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Videoarbeit in der Ergotherapie

Beweisen, was Ergotherapie bewirkt, und die therapeutische Vorgehensweise für Klienten, Angehörige, Kollegen und Mediziner sichtbar machen. Das gelingt am besten mit Fotos und Videos. Denn Bilder sagen mehr als tausend Worte – und zwar in allen Schritten des therapeutischen Prozesses.

Ich richte das Objektiv meiner Handykamera auf Davids* Hand. „Leg mal los!“, sage ich zu ihm. Der Fünfjährige bemüht sich sichtlich, einen Kreis auf das Papier zu bringen. Er kommt zu mir in die Praxis, weil er den Stift noch nicht sicher halten kann und dadurch in seiner Malentwicklung eingeschränkt ist. Das berichten seine Erzieherinnen und die Eltern. Auf der Heilmittelverordnung steht unter dem ICD-Code „F82.1“ (Umschriebene Entwicklungsstörung der Fein- und Grafomotorik). Im Kindergarten verweigert David die Mitarbeit, wenn er an den Maltisch soll. Und seine Mutter macht sich Sorgen um die bevorstehende Einschulung: „Wie soll er denn Schreiben lernen, wenn er den Stift nicht halten kann?“

Gemeinsame Betätigungsanalyse

David hat den Kreis beendet. Ich schaue mir die Filmsequenz gemeinsam mit ihm an. „Wie klappt es? Ist es leicht für dich?“, frage ich. Der Junge sieht nicht begeistert aus. Malen findet er doof. Er würde lieber an der Sprossenwand klettern. Andererseits schaut er sich auch gerne selbst im Film an. „Darf ich noch mal gucken?“, fragt er. Das machen wir. Auf dem Video ist einiges erkennbar: David hält den Stift zwischen Daumen und Mittelfinger. Der Zeigefinger ist gebeugt und übernimmt keine Haltefunktion. Den Arm hebt David vom Tisch ab. Der Stift bewegt sich während des Malens unkontrolliert zwischen den Fingern, da es David nicht gelingt, ihn zu stabilisieren. Seine Haltehand fixiert das Blatt nicht ausreichend, sodass es sich beim Zeichnen mitbewegt. Mit Mühe malt er ein kreisförmiges Gebilde auf das Papier. Man bekommt das Gefühl, dass nicht David den Stift, sondern der Stift David führt.

Bei seinem zweitem Versuch verändert sich der Stiftgebrauch leicht: David fixiert den Stift zwischen dem Daumen und den vier Langfingern. Er nutzt verschiedene unökonomische Stifthaltungen, ein stabiler motorischer Plan ist nicht erkennbar – und der Erfolg bleibt erneut aus.

Auf Augenhöhe

Davids motorischer Plan ist fehlerhaft. Trotz unzähliger Anleitungsversuche durch die Eltern und Erzieherinnen im Kindergarten konnte er bis jetzt keine ökonomische Stifthaltung entwickeln.

In der Ergotherapie nutze ich Videos, um einzelne Aspekte des Bewegungsablaufs zu beleuchten und mit den Klienten mögliche Lösungen zu erarbeiten. Wir können uns die Aufnahmen immer wieder ansehen, in Zeitlupe abspielen und Standbilder betrachten. Dadurch kann auch David die Ausführungsfehler besser nachvollziehen. Eine Analyse auf Augenhöhe.

Die Videos helfen mir auch bei der Angehörigenarbeit. In diesem Fall unterstütze ich Davids Mutter dabei, anhand der Filmsequenzen ein Therapieziel auf Betätigungsebene zu formulieren: David malt in acht Wochen (am Ende der Verordnung) einen Kreis und hält dabei den Stift im Dreipunktgriff. Ich wähle den Weg über die Mutter als erweiterte Klientin, da ihr Sohn das Malen zu diesem Zeitpunkt eher ablehnt und von dem Ziel überhaupt nicht begeistert ist. Da ich aber weiß, dass er sich für Bewegung und Natur interessiert, werde ich ihn im weiteren Verlauf der Therapie über diesen Weg für das Ziel gewinnen.

Eine sichere Stifthaltung erarbeiten

Mithilfe der Videos, Standbilder und Fotos erarbeiten David und ich für ihn passende Strategien. Sie sollen ihm dabei helfen, seinen Stiftgebrauch schrittweise zu verändern. Manchmal ist es sinnvoll, für einige Minuten Bottom-up-Ansätze zu wählen. So darf David zunächst mit einem Holzstab kleine Löcher in Knete drücken. Dabei gebe ich ihm eine Kugel in die Handfläche, damit die Schlafmützen (Ring- und Kleinfinger) eine Beschäftigung haben. Die Bauarbeiter (Daumen, Zeige- und Mittelfinger) dürfen den Stab halten und führen. Die Begriffe für die Finger haben wir gemeinsam ausgewählt. Der Widerstand der Knete hilft David dabei, die Stabilität des Stiftes über die Kraftdosierung zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger besser nachzuvollziehen und zu variieren. Auch hierbei filme ich und bitte David, den interdigitalen Druck mal zu erhöhen und mal zu senken. Gemeinsam schauen wir uns die verschiedenen Varianten im Film an. Ich frage ihn, was sich am besten angefühlt hat und welche Variante aus seiner Sicht gut aussieht.


*Name von der Redaktion geändert

 

Lesen Sie hier den gesamten Beitrag: Film ab! – Videoarbeit in der Ergotherapie

Aus der Zeitschrift ergopraxis 4/2016

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