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Ängste in der Schwangerschaft

Weshalb und welche Art von Ängsten haben Schwangere, besonders nach Fehl- oder Totgeburt? Wie können Hebammen Schwangere mit Ängsten gut betreuen?

Angst ist ein Grundgefühl des Menschen. Erwartete Bedrohungen, etwa körperliche Angriffe, aber auch Verletzungen der psychischen Integrität, des Selbstwertgefühls sowie Veränderungen der psychosozialen Stabilität lösen Ängste aus.

Ängste haben auch eine Schutzfunktion, die nicht nur für das Überleben unverzichtbar ist, sondern ebenso eine Anpassung an besondere Situationen ermöglicht. Sowohl äußere Bedrohungen, die von den Sinnesorganen wahrgenommen werden, als auch Informationen aus dem Körperinneren über dortige Veränderungen werden dabei als „Gefahrenmeldung“ an wichtige Hirnzentren (Thalamus, Amygdala) weitergeleitet und setzen über die Aktivierung der Stressachse (Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinde) eine Reihe physiologischer Prozesse in Gang (z. B. Ausschüttung des Stresshormons Cortisol), mit denen Kampf oder Flucht als normale Reaktionen auf die Bedrohung möglich werden.

Was uns in welchem Maße Angst macht, ist neben grundlegenden Persönlichkeitseigenschaften immer auch eine Sache der Erfahrung, des Erlebens und der Bedeutung; unsere Angstgeschichte wird durch unsere persönliche Biografie geschrieben. Neue Studien, besonders aus der Zwillingsforschung, zeigen, dass aber auch genetische Faktoren am Ausmaß von Angsterleben beteiligt sind.

Ängste in der Schwangerschaft

Die Schwangerschaft stellt nach psychosomatischem Verständnis eine Schwellensituation dar, in der das bio-psycho-soziale Gleichgewicht besonderen Anforderungen und Belastungen ausgesetzt ist. Die schwangere Frau erlebt nicht nur erst- und einmalig gravierende Veränderungen des Körperbildes, bedingt durch hormonelle Umstellungen und durch das heranwachsende Kind, sondern auch eine emotionale Labilisierung durch die Veränderung ihrer bisherigen Identität und die Erfahrung, dass sich Beziehungen und das soziale Umfeld weitreichend verändern.

Dabei auftretende ambivalente Gefühle gehören zu jeder Schwangerschaft, denn diese bedeutet nicht nur eine wesentliche Erweiterung von Lebenserfahrung, von persönlicher Kompetenz und Selbstwertgefühl, sondern auch einen Abschied von der bisherigen Identität mit Verlusten von Unabhängigkeit und Autonomie.

Die Erfahrung, dass sich eine Schwangerschaft – beginnend mit der Empfängnis als einem überwiegend passivem Geschehen – unabhängig von den eigenen Bemühungen einstellt und vollzieht, löst bei vielen Frauen und Paaren Erstaunen und Freude aus. Diese Erfahrung kann aber auch verunsichern und ängstigen, weil sich die wesentlichen Entwicklungen der Schwangerschaft der eigenen Kontrolle und Machbarkeit entziehen. Auch das sich entwickelnde Kind, das mit fortschreitender Schwangerschaft als eigenständiges Wesen wahrgenommen wird, muss nicht nur körperlich, sondern auch in psychodynamischer Hinsicht integriert werden.

Die meisten Frauen und Paare bewältigen diese Veränderungen ohne Probleme und ohne zusätzliche professionelle Hilfe.

Schwangerschaft und Geburt unterliegen heute, bedingt durch vielfältige Entwicklungen und Möglichkeiten der modernen Geburtsmedizin, einer hohen Sicherheit für Mutter und Kind. Die Erfahrung, dass es sich dennoch um existenzielle Lebensereignisse handelt, die sich eigenen Bedürfnissen nach Kontrolle und Selbstbestimmung nicht vollständig unterordnen lassen, tritt angesichts dieser Möglichkeiten nicht selten in den Hintergrund.

Ängste von Schwangeren vor

  • Schwangerschaftskomplikationen,
  • Fehl- oder Frühgeburt,
  • Fehlbildungen und Totgeburt,
  • der Geburt (Erleben, Bewältigung, Komplikationen),
  • der Verantwortung als Schwangere und als Mutter,
  • einem Versagen als Schwangere und als Mutter,
  • negativen körperlichen Veränderungen,
  • Veränderungen der Paarbeziehung
Ahnungen davon bleiben bei aufmerksamer Wahrnehmung jedoch spürbar. Ängste und Befürchtungen zur Gesundheit des erwarteten Kindes, aber auch zum eigenen guten und gesunden Überleben und Bewältigen von Schwangerschaft und Geburt werden in jeder Schwangerschaft mehr oder weniger stark erlebt.

Mitunter äußern sich existenzielle Ängste in Träumen als Ausdruck intensiver Beschäftigung des Unbewussten mit den erwarteten Veränderungen und werden von den Frauen erst geäußert, wenn wir sie fragen. Ängste sollten weder pathologisiert werden noch sollte versucht werden, sie durch das Angebot zusätzlicher Untersuchungen vorschnell zu entkräften.

Nicht selten verschieben sich Ängste aber auch hin zu erheblich geringer erscheinenden Anlässen, z. B. vermutete Ernährungsfehler oder Verhaltensunsicherheiten und werden mitunter als Fragen formuliert, die auf den ersten Blick banal erscheinen.

Auch die inzwischen fast selbstverständliche Annahme vieler Schwangerer, dass eine Befreiung von der beruflichen Belastung sinnvoll sei, kann neben unzureichenden gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Schwangerschaft auch als Hinweis auf eine kollektive Verunsicherung und als Ausdruck von Ängsten verstanden werden: eine weitgehend normale Belastungsfähigkeit in der Schwangerschaft scheint nicht mehr vorstellbar zu sein.

Deutlich mehr Ängste erleben verständlicherweise Schwangere, die Verlusterfahrungen aus vorherigen Schwangerschaften mitbringen.

Bereits nach einer normalen, unkomplizierten Schwangerschaft, die mit der Geburt eines gesunden Kindes endete, äußern Frauen mitunter, dass sie die neue Schwangerschaft nicht mehr so unbeschwert wie beim ersten Kind beginnen. Das kann darauf hindeuten, dass die Erfahrung von Schwangerschaft und Geburt als existenziell erlebt wird (wie oben beschrieben). Die konkreten Erfahrungen mit Kindern und der veränderten Familienstruktur lassen erkennen, dass Lebenserweiterung immer auch Erweiterung von Verletzlichkeit und Risiken bedeutet.

Lesen Sie hier den gesamten Beitrag: Ängste in der Schwangerschaft

Aus der Zeitschrift Die Hebamme 4/2015

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