• Schmerzwörter

     

Der Einfluss von Schmerzwörtern auf die Schmerzverarbeitung

Schmerzassoziierte Wörter aktivieren die Schmerzmatrix und triggern das aktuelle Schmerzempfinden. Bei chronischen Schmerzpatienten sind diese Effekte stärker ausgeprägt. Physiotherapeuten sollten also einen „schmerz-armen“ Kommunikationsstil mit ihren Patienten pflegen.

Schmerz ist per definitionem eine somatosensorische Wahrnehmung mit negativer Valenz. Dies bedeutet, dass ein Mensch Schmerzen fast ausnahmslos als unangenehm empfindet und er so u. a. lernt, Schmerzen zu vermeiden. Gleichzeitig ist bekannt, dass noxische Stimuli nicht per se als schmerzhaft empfunden werden müssen, sondern dies kontextabhängig ist. So gibt es viele Faktoren, welche die Verarbeitung schmerzhafter Reize im Gehirn beeinflussen wie etwa Emotionen, Empathie-Gefühle, Aufmerksamkeit, Lern- und Gedächtnisprozesse sowie Erwartungshaltungen. Entsprechend hat wohl jeder erlebt, dass er Schmerzen als weniger stark empfindet oder überhaupt nicht wahrnimmt, wenn er gerade abgelenkt oder seine Stimmung ausgesprochen positiv ist. Umgekehrt verstärken eine hohe Aufmerksamkeitsfokussierung auf das Schmerzereignis oder eine negative Stimmungslage unser Schmerzempfinden.

Schmerz und Sprache

Der Einfluss von Sprache auf die Schmerzwahrnehmung wurde bis dato kaum untersucht. Zwar ist über die Rolle der Sprache im Zusammenhang mit Placebo- oder Nocebo-Effekten einiges bekannt, doch die Frage, ob einzelne Wörter die Schmerzwahrnehmung eines Menschen beeinflussen können, wurde seitens der Wissenschaft eher stiefmütterlich behandelt. Dies überrascht, denn wenn Schmerzimpulse nachgewiesenermaßen die Aufmerksamkeit eines Menschen erregen, dessen Gefühlslage beeinflussen und dies Gedächtnisspuren hinterlassen kann, so liegt doch die Vermutung nahe, dass Schmerz unweigerlich und wohl unwillkürlich im Gehirn auch eine semantische Repräsentation, die der Beschreibung des Schmerzes entspricht, also etwa „stechend“ oder „brennend“, ansteuert.

Assoziationen In der Psychologie bedeutet der Begriff Assoziation, dass einfache kognitive Elemente, Emotionen oder Sinneseindrücke unter bestimmten Bedingungen miteinander verknüpft werden können. Dies erklärt das Phänomen, dass zwei oder mehr ursprünglich isolierte psychische Inhalte eine so enge Verbindung miteinander eingehen, dass das Aufrufen eines Assoziationsgliedes das Auftreten eines oder mehrerer weiterer Assoziationsglieder nach sich zieht oder zumindest begünstigt.

Lernprozesse Nach der Geburt besitzt ein Mensch keinerlei Assoziationen zwischen irgendeinem Wort, einem Gefühl oder einem Gegenstand. Erst mit der Zeit lernt er durch seine individuelle Lebenssituation und -erfahrung, Wörter mit Dingen oder Gefühlen zu verknüpfen et vice versa. Im Laufe eines Lebens entstehen so unzählige Gedankenverknüpfungen, die von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst werden.

Ein alltägliches Beispiel soll helfen, diese kortikale Kopplung deutlich zu machen.

Fallbeispiel

Kontextabhängige Assoziationen

Ein Rettungssanitäter oder Notarzt wird beim Hören des Begriffs „Trage“ wahrscheinlich die Trage in einem Rettungsfahrzeug assoziieren, ein Bestatter womöglich an eine „Trag-Bahre“ denken. Je nach Kontext sind auch Assoziationen des Begriffs mit einem „Trag-Gestell“ oder einem „Korb“ möglich. Wiederum anders mögen die gedanklichen Verknüpfungen bei jungen Eltern sein, die mit dem Begriff „Trage“ voraussichtlich an eine „Baby-Trage“ denken – in Abhängigkeit wiederum davon, wie häufig sie eine solche Trage benutzt haben und wie lang diese Erfahrung zurückliegt.

Das Wort „Trage“ ist also assoziativ in unserem Gehirn eingebunden, und die Assoziationsstärke variiert aufgrund der persönlichen Erfahrungen und Lebensumstände.

Netzwerktheorie

Gemäß der Netzwerktheorie von Donald Hebb steigert sich die Assoziationsstärke jeglicher Stimuli mit der wiederholten gemeinsamen Erregung der Kontakte zwischen den beteiligten Nervenzellen – dies u. a. durch den Prozess der Langzeitpotenzierung.

Assoziative Kopplung Derartige Kopplungen treten auch hinsichtlich der menschlichen Sprachwahrnehmung auf. So aktivieren Verben wie „Springen“ oder „Laufen“ nicht nur jene Neuronen in Hirnbereichen, welche die Sprache verarbeiten, sondern automatisch auch sensomotorische und motorische Areale, in denen die homunkulären Strukturen für das Bein lokalisiert sind. Analog aktivieren Begriffe wie „Küssen“ und „Schmecken“ die entsprechenden Gesichtsregionen des Homunkulus; „Schreiben“ und „Greifen“ die Handareale.

Schmerzmatrix und Sprachareale

Da jeder Mensch im Laufe seines Lebens wiederholt Erfahrungen mit Schmerz sammelt, sollte es in Analogie zu Hebbs Netzwerkvorstellungen sodann zur engen Kopplung zwischen den neuronalen Strukturen der Schmerzmatrix und ihrer semantischen Repräsentation in den entsprechenden Spracharealen kommen. Dies bedeutet, dass die Erfahrung von „brennendem“ Schmerz unweigerlich die sprachliche Repräsentation von „brennendem Schmerz“ anregt.

Lesen Sie den gesamten Beitrag hier: Der Einfluss von Schmerzwörtern auf die Schmerzverarbeitung

Aus der Zeitschrift: Der Schmerzpatient 04/18

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