Therapeutic Touch
Therapeutic Touch ist eine begleitende und unterstützende Maßnahme bei chronischen und akuten Krankheiten. Die erzielbaren Behandlungserfolge sind Stressfreiheit, Entspannung und Steigerung der individuellen Vitalität und des Wohlbefindens. Unsere Autorin stellt das Konzept vor und lässt eine Patientin zu Wort kommen, die von ihren Erfahrungen berichtet.
Der Gedanke hinter Therapeutic Touch (TT) ist, dass unser Körper nicht an unserer Haut endet. Um unseren stofflichen Körper herum befindet sich ein Energiefeld, das sich entsprechend unserem aktuellen körperlichen wie seelischen Zustand verändert. Das heißt, es kann an manchen Stellen dichter oder weniger dicht sein. Als Folge dieser Differenzen fühlen wir uns „unausgeglichen“. In der TT-Ausbildung lernt man das Energiefeld um unseren Körper wahrzunehmen und auszugleichen.
TT kann mit oder ohne direkten Kontakt der Hände am Körper des Patienten durchgeführt werden. Entweder man berührt mit den Händen bestimmte Punkte (Akupunkturpunkte bzw. Energiezentren) am Körper des Patienten oder man arbeitet ohne Berührung im Energiefeld.
Durch Beatmung, Sedierung und mangelnde Bewegung des Intensivpatienten kommt es häufig zu einer Unausgewogenheit des Energiefelds. Ziel der Anwendung ist das bewusste Wahrnehmen, Lenken und Harmonisieren dieses Felds.
Die Behandlungen können in allen Krankheits- bzw. Genesungsstadien angewendet werden. Die Anwendungen können im Rahmen der Körperpflege oder bei allen anderen Tätigkeiten im Kompetenzbereich der Pflege zum Einsatz kommen.
Seit 2011 wird Therapeutic Touch an der Anästhesiologischen Intensivstation 1 im Krankenhaus Hietzing mit Neurologischen Zentrum Rosenhügel angewendet. Die Dokumentation der Anwendungen findet im Patientendokumentationssystem statt.
Inzwischen sind fünf in Therapeutic Touch ausgebildete Pflegepersonen (etwa 10 % des Pflegepersonals) an der Intensivstation tätig, um die Patienten in dieser Ausnahmesituation zu betreuen.
TT ist eine komplementäre Behandlungsform, die aus einer Mischung alter Heilverfahren verschiedener Kulturen entstand. Dolores Krieger, eine Professorin der Krankenpflege an der Universität New York, und Dora Kunz, eine Heilerin, entwickelten Therapeutic Touch und standardisierten die Behandlungen 1972. Die Wirkung von TT wurde bereits in vielen Studien belegt.
Auf unserer Station wurden bisher zwei Therapeutic-Touch-Projekte im Rahmen der Gesundheitsförderung an allen bei uns vertretenen Berufsgruppen durchgeführt. Ziel beider Projekte war es, Entspannungsphasen während der Dienstzeit zu schaffen, Akzeptanz für energetische Methoden zu erhöhen (auch im Hinblick darauf, unsere Arbeit transparenter zu machen), Interesse zu wecken und das Bewusstsein für Gesundheitsförderung zu initiieren.
Die behandelten Personen füllten vor und nach der Behandlung einen standardisierten, anonymen Fragebogen aus. Unter anderem wurde die Frage „Wie fühlen Sie sich im Moment?“ gestellt. Beantwortet wurde mittels einer Zahlenskala von 0 (= sehr schlecht) bis 10 (= sehr gut). Der Durchschnittswert aus 97 Behandlungen ergab 5,3 vor der Behandlung und 8,7 nach der Behandlung.
Im Moment läuft ein weiteres TT-Projekt, dieses Mal an herz- und gefäßchirurgischen Patienten. Zur besseren Beurteilung führen wir das Projekt auf der „Bettenstation“ und nicht auf der Intensivstation durch. Mit dem Projekt möchten wir den komplementären Bereich in der Pflege mehr in den Vordergrund rücken und die ganzheitliche Sicht der Pflege verstärken. Ziel des Projekts ist es, durch Entspannung Schlafstörungen und Schmerzen zu mindern, dadurch kommt es zur Stressreduktion und zur Steigerung des Wohlbefindens.
Der geplante Ablauf stellt sich folgendermaßen dar: 35 postoperative Patienten nach Herz- und Gefäßoperationen erhalten drei Anwendungen an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Bemessen werden das Entspannungsgefühl mithilfe eines standardisierten Fragebogens und die Atemfrequenz.
Bis jetzt konnten wir sehr gute Ergebnisse im Bereich Entspannung und Schmerzminderung verzeichnen.
