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Schmerzgestik als Wegweiser – Das Fasziendistorsionsmodell
Die besondere visuelle Diagnostik mit speziellen manuellen Behandlungstechniken zeichnet das Fasziendistorsionsmodells (FDM) nach Typaldos aus. Die Schmerzgestik des Patienten weist dabei den Weg zur notwendigen therapeutischen Vorgehensweise. Der Patient wird so zum Regisseur seiner Behandlung. Simpel? Nur auf den ersten Blick.
Selbst bei eindeutigen klinischen Diagnosen sind die therapeutischen Konsequenzen in der Physiotherapie bunt und vielfältig. Im Gegensatz zu dieser Vielfalt bietet das Fasziendistorsionsmodell (FDM) nach Stephen Typaldos bei funktionellen schmerzhaften Erkrankungen des Bewegungsapparates eine eindeutige Verknüpfung zwischen Diagnose und Therapie: Jede definierte Schmerzgeste zieht nur eine therapeutische Vorgehensweise nach sich. Darauf konzentrierte sich der Notfallmediziner und Osteopath Stephen Typaldos, als er Anfang der neunziger Jahre begann, auf dieser Basis das Fasziendistorsionsmodell zu entwickeln.
Die sechs Schmerzgesten
Typaldos fiel auf, dass seine Schmerzpatienten immer wieder die gleiche Körpersprache verwendeten. Er interpretierte den unbewussten aber gezielten Griff an die verschiedenen Körperregionen, aber nicht nur als ein Zeigen des Patienten, wo der Schmerz liegt, sondern ging den Schmerzgestiken genauer auf den Grund. Heraus kam eine Kategorisierung der Gesten in sechs verschiedene Handzeichen, die die Patienten in der Regel mit verbalen Beschreibungen des Schmerzgeschehens unterstreichen.
→ Geste 1: Finger, Daumen oder Fingerknöchel drücken in das „protrudierte“ Gewebe
→ Geste 2: Finger streichen entlang einer schmerzhaften linearen Strecke
→ Geste 3: ein Finger zeigt auf einen Punkt oder ein eng umschriebenes Areal
→ Geste 4: Finger oder Handkante streichen über Gelenke/Wirbelsäule quer zu deren Verlauf
→ Geste 5: großflächiges Bestreichen eines Hautareals mit der Handfläche
→ Geste 6: Umfassen des Gelenks mit einer Hand und dabei versuchen, es aktiv durchzubewegen
Die sechs Fasziendistorsionen
Aufbauend auf diesen sechs Schmerzgesten stellte Typaldos sechs