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Wann die Hebamme ärztlichem Vorgehen widersprechen muss
Im Kreißsaal ist die Hebamme dem Arzt untergeordnet. Den ärztlichen Anweisungen bei der Geburt hat sie Folge zu leisten. Die Hierarchie endet, wenn ein Arzt regelwidrig handelt und die Hebamme dies erkennt. Greift sie trotz besseren Fachwissens nicht ein, riskiert sie Schadensersatzforderungen, strafrechtliche Konsequenzen und ihre Berufserlaubnis.
Hinzuziehungspflicht des Arztes
Für Ärztinnen und Ärzte gilt nach § 4 HebG, dass sie (immer) „verpflichtet sind, dafür Sorge zu tragen, dass bei einer Entbindung eine Hebamme oder ein Entbindungspfleger zugezogen wird“. Um diese Hinzuziehungspflicht zu erfüllen, ist ein ernsthaftes Bemühen des Arztes verpflichtend. Dies gilt im Übrigen auch für die Hinzuziehung einer Hebamme bei einer Sectio.
Aus § 4 HebG lässt sich daher auch die Abgrenzung der Tätigkeit einer Hebamme zur ärztlichen Tätigkeit entnehmen. Die Hebamme darf regelgerechte Geburten vollständig selbst durchführen. Das Behandeln regelwidriger Vorgänge ist Ärzten vorbehalten. Deshalb haben Hebammen auch auf Regelwidrigkeiten und Risikofaktoren zu achten und bei deren Auftreten die Hinzuziehung eines Arztes oder die Einweisung in ein Krankenhaus zu veranlassen. Beim Eintritt ernsthafter Komplikationen muss die Hebamme den zuständigen Arzt unterrichten. Wird die Hinzuziehung eines Arztes von Schwangeren, Gebärenden oder Wöchnerinnen gewünscht, muss auch diesem Wunsch entsprochen werden.
Verhältnis zwischen Hebamme und Arzt
Diese Grundsätze haben dann auch Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Hebamme und Arzt, bei Beleghebammen bzw. angestellten Hebammen auch zum Krankenhausträger.
Haftung des Krankenhauses
Eine Haftung des Krankenhauses besteht insbesondere dann, wenn den Verantwortlichen ein Organisationsverschulden nachgewiesen werden kann.
Steht z. B. für die Überwachung eines CTG nur eine Krankenschwester zur Verfügung, so haftet das Krankenhaus für ein solches Organisationsverschulden. Das Krankenhaus muss darüber hinaus dafür sorgen, dass ein Belegarzt das Krankenpflegepersonal (nur) mit Aufgaben betraut, die dessen Kompetenz nicht überschreiten (Urteil des BGH vom 16.04.1996). Sollte eine Hebamme nicht hinreichend mit dem CTG vertraut sein, haftet ein Belegarzt, der die Leitung der Geburt übernommen hat, auch für Fehler der Hebamme (Urteil des OLG Zelle vom 28.07.1997). In diesem Zusammenhang muss die Hebamme bei einem hoch pathologischen CTG einen Arzt nicht nur benachrichtigen, sondern sein Kommen auch als „dringlichst“ darstellen (Urteil des LG Darmstadt vom 21.04.1994).
Sollte ein Arzt die telefonische Anweisung erteilen, wehenfördernde Mittel einzusetzen, ohne dass die Überwachung durch ein CTG möglich ist, liegt nach der Rechtsprechung ein „grober Behandlungsfehler“ vor (so auch in § 630 h Absatz 5 BGB). In diesem Zusammenhang muss auch die Hebamme stets wissen, dass ein solches Vorgehen gegen die Regeln ärztlicher Kunst verstößt. Macht sie dem Arzt keinen entsprechenden Vorhalt, ist sie für den eingetretenen Schaden mitverantwortlich (Urteil des OLG Frankfurt vom 06.04.1990).
In diesen Fällen der Mithaftung bedeutet dies für die Hebamme, dass sie als Gesamtschuldnerin nach § 426 BGB die Haftung mit übernimmt. Das Wesen der Gesamtschuld liegt insbesondere darin, dass die Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet sind. Kann von einem der Gesamtschuldner der auf ihn entfallende (Teil-)Beitrag nicht erlangt werden, so ist dessen Anteil von den übrigen Schuldnern zu tragen (§ 426 Abs. 1 BGB). In der Praxis bedeutet dies, dass die geschädigte Frau sich bemühen wird, möglichst viele Verantwortliche in Anspruch zu nehmen, um eine größtmögliche Sicherheit zu erlangen, mindestens einen leistungsfähigen Schuldner verklagen zu können. Infrage kommen hier das Krankenhaus, sämtliche Ärzte in der Hierarchie des Krankenhauses sowie sämtliche im Kreißsaal anwesenden Hebammen bis hin zur Hebammenschülerin. Sollte der schlimmste Fall eintreten, dass alle anderen Verantwortlichen nicht leistungsfähig sind, könnte die Geschädigte letztendlich auch die Hebamme alleine für die Gesamtsumme in Anspruch nehmen. Die Hebamme hätte dann (nur noch) die Möglichkeit, die auf die anderen Beteiligten entfallenden Anteile bei diesen im Innenverhältnis geltend zu machen. Nach außen haftet nach § 426 BGB jeder Gesamtschuldner allerdings nur einmal auf die gesamte Summe, die insgesamt auch nur einmal verlangt werden kann (d.h. nicht von jedem der Beteiligten jeweils einzeln).
Lesen Sie hier den gesamten Beitrag: Wann die Hebamme ärztlichem Vorgehen widersprechen muss
Aus der Zeitschrift Die Hebamme 04/2016

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