• Der kindliche Notfall ist ein komplexes und dramatisches Geschehen, das die beteiligten Helfer vor höchste Anforderungen stellt. Oft werden sie unerwartet mit dem schlechten Zustand des Kindes konfrontiert und sollen binnen Sekunden richtig handeln.

     

Reanimation des Neugeborenen

Die nachfolgenden Handlungsanweisungen sind keine neonatologischen Leitlinien und weichen von diesen auch in einigen Punkten ab. Wir wollen mit unserem Notfallmanagement der Hebamme und dem Geburtshelfer die Grundlagen für eine kompetente und die natürlichen Ressourcen unterstützende Versorgung des Kindes bis zum Eintreffen des kinderärztlichen lntensivmediziners vermitteln.

Der kindliche Notfall ist ein komplexes und dramatisches Geschehen, das die beteiligten Helfer vor höchste Anforderungen stellt. Oft werden wir unerwartet mit dem schlechten Zustand des Kindes konfrontiert und sollen binnen Sekunden die richtige Handlungsstrategie festlegen. Unser Verhalten hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab, die wir blitzschnell überblicken müssen. Dabei dürfen wir jedoch niemals vergessen, dass wir ein kleines fühlendes Wesen vor uns haben, das Angst hat und sich in großer Not befindet. Unser konkretes Verhalten beim Vorliegen eines kindlichen Notfalls hängt von 2 Schlüsselfragen ab:

Frage 1: Kommt das Kind oder geht das Kind?

Handelt es sich um eine verzögerte Anpassung an die postnatalen Atem- und Kreislaufverhältnisse, die das Kind zu kompensieren versucht, oder gibt es Hinweise auf eine Erkrankung des Kindes, durch die die natürlichen Kompensationsmechanismen fehlen oder überfordert sind? Im ersten Fall ist das Ziel aller Handlungen die Unterstützung der natürlichen Kompensationsmechanismen des Kindes. Dagegen müssen wir im zweiten Fall die blockierten Kompensationsmechanismen durch lebensrettende intensivmedizinische Maßnahmen ersetzen.

Frage 2: Zeitlicher Verlauf?

Als Nächstes müssen wir den vorliegenden Notfall in einen zeitlichen Kontext mit dem Schwangerschafts- und Geburtsverlauf bringen. Hier sind drei Szenarien denkbar:

  • Notfalltyp 1: regelrechte Schwangerschaft und Geburt, das Kind ist zunächst stabil und verfälltsekundär (nach Minuten, Stunden oder Tagen).
    Absoluter Notfall: In aller Regel liegt eine Sepsis oder ein schwerer Herzfehler vor. Das Kind befindet sich in akuter Lebensgefahr!
  • Notfalltyp 2: Die Krise ist unerwartet und unmittelbar nach einer regelrecht verlaufenden Schwangerschaft und Geburt eingetreten. Fast immer handelt es sich um eine Störung der Lungenbelüftung. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit vor allem auf die pulmonale Funktion richten und für freie Atemwege und eine optimale Entfaltung der Lunge sorgen.
  • Notfalltyp 3: Der Zustand des Kindes ist die logische Folge von Belastungen während der Schwangerschaft (z. B. Plazentainsuffizienz) oder bei der Geburt (z. B. destruktiver Geburtsstillstand). In aller Regel handelt es sich bei dem vorliegenden Bild um die Fortsetzung einer bereits intrauterin bestehenden Symptomatik (Post-Asphyxie-Syndrom). Für das Kind kann die Geburt entweder eine Erlösung sein (Aufnahme der Lungenfunktion als rettende Sauerstoffquelle: Das Kind „kommt“) oder aber das Kind hat mit den Belastungen der Geburt seinen Kampf schon verloren und ist nicht mehr in der Lage, seine Kompensationsmechanismen zu
    nutzen (sterbendes Kind: Das Kind „geht“).

Aus den Antworten auf diese beiden Schlüsselfragen wird es uns möglich, innerhalb der ersten 30 Sekunden eine grundsätzliche Handlungsstrategie zu entwerfen.

