche Erfahrung und eine natürliche Anpassungsleistung, ohne die wir in der ständigen Gefahr einer irreparablen Schädigung unseres Körpers leben würden. Man muss sich nur vorstellen, was passieren würde, wenn wir barfuß in eine Scherbe treten würden, ohne dabei Schmerz zu empfinden. Schon eine kleine Wunde, die uns nicht auffällt, könnte sich infizieren und gefährlich werden. Auch würden wir das verletzte Körperteil ohne das Symptom von Schmerz nicht schonen, wodurch der Heilungsprozess sehr stark eingeschränkt wäre.

Weil unterschiedliche Areale des Gehirns bei der Verarbeitung beteiligt sind, entsteht eine multidimensionale, individualisierte Schmerzwahrnehmung. Krankhaft wird Schmerz dann, wenn er länger als sechs Monate andauert. Eine häufige Form der Schmerzerkrankung ist der chronische idiopathische Schmerz, bei dem keine offensichtliche oder organische Ursache festgestellt werden kann. Gibt es keine Ursache, wird die Behandlung zur Herausforderung. Oft berichten die Klienten davon, dass ihnen keiner verständlich erklären konnte, was sie eigentlich haben und „wie das wieder weggeht“. Man kann sich vorstellen, wie sie sich fühlen, wenn sie mit einer nicht erklärbaren, nicht beeinflussbaren Diagnose und ohne Behandlungsperspektive nach Hause geschickt werden. Der Begriff „Schmerzkatastrophisierung“ beschreibt einen Denkprozess, der typisch für solche Klienten ist und sich negativ auf den Gesundheitszustand auswirkt. Er beschreibt Hilflosigkeit, Übertreibung und Grübeln und kann zu Inaktivität und Isolation führen und die allgemeine Lebensqualität mindern.

Lesen Sie den gesamten Beitrag hier: Den ganzen Tag FEUERALARM – doch keiner nimmt ihn ernst – Chronischer Schmerz: Handeln gegen Trägheit

aus der Zeitschrift: ergopraxis 02/2019

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