Blutegeltherapie: Kontraindikationen
Die Kenntnis der folgenden Kontraindikationen ist vordringlich, um schwer wiegende Behandlungsfehler mit negativen Auswirkungen im Vorfeld zu vermeiden.
Hämophilie, medikamentöse Antikoagulation
Eine absolute Kontraindikation besteht bei jeder Form der angeborenen und erworbenen Hämophilie bzw. der bestehenden medikamentösen Antiregulation mit Marcumar/Warfarin, Heparin sowie neueren Heparinoiden. Darüber hinaus sollten Patienten nach einer subjektiv wahrgenommenen auffälligen Blutungsneiguung explizit befragt werden. Einzelfälle von stark verlängerten Blutungen in der Beobachtungsstudie der Kliniken Essen-Mitte waren jeweils mit der retrospektiv anamnestischen Angabe einer diagnostisch ungeklärten Blutungsneigung verbunden. Eine Medikation mit Acetylsalicylsäure oder Clopidogrel stellt keine Kontraindikation per se dar, allerdings sollte die Anzahl der anzusetzenden Egel dann bei der ersten Behandlung reduziert und der Patient nach der Blutungsneigung befragt werden. Bei einer Kombinationstherapie von Acetylsalicylsäure mit Clopidogrel sollte, wenn medizinisch verantwortbar, Clopidogrel vor der Blutegeltherapie 5 Tage abgesetzt werden. Merklich verlängerte Blutungszeiten können sich auch bei der Einnahme von hochdosiertem Fischöl, hochdosierten Enzympräparaten (z.B. Wobenzym), hochdosiertem Vitamin C sowie Ginkgo-biloba-Präparaten einstellen, auch diese Medikation ist zu pausieren.
Anämie
Bei bestehender Anämie bzw. Knochenmarkssupression sollten generell keine blutentziehenden Maßnahmen durchgeführt werden.
Erosive Gastritis und mögliche gastrointestinale Blutung
Eine obere gastrointestinale (GI-) Blutung aufgrund gastroskopisch gesicherter erosiver Gastritis am Folgetag nach einer Blutegeltherapie wurde im eigenen Patientenkollektiv beschrieben. Daher sollte die Blutegeltherapie bei einem manifesten Magengeschwür bzw. einer erosiven Gastritis aufgrund der möglichen systematischen Hirudinwirkungen mit verstärkter Blutungsneigung unterbleiben.
Infektionskrankheiten im akuten Stadium
Erfahrungsgemäß führen Blutegelbehandlungen im Rahmen akuter systematischer Infektionen zur subjektiven Schwächung und zu vermehrten Wundheilungsstörungen. Generell sind Blutentziehungen im erweiterten naturheilkundlichen und humoral-pathologischen Verständnis bei akuten Infektionserkrankungen als kontraproduktiv zu werten und nicht durchzuführen. Für das Indikationsgebiet der plastischen/rekonstruktiven Chirugie mit oftmals vorliegenden schweren Infektionen wird die Blutegeltherapie unter begleitender Antibiose durchgeführt.
Schwerwiegende Organerkrankungen und Immunsuppression
Bei Patienten mit schweren instabilen Organerkrankungen und/oder ausgeprägter Immunsuppression (Zytostase) sollte keine Blutegeltherapie durchgeführt werden. Eine relative Kontraindikation besteht für schwere, chronisch stabile Organerkrankungen, u.a. Leberzirrhose (CAVE: auch Blutgerinnungsstörungen), Kollagenosen, dialysepflichtige Patienten, Erkrankungen des Immunsystems und der blutbildenen Organe. Bei sinnvoller Indikation (Blutegel zur Schmerztherapie) kann hier bei normaler Blutgerinnung, nicht bestehender Anämie und aktuell weitergehender Immunkompetenz die Blutegeltherapie unter Antibiose erfolgen. Eine Blutegeltherapie bei HIV-Infektion sollte nicht erfolgen. Keine blutentziehenden Maßnahmen sollten auch bei Kachexien unterschiedlicher Ursachen durchgeführt werden. Unter niedrig bis mittel dosierter Medikation mit Kortikosteroiden kann eine Blutegeltherapie dann erfolgen, wenn der Patient nicht von Wundheilungsstörungen berichtet und noch keine typischen Hautveränderungen ("Kortisonhaut") vorliegen.
Ausgeprägte allergische Diathese
Sofern spezielle Eiweißallergien vorliegen, muss an die Möglichkeit einer allergischen Reaktion auf Fremdeiweiße der Blutegel gedacht werden. Bei ausgeprägter allergischer Diathese mit anamnestisch ernsten systemischen Reaktionen kann die Blutegeltherapie unter Antihistaminika-Medikation erfolgen.
Schwangerschaft
Während der Schwangerschaft sollten gewöhnlich keine blutentziehenden Maßnahmen durchgeführt werden. Zudem könnten aufgrund der Blutegelbehandlung unerwünschte Wirkungen eintreten, die eventuell den Einsatz von chemischen Medikamenten notwendig machen würden.
Allgemeine und örtlich begrenzte Wundheilungsstörungen
Bei Erkrankungen mit konsekutiven Wundheilungsstörungen, z.B. lange bestehender Diabetis mellitus, können die sonst harmlosen Blutegelbisse zu lokalen Komplikationen führen. Auch hier sind die anamnestischen Angaben des Patienten wegweisend, um festzustellen, ob damit eine relative Kontraindikation für die Blutegeltherapie vorliegt. Bei örtlich begrenzten Wundheilungsstörungen, z.B. bei Ulcus cruris, sollte man i.d.R. keine Egel direkt im erkrankten Bereich ansetzen, um keine potenziellen Ausgangspunkte für weitere Ulcera zu setzen [...].
Keloidneigung
Bei entsprechender Disposition können auch abheilende Blutegelbissstellen zur Keloidbildung führen. Die Patienten sind vor der Therapie über frühere Narbenbildungen und Keloidneigung zu befragen.
Fehlendes Patienteneinverständnis
Die Blutegeltherapie sollte nur bei vorliegendem Einverständnis des Patienten durchgeführt werden. Es wird daher auch empfohlen, analog dem Vorgehen bei anderen invasiven Therapieverfahren, eine schriftliche Einverständniserklärung bei der Erstberatung einzuholen und dem Patienten eine schriftliche Information auszuhändigen.
Quelle: A.Michalsen, M. Roth: Blutegeltherapie. 3. Auflage. Stuttgart. Haug.2012.S. 102-104

