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Kolumne: Feierabendwahnsinn
Michael Schiewack wähnte sich schon im Feierabend, als eine Ärztin empört bei ihm in der Praxis anrief. Es sei ausgeschlossen, eine Verordnung zu ändern! Gut, dass Ergotherapeuten beraten können und Ärzte auch nur Menschen sind.
Der Feierabend ist eine ganz vernünftige Angelegenheit. Auch wenn man so gern arbeitet wie ich. Um die Erholung bringen mich von Zeit zu Zeit Spezialaufgaben, welche nicht im Leistungskatalog der Ergotherapie zu finden sind. Dazu gehören Telefonate mit Ärzten, die Kommunikation weder im Grund- noch Fachstudium belegt haben. Neulich rief mich eine dieser Kolleginnen an. Pünktlich zum Feierabend. Eine Klientin hatte keinen Termin bei uns in der Ergotherapiepraxis bekommen und es gewagt, mit dem bereits ausgestellten Rezept wieder bei der Ärztin vorstellig zu werden. Die Sache kann ich ganz einfach aufklären, dachte ich in meinem jugendlichen Leichtsinn. Ich erläuterte der Kollegin, dass wir eine Warteliste haben aufgrund von a) Fachkräftemangel hier und b) fehlenden zeitlichen Kapazitäten da. Deshalb die völlig logische Konsequenz eines späteren Therapiebeginns für die Klientin.
Daraufhin griff die Ärztin verbal durchs Telefon und ohrfeigte mich heftig. Sie meinte, dass die Veränderung einer Verordnung überhaupt nicht möglich und niemals vorgesehen sei! Das wüsste sie ganz genau. Durch Hörensagen. Sie verstehe nicht, wie wir so arbeiten könnten, und überhaupt gehe das alles von ihrem Budget ab. Ob sie das persönliche Budget meint, will ich schon fragen, verkneife mir das aber und bin lediglich zu einem „Häää?“ imstande. Was für ein Wahnsinn am Ende meines Arbeitstages!
Ich räuspere mich, erläutere und schildere, verweise auf Richtlinien und Empfehlungen. Selbst Handreichungen der Kassenärztlichen Vereinigung zitiere ich wortgetreu. Statt einer fachlichen Debatte bekomme ich von der Ärztin zu hören, dass sie sich so einen Quatsch nie durchlesen würde. Dafür sei ihre Zeit zu kost-bar. Letzteres denke ich auch gerade. Dennoch beschleicht mich das Gefühl, eine gemeinsame Hirnfrequenz gefunden zu haben. Da kommt mir Schulz von Thun in den Sinn, und ich höre mich Dinge sagen wie „Ich kann Sie bestens verstehen“ oder „Ihre Arbeit wird nie richtig wertgeschätzt“. Wir verbrüdern uns im Geiste, und ich erzähle ihr von Besonderen Verordnungsbedarfen und für sie ähnlich mysteriöse Begriffe.
Die Ärztin wird lockerer, und ich biete ihr eine Übersendung der „geheimen“, aber durchaus wichtigen Unterlagen zu diesen Begriffen an. Denn erst mit diesem Wissen, korrekten Diagnosen sowie fundierten Therapieberichten meinerseits könne sie absolut regresssicher verordnen. Daraufhin bedankt sich die Ärztin und meint, dass es gar kein Problem sei, das Rezept gültig auszustellen. Schließlich sei sie ja nicht kleinlich. Das finde ich eine gute Einstellung und bemühe Google um die entsprechenden Listen der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung. Diese drucke ich gekonnt farbig an meinem Drucker aus, markiere die entsprechen-den Passagen und denke, dass ich ganz schön kreativ bin. Ergo halt!
Ich schaue auf die Uhr und bemerke den Feierabendzeitverlust von einer Stunde. Die Beratung von Ärzten ist doch unsere einfachste Aufgabe, wenn wir das richtige Ohr finden. Oder Wahnsinn im Ehrenamt.

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