• Evidence-based Practice versus erfahrungsbasierte Therapie - Physiotherapie - Georg Thieme Verlag

     

Evidence-based Practice versus erfahrungsbasierte Therapie

Therapeuten sollen heute nicht mehr nach Intuition und Gefühl behandeln. Vielmehr sollen sie sich an klinischen Leitlinien orientieren. Wird klinische Entscheidungsfindung damit zu einem rationalen Denkprozess stilisiert? Schließen Vernunft und Gefühle einander aus? Für vernünftige Entscheidungen, so heißt es, braucht es einen kühlen Kopf. Doch stimmt das wirklich?

1982 betrat ein außergewöhnlicher Patient das Behandlungszimmer des portugiesischen Neurologen Antonio Damasio. Sein Name war Elliot, dem einige Monate zuvor aufgrund eines Tumors ein Teil des präfrontalen Kortex entfernt werden musste. Elliot zeigte weder sensomotorische noch kognitive Störungen, und dennoch hatte sich sein Leben radikal verändert. Er wies eine empfindliche Störung seiner Entscheidungsfähigkeit auf und konnte unermüdlich darüber nachdenken, ob nun das eine oder das andere richtig ist. Nur zu einem Entschluss kam er nie.

Während Elliot ständig Entscheidungen gegeneinander abwog, war in einem anderen Fall das rasche Urteil lebensnotwendig: Einen schnellen Entschluss musste Chesley Sullenberger am 15. Januar 2009 fassen. An diesem Tag startet der Inlandflug 1549 vom New Yorker Flughafen La Guardia. Kurz nach dem Start kollidiert ein Schwarm Gänse mit der Maschine. Beide Triebwerke fallen aus. Eine Rückkehr zum Flughafen? Einen Absturz mitten in New York riskieren? Entgegen aller Routinen entscheidet sich der erfahrene Pilot gegen La Guardia – und für eine Notwasserung auf dem Hudson River. Das Manöver gelingt. Pilot Sullenberger verhindert die Absturzkatastrophe inmitten von New York und rettet allen Passagieren, der Crew und sich selbst das Leben.

Zwei Beispiele, in denen es um Entscheidungen geht. Auch Physiotherapeuten treffen täglich Dutzende Entscheidungen – aber wie gelangen sie zu diesen? Seit einigen Jahren definiert die Physiotherapie ihr Handlungsfeld in Theorie und Praxis neu. Geprägt von wissenschaftlicher Emanzipation und Professionalisierung verläuft dieser Prozess naturgemäß nicht reibungslos. Stammt die traditionelle Physiotherapie doch aus einer Zeit, in der niemand Anspruch auf evidenzbasierte Behandlungen erhoben hat. Die Erprobung im individuellen Praxisalltag und die „guten Erfahrungen“ reichten als Beleg vollkommen aus. Doch diese Konzepte werden vor dem Hintergrund zunehmender Evidenzbasierung hinsichtlich Aktualität und Wirksamkeit kritisch hinterfragt. Wenn eine junge Profession wie die Physiotherapie allerdings plötzlich mit ihren eigenen Traditionen bricht und unter Anwendung moderner Behandlungsmethoden den Anspruch erhebt, bessere Ergebnisse zu erzielen, dann gerät sie unweigerlich in Widerstreit mit ihrer eigenen Vergangenheit.
 

Unangenehmer Spannungszustand

Kaum verwunderlich, dass die meisten Therapeuten – trotz des guten Vorsatzes, evidenzbasiert zu arbeiten – ihre Entscheidungen weiterhin auf Grundlage persönlicher Erfahrungen treffen. Scheinbar fühlt sich die Evidence-based Practice (EBP) am Ende doch nicht ganz so gut an. Was aber macht die Umsetzung in die Praxis so schwer? Wie entsteht die Diskrepanz zwischen offen bekundetem Interesse an der EBP und ihrer tatsächlichen Ausführung?

Die Physiotherapie steht hier keineswegs vor einer ungewöhnlichen Herausforderung. In vielen Situationen, die Veränderung betreffen, verhalten sich Menschen entgegen ihren Überzeugungen und zuvor geäußerter Einstellungen. Der Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten ist nüchtern betrachtet gering. In der Theorie der kognitiven Dissonanz beschreibt der US-amerikanische Sozialpsychologe Leon Festinger sogar, wie Menschen dazu neigen, erst auf bestimmte Weise zu handeln, um anschließend ihre Einstellung an das gezeigte Verhalten anzupassen.

Lesen Sie den vollständigen Beitrag hier: Zwischen zwei Polen – Evidence-based Practice versus erfahrungsbasierte Therapie

Aus der Zeitschrift: physiopraxis 01/2020

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