Herzdruckmassage

  • Die Indikation zur Herzdruckmassage wurde von den Fachgremien in den letzten Jahren deutlich gelockert:
    – Herzfrequenz unter 60/Min.
    – Herzfrequenz anhaltend trotz suffizienter Beatmung unter 80/Min.
  • Methode
    – Druckpunkt: mittleres Drittel des Sternums, ca. 1cm unterhalb der Intermamillarlinie
    – Kompressionstiefe: ⅓ des Thoraxdurchmessers (1,5–2,0 cm)
    – Frequenz: 90/Min. (3 pro 2 Sekunden)
    – Drucktechnik: Zangengriff (Methode der Wahl): Das Kind wird von kaudal umfasst: Mit beiden Daumen den Druckpunkt aufsuchen, die Daumenendglieder liegen aneinander; die Hände umfassen den Thorax.
    – Alternative, z. B. wenn kein zweiter Helfer verfügbar und eine gleichzeitige Beatmung notwendig ist: 2-Finger-Technik: Seitlich vom Kind stehend (harte Unterlage!) mit Mittel- und Ringfinger den Druckpunkt aufsuchen, mit der freien Hand den Kopf fixieren (Vorbereitung Beatmung). Nachteil der 2-Finger-Technik ist die Notwendigkeit einer harten Unterlage, die einen ausreichenden Widerstand bietet.
  • Kombination von Beatmung und Herz-Druck-Massage: 3 Kompressionen + 1 Beatmungshub im Zyklus von 2 Sekunden
  • 2-Helfer-Methode:
    – Kompressor: „1- und -2- und -3- und ...“
    – Beatmer: „... atmen!“
  • 1-Helfer-Methode
    – 1 und 2 und 3 und atmen: alle 2 Sekunden (Alternative: Mund-zu-Nase-Beatmung, evtl. effektiver)

Wir erleben in unseren Seminaren immer wieder verbissen vor sich hinzählende Helferpaare, die sich ausschließlich auf den Rhythmus und die Technik konzentrieren. Das mag bei der Reanimationspuppe funktionieren. Ein lebendes Kind braucht jedoch liebevollen Zuspruch und achtsame Betreuung. Deshalb gilt für die Kombination von Beatmung und Herz-Druck-Massage:
– Der Rhythmus 120/s muss in Fleisch und Blut übergehen. Man kann im Hinterkopf ein Lied mit dem richtigen Takt ablaufen lassen, z. B. „Staying Alive“ von den Bee Gees)
– Ein Helfer, vorzugsweise der Masseur, gibt den Takt an. Nur anfangs muss er laut zählen, später reicht eine Andeutung des Rhythmus.
– Der andere Helfer, vorzugsweise der Beatmer, ist für die Kommunikation mit den Eltern und dem Kind zuständig.

Adrenalingabe

Im Verzweiflungsfall kann bei trotz suffizienter Herzdruckmassage anhaltender Bradykardie eine perorale oder subkutane Gabe von Adrenalin die kindliche Herzfunktion verbessern:

  • 0,2 ml Adrenalin 0,1 % auf 2 ml NaCl 0,9 %, davon 1 ml p. o. oder s. c.
  • wenn keine Reaktion bzw. anhaltende Bradykardie: nach 3–4 Minuten wiederholen
  • absoluter Verzweiflungsfall: ½ Amp. Adrenalin 0,1 % p. o. oder s. c.

Grundsätze für Einrichtungen ohne kinderärztliche Notversorgung

In Einrichtungen, die nicht über neonatologische Intensivmediziner verfügen, gilt ein wichtiger Grundsatz: Jeder Befund, der einen kindlichen Notfall erwarten lässt, sollte uns zu einer möglichst frühzeitigen Verlegung in eine Klinik mit neonatologischer Versorgung veranlassen. Wenn die intrauterine Verlegung nicht möglich erscheint und die Geburt auf dem Transport droht, sollte der kinderärztliche Notdienst in die Einrichtung gerufen werden.
Folgende Vorbereitungen für das Eintreffen des kinderärztlichen Notdienstes sind notwendig:

  • Ordnung und Platz für Transporteinheit schaffen, Weg für den Notdienst freimachen
  • Vorläufige handschriftliche Dokumentation: Diese sollte nur die für die medizinische Versorgung
    notwendigen Informationen enthalten, Zurückhaltung mit allen Deutungen!

Das Eintreffen des kinderärztlichen Notdienstes ist besonders in der außerklinischen Situation oft eine äußerst angespannte Situation, weil u. U. verschiedene geburtshilfliche Philosophien aufeinandertreffen. Die Eltern sollten von uns auf diese besondere Atmosphäre vorbereitet werden. Unsere Kunst besteht darin, den Kontakt der Neonatologen mit den Eltern herzustellen und zu moderieren.

 

Lesen Sie hier das komplette Kapitel "Reanimation des Neugeborenen"

Quelle: Hildebrandt u.a., Geburtshilfliche Notfälle (S. 203 - 210)
© 2018 Hippokrates Verlag in Georg Thieme Verlag KG Stuttgart

 

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