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Gelingende Kommunikation trotz Sprachbarrieren
Verständigungsschwierigkeiten zwischen einer Hebamme und der von ihr begleiteten Schwangeren, Gebärenden oder Wöchnerin erschweren die Betreuung. Im klinischen Umfeld haben Migrantinnen bisweilen das Gefühl, es werde von Fachpersonal mehr über sie geredet als mit ihnen. Dabei ist Dolmetschen – das Übersetzen von Gesprächen in Echtzeit – gerade in der gesundheitlichen Versorgung wichtig. Die Autorin fasst Regeln, Fallbeispiele und eine exemplarische Ablaufplanung für die transkulturelle Anamnese und Kommunikation zusammen.
Hintergrund
Mehr- und Fremdsprachlichkeit ist aus dem Berufsalltag der Hebammen nicht mehr wegzudenken. Vorbereitungskurse, Schwangerschaftskontrollen, Anamnese- und Aufklärungsgespräche erfordern heute weit größere sprachliche und kulturelle Kompetenz als noch vor 30 Jahren. Der Einsatz von interkulturellen Dolmetscherinnen und Dolmetschern kann sich als eine unabdingbare Hilfe erweisen, ist jedoch gesetzlich nicht reguliert. Die Hürden liegen bei der Finanzierung der zusätzlichen Leistung durch die Krankenkassen sowie bei der Qualifizierung und Organisation der Dolmetschenden.
Ist die Finanzierung institutionell nicht gewährleistet kommen in erster Linie Familienangehörige, Freunde, Bekannte und häufig die eigenen Kinder zum Einsatz. Dies geschieht mit zum Teil verheerenden Konsequenzen, wenn Teile des Gesprächs nicht oder falsch übersetzt werden. Fürs Fachpersonal endet ein Gespräch ohne gegenseitige sprachliche Verständigung oftmals mit der Frage, ob der Patientin wirklich geholfen wurde.
Von fehlender Verständigung zum Behandlungsfehler
In Anlehnung an die im Grundgesetz verankerten Grundrechte auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren sollte der Anspruch auf wahrheitsgetreue Verdolmetschung auch im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen gesetzlich gesichert sein. Die Beauftragte für Integration der Solothurner Spitäler brachte es gut auf den Punkt: „Es gibt genaue Vorschriften, wann und wie ein Verband gewechselt werden muss, und gleichzeitig ist eine so zentrale Frage wie die sprachliche Verständigung völliger Beliebigkeit überlassen. (…) Ein eklatanter Missstand.“
Gehrig und Graf (2009) stellten in ihrer Vorstudie zum Thema „Kosten und Nutzen des interkulturellen Übersetzens im Gesundheitswesen“ fest, dass Verständigungsprobleme und fehlende Sicherung der Kommunikation zwischen Gesundheitsfachperson und Patientinnen bzw. Patienten zu einer medizinischen Unter- oder Überversorgung führen können, die in beiden Fällen in höheren Behandlungskosten resultieren, erstere durch längere Krankheitsverläufe.
Die Übersetzung der Aufklärung über eine medizinische Behandlung zu verweigern, verhindert einen Informed consent, d. h. dass die betreute Frau bzw. Patientin ihre Einwilligung wohlüberlegt nach Kenntnisnahme aller relevanten Informationen abgeben kann (siehe hierzu auch Fachartikel von Matthias Diefenbacher in dieser Ausgabe DIE HEBAMME). Somit ist die Verweigerung der Übersetzung, wo diese nötig wäre, weder juristisch noch ethisch haltbar. Wer seine Sorgfaltspflicht gegenüber der Patientin erfülle, dürfe im Umkehrschluss keine Gespräche ohne zertifizierte Dolmetschende führen. Denn faktisch finde kein medizinisches Aufklärungsgespräch statt, wenn ein Betroffener dabei die Aussagen der Fachperson nicht versteht, argumentieren Gehrig und Graf weiter. Die fehlende Übersetzung bzw. Verständigung könne demnach als Behandlungsfehler konstatiert werden.
Fallbeispiel
Welche emotionalen und finanziellen Folgen solch ein Behandlungsfehler in der Praxis haben kann, zeigt folgendes Fallbeispiel:
Ein 16-jähriges Mädchen aus dem Kosovo kommt im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz, wo sie kurz nach ihrer Ankunft an akuter Leukämie erkrankt. Als einzige Behandlung wird die Knochenmarktransplantation erwogen. Ihre Schwester kommt als Spenderin in Betracht. Ein spitalinterner Mitarbeiter übersetzt alle Gespräche. Die Ärzte erklären Diagnose, Prognose und Therapiemöglichkeiten sowie deren Risiken. Dazu zählt u. a. die Unfruchtbarkeit als Folge der Transplantation. Dieses Risiko übersetzt der Dolmetscher nicht – was keiner der Beteiligten (Ärzte und Familie) bemerkt.
Das Mädchen willigt in die Therapie ein. Bei der Ganzkörperbestrahlung wird der Heranwachsenden selbst bewusst, dass sie in deren Folge unfruchtbar werden könnte. Sie stellt Fragen, die aus Sicht des Personals bereits geklärt sind. Als sie versteht, dass sie nach der Behandlung kinderlos bleiben würde, bricht sie die Therapie ab und entscheidet sich gegen eine Knochenmarktransplantation. Grund: Sie sieht ohne die Möglichkeit auf einen erfüllten Kinderwunsch keinen Sinn im Leben.
Dieses Beispiel veranschaulicht die drastischen Folgen einer Versorgung, in der die sprachliche Verständigung zwischen Arzt und Patienten nicht gesetzlich geregelt ist und die nötigen Übersetzungsdienste nicht über die Krankenkasse abgerechnet werden können.
Lesen Sie den gesamten Beitrag hier: Gelingende Kommunikation trotz Sprachbarrieren
Aus der Zeitschrift: Die Hebamme 02/2020

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