Interview mit Silke Gerster [*], Intensivpatientin
Frau Gerster, warum und wie lange waren Sie auf der Intensivstation?
Es war der 19. Dezember. Am Abend zuvor hatte ich bis Mitternacht Weihnachtsplätzchen gebacken. Deshalb habe ich mich auch nicht gewundert, dass ich am nächsten Morgen Rückenschmerzen hatte. Im Lauf des Tages wurden die Schmerzen immer schlimmer, ich bekam immer schlechter Luft, und am Abend spielte auch noch der Kreislauf verrückt. Ich wurde mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert, doch es stellte sich schnell heraus, dass es sich um einen Pneumothorax an der rechten Lunge handelte. Dank zweier Drainagen stabilisierte sich mein Zustand. Ich musste allerdings auf der Intensivstation bleiben, da sich der Pneumothorax nicht zurückbildete.Aufgrund einer bestehenden Vorerkrankung und der Tatsache, dass Weihnachten war, war es unmöglich jemanden zu finden, der mich hätte operieren können und wollen. Doch ohne OP, das wurde mit der Zeit immer klarer, würde es nicht gehen. Es dauerte bis zum 8. Januar, also zwanzig Tage, bis ich endlich verlegt und operiert werden konnte.
Was haben Sie auf der Intensivstation als besonders belastend empfunden?
Die Ungewissheit und das Warten – nicht zu wissen, ob und wenn ja wann ich operiert werden und ob ich dann auch wieder gesund werden würde.Ich war bei vollem Bewusstsein und mobil, doch ich musste ständig am Monitor hängen. Ich konnte nicht selbstständig aufstehen oder auf die Toilette gehen – ich war in allem abhängig von den Pflegerinnen, die durch die Bank phantastisch waren, aber dennoch …Der Lärm der Geräte, die schlechte Luft, die unruhigen Nächte, zudem starben während meines Aufenthalts drei Patienten – natürlich geht das nicht spurlos an einem vorüber.
Wie wurde Ihnen TT angeboten?
Es war ein Tag vor Heiligabend. Ich war sehr verspannt. Die Schwester, die mich an diesem Tag betreute, bemerkte das und bot mir an, TT anzuwenden. Als sie mir erklärte, wie TT funktioniert und was es im besten Fall bewirken könnte, war ich schnell bereit es zu versuchen.
Wie haben Sie sich während der Behandlung gefühlt?
Gut, sogar sehr gut! Zuallererst ist da jemand, der sich mit dir, deiner Angst und deinen Schmerzen beschäftigt – plötzlich fühlst du dich nicht mehr so allein. Die Berührungen waren sehr angenehm und entspannend. Alles andere trat in den Hintergrund. Ich war mit meiner Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt, ganz bei mir.
Welche Veränderungen haben Sie durch TT empfunden?
Mein Körpergefühl wurde wieder stärker. Soweit ich mich erinnere, konnte ich schon nach der ersten Behandlung tiefer einatmen. Ich wurde insgesamt ruhiger und die Verspannungsschmerzen verschwanden, was sich unmittelbar auf meine Schlafqualität auswirkte: Ich schlief tiefer und länger.
Wie haben Sie sich nach der TT-Anwendung gefühlt?
Die Berührungen und die menschliche Zuwendung trugen maßgeblich dazu bei, dass ich mich weniger hilflos und fremdbestimmt fühlte, da man bei TT nicht nur auf Körperfunktionen reduziert wird, sondern als ganzer Mensch wahrgenommen wird.
Wie lange hat die Wirkung angedauert?
Ein paar Stunden. Besonders hilfreich waren die Anwendungen am späteren Nachmittag, da die Wirkung dann bis in den Schlaf hinein reichte.
Möchten Sie uns noch etwas sagen?
Meiner Meinung nach ist Therapeutic Touch eine sehr wirksame Therapieform, die zum Abbau von Stress, Angst und Schmerz beiträgt.Selbst wenn man nicht an die Wirkung von Therapeutic Touch glaubt, muss es selbst dem kritischsten Verstand einleuchten, dass menschliche Zuwendung, Berührung und Wärme den Zustand eines Patienten positiv beeinflussen, besonders wenn man ängstlich, desorientiert oder von Schmerzen geplagt ist – Zustände, an denen wahrscheinlich beinahe jeder Patient auf einer Intensivstation irgendwann leidet.Ich jedenfalls bin froh, dass ich die Chance hatte, Therapeutic Touch in Anspruch nehmen zu können.
Ursula Bibars
[* Name geändert]
Aus der Zeitschrift intensiv 3/2015