• A. Schulte

    Ergotherapeutin Annika hat gerade die kleinste Patientin im Kinderdorf zur motorischen Förderung in der Therapie. (© A. Schulte)

     

Ergotherapeutin in Mexiko

Vor großen Herausforderungen stand Annika Schulte, als sie zum ersten Mal mexikanischen Boden betrat: Die 29-Jährige ging als freiwillige Helferin für ein Jahr in ein Kinderdorf in Miacatiàn, einem kleinen Ort südlich von Mexiko City. Dort sollte sie die Ergotherapie aufbauen.

Rund 400 Mädchen und Jungen leben im Kinderdorf in dem Ort Miacatián. Das Dorf wird über das Kinderhilfswerk „nph - nuestros pequenos hermanos“ (Unsere kleinen Brüder und Schwestern) organisiert. Hier erhalten die Kinder neben Unterkunft und Verpflegung auch medizinische und psychologische Betreuung sowie Schulbildung.

Häufig haben die Kinder Misshandlungen und Gewalt erfahren. Drogen- und Alkoholmissbrauch waren in ihren Familien an der Tagesordnung. Viele Eltern sitzen im Gefängnis. „In Mexiko kennt jeder jemanden, der schon einmal eine Gewalterfahrung gemacht hat. Es ist fast Normalität“, berichtet Annika Schulte. „Ein Mädchen hat mir zum Beispiel erzählt, dass sie sich während einer Schießerei im Kühlschrank versteckte.“ Für die deutsche Ergotherapeutin nicht immer einfach. „"Für jemanden aus Westeuropa sind solche Erfahrungen oft irreal. Es ist schwierig, damit umzugehen. Das musste ich erst lernen“, blickt sie zurück. Auch die Kinder gehen mit den erlebten Gewalterfahrungen unterschiedlich um: „Manche waren aufgeschlossen, andere dagegen haben überhaupt nicht darüber gesprochen.“ Trotzdem: Der Tod ist für viele Mexikaner ein Teil des Lebens. Am „Día de los muertos“ (Tag der Toten) wird der Tod regelrecht gefeiert. „Wir haben das gesamte Kinderdorf geschmückt und ein riesiges Fest zum Gedenken an die Toten gefeiert. Das war sehr beeindruckend“, erzählt Annika.

Zuerst die Ergotherapie erklären

Bevor die Ergotherapeutin loslegen konnte, musste sie den Therapieraum, der ihr zur Verfügung gestellt wurde, gründlich putzen. Der war zu Beginn leer, lediglich ein Stuhl und ein Tisch standen darin. „Und überall lagen tote Kakerlaken und Spinnen“, erinnert sich Annika zurück und grinst. Für die 29-Jährige kein Problem: „Von Anfang an war viel Eigeninitiative gefragt“, sagt sie. Im Vorfeld der Reise hatte sie bei Freunden und Bekannten Spenden gesammelt, um Therapiematerialien zu finanzieren und nach Mexiko einfliegen zu lassen bzw. vor Ort zu besorgen.

Nachdem ihr Raum sauber und eingerichtet war, leistete sie Aufklärungsarbeit. „In Mexiko ist die Ergotherapie nicht verbreitet. Deshalb habe ich den Lehrern und den Kindern erst einmal erklärt, was ich mache“, sagt sie. Annika erstellte Flyer und ging in die Klassen, um von ihrer Arbeit zu berichten. Gar nicht so einfach, da ihre Spanischkenntnisse zu Beginn nicht perfekt waren: „Ich habe zwar im Vorfeld einen Sprachkurs in Mexiko besucht und habe schon drei Monate in Peru gelebt, aber trotzdem hat es einige Zeit gebraucht, bis ich sprachlich sichererwurde.“ Wichtig war ihr die Vernetzung mit anderen Gesundheitsberufen im Kinderdorf. „Ich habe geschaut, mit wem ich zusammenarbeiten kann, und Kontakt zu Ärzten, Psychologen, Kunst- und Sprachtherapeuten aufgenommen“, erzählt sie. Das waren oft Freiwillige wie Annika. Dauerhaft stellen ein mexikanischer Arzt und mexikanische Krankenschwestern die gesundheitliche Versorgung der Kinder sicher. Denn es gibt auch Zeiten, in denen keine Helfer vor Ort sind.


Arbeit statt Auszeit

Lehrer und Schüler waren von Beginn an sehr offen gegenüber den ergotherapeutischen Angeboten. „Viele meiner kleinen Patienten habe ich über ein Jahr ergotherapeutisch begleitet“, sagt Annika. Die Mädchen und Jungen zeigten oftmals Entwicklungsverzögerungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten und motorische Störungen. Auf die Ergotherapeutin, die nach ihrer Ausbildung zunächst in der geriatrischen Reha tätig war, kamen damit spannende, aber auch herausfordernde Aufgaben zu. „Es war definitiv keine Auszeit vom stressigen Arbeitsleben“, erzählt sie und lacht.

Annika bot Einzeltherapien an, in denen sie unter anderem auf Konzentration, Körperwahrnehmung und Schreibschwächen der Kinder einging. In den Gruppentherapien stand die Förderung der Konzentration im Vordergrund. Auch die ganz kleinen Kinder hatte sie im Blick, insbesondere die Förderung der motorischen Entwicklung. Die Therapien liefen von 8 Uhr bis 14 Uhr. Da Annika auch Therapieeinheiten in Schulklassen durchführte, betreute sie pro Tag circa 15 bis 20 Kinder.

Therapeutische Konzepte wie das Marburger Konzentrationstraining (MKT) und auch einige Assessments hatte die Ergotherapeutin aus Deutschland mitgebracht, musste aber schnell einsehen, dass sie diese in Mexiko nur bedingt anwenden konnte. „Ich habe die Kinder deshalb viel beobachtet. Es war wirklich spannend zu sehen, wie sie sich über das Jahr entwickelten“, erzählt sie. Und sie passte die therapeutischen Konzepte an. Für das MKT übersetzte sie zum Beispiel die Entspannungsgeschichten ins Spanische.


Lesen Sie hier den vollständigen Artikel:
Es gibt Kinder, die ihre Eltern nicht mehr sehen wollen – Ein Jahr in Mexiko

Aus der Zeitschrift ergopraxis 5/2015


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