Respekt!
Höflichkeit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr. (Volksmund)
Heute muss ich sehr aufpassen, dass ich nicht in alte Sprüche und Maßregelungen meiner Mutter oder Großmutter verfalle, bei denen ich schon als Kind oder junge Frau hinter deren Rücken mit den Augen gerollt habe.
Mein Thema ist vielleicht nicht jedermanns Sache, so mancher wird wohl auch mit den Augen rollen wollen und ich selbst hätte vor 20 oder 30 Jahren nie glaubt, dass ich das mal sagen werde und mich in epischer Breite darüber auslassen kann. Es geht um Umgangsformen, Respekt, Höflichkeit und professionelle Distanz.
Bevor jetzt jemand in der Zeitschrift genervt weiterblättert, vorab folgendes: Mir muss niemand in die Jacke helfen oder die Tür aufhalten. Mit vollem Mund spricht man nicht und redet nicht ungefragt dazwischen usw. – das alles weiß ich und halte mich zu oft selbst nicht daran. Außerdem hielt es schon im 18. Jahrhundert ein deutscher Schriftsteller für nötig, über den Umgang mit den Menschen zu schreiben: Adolph Freiherr Knigge (1752–1796). Damals war das wohl nötig, denn es wurde sein bedeutendstes Werk. Noch heute steht der Name „Knigge“ für Regeln im alltäglichen Umgang miteinander. In jedem Jahr erscheinen im Handel überarbeitete, dem Zeitgeist angepasste Knigge-Ratgeber, damit der interessierte Leser ohne Peinlichkeiten und immer auf dem neusten Stand in Sachen gutes Benehmen durchs Leben kommt.
Ich will hier auch nicht über schwierige Etikette und Dresscodes bei Businessveranstaltungen reden, sondern über den profanen Alltag in unserem Krankenhaus.
Mit vielen Mitmenschen muss mit dem Überschreiten unserer Krankenhausschwelle etwas ganz Besonderes, Geheimnisvolles geschehen. Vielleicht eine Gehirnwäsche, eine kleine Amnesie oder eine Blockade des Sprachzentrums, die nachgewiesenermaßen in akuten Stresssituationen auftreten kann. Jedenfalls hängt nirgendwo an oder in unserer Klinik ein Schild mit der Warnung, Sätze mit „bitte“ oder „danke“ oder andere Höflichkeitsfloskeln tunlichst zu vermeiden. Das habe ich persönlich recherchiert.
Ein Mann kommt mit einem Zettel in der Hand auf unsere Station und sagt nichts weiter als: „Sekretariat Wirbelsäule!?“ Denkt er, ich bin das Sekretariat der Wirbelsäulenabteilung oder ist er es gar selbst? Was ist aus dem guten alten Satzaufbau geworden, in dem durchaus auch ein Subjekt und ein Verb vorkommen können und den die Kinder schon in der Grundschule lernen?
Ein Patient auf Station klingelt, und als ich in das Zimmer komme, höre ich nur: „Schüssel!“ Tja, was meint er? Ich warte noch ein bisschen – aber nichts passiert. Ich könnte jetzt ein kleines Ratespiel beginnen. Möchten Sie eine Waschschüssel oder eine Suppenschüssel? Aber ich will mein Glück nicht allzu sehr herausfordern, beeile mich und hole ihm die vermeintlich geforderte Schüssel. Denn wenn ich nicht schnell genug bin, habe ich auch noch das Nachsehen.
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