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Frühförderung: Überforderte Kinder - überforderte Erwachsene?
Wie lernen Kinder am besten? Werden sie später weniger erfolgreich, wenn sie nicht schon als Kleinkinder möglichst vielseitig gefördert werden? Überfordern Eltern ihre Kinder mit hohen Leistungsansprüchen - und auch sich selbst?
Die Sonne scheint. Zusammen mit meinem Sohn Jo sitze ich auf einem abgemähten Kornfeld. Beide schauen wir in die Weite, kauen auf Grashalmen. Jo bestaunt den jagenden Greifvogel am Himmel, ist begeistert von dessen Flugkünsten im Wind. Wir sitzen da und tun nichts, mein Sohn und ich.
Momente wie diese werden seltener. Zeit und Natur einfach mal auf sich wirken lassen. Gemeinsame Augenblicke genießen, ohne Worte, ohne Absicht, ohne Verpflichtung. Aber nicht ohne Sinn! Wer leistet sich das schon noch. Terminkalender bestimmen nicht nur über die Erwachsenen, takten nicht nur unser Leben. Auch die Kinderwelt haben sie fest im Griff. Und Zeit ist längst nicht mehr nur in der Wirtschaft kostbar. Sie darf auch in der Erziehung und Ausbildung keinesfalls verschwendet werden. Das Gehirn, so glauben immer noch viele, funktioniert wie ein Muskelschwamm: Ständiges Training und alles mögliche aufsaugen, allein das bringt am Ende Erfolg.
Bildung als Währung für die sichere Zukunft
Genau das aber ist eine falsche Vorstellung, wie aktuelle Forschungsergebnisse aus der Neurowissenschaft zeigen. Der Neurobiologe Gerald Hüther brachte es im vorletzten Jahr in Berlin in seinem Eröffnungsvortrag anlässlich des Hauptstadtkongresses „Gesundheit und Medizin“ auf den Punkt: „Das Gehirn wird nicht so, wie man es benutzt. Es wird so, wie man es mit Begeisterung nutzt!“
Und was machen Eltern mit ihren Kindern? Sie überfrachten sie mit Angeboten, die ihre Entwicklung fördern sollen: Pekipgruppen, Babyschwimmen, Kinderyoga, Musikwichtel, Chinesisch für Babys, Managerkurse für Kleinkinder. Neben Geigenunterricht, Frühspanisch und Hausaufgaben soll das das richtige Förderprogramm sein.
Und warum? Die Sorge um verpasste Chancen und Möglichkeiten ist es, die Eltern dazu treibt, ihren Nachwuchs unter Leistungsdruck zu setzen. Die Motive dafür sind unterschiedlich begründet: Die Kinder sollen es einmal besser haben als man es selbst hatte. Sie sollen den sozialen Aufstieg schaffen, den man vielleicht selbst nicht oder nur mit viel Mühe geschafft hat. Sie sollen auf alle Eventualitäten des Berufslebens vorbereitet sein.
Frühförderung ähnelt heute oft einem Wettrüsten und gipfelt vielfach in einer Leistungsschau unter Eltern. Da ergeben sich schon mal groteske Gespräche: „Wie? Laura kommt nicht mit zu den Musikwichteln?“ „Nein, Laura hat dafür keine Zeit. Laura besucht doch schon 2-mal in der Woche den Kurs Kreativmalen in der Stadt. Und beim Englisch müssen wir auch dranbleiben. Das wird dann zu viel!“ Übrigens: Laura ist 3.
Reden Eltern von Erziehung und Ausbildung, sprechen sie von Investitionen in die Zukunft. Sie deklarieren beides zum wirtschaftlichen Erfolgsmodell von morgen, die Währung heißt Bildung. Entwicklung darf nicht nur einfach geschehen. Sie unterliegt dem elterlichen und schulischen Controlling. Nichts soll dem Zufall überlassen sein. Alles ist kalkuliert, wird gesteuert.
Dagegen spricht allerdings ein bekanntes Sprichwort aus Afrika: „Das Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht!“
Lesen Sie hier den gesamten Beitrag: Frühförderung: Überforderte Kinder - überforderte Erwachsene?
Aus der Zeitschrift Deutsche Heilpraktiker Zeitschrift 4/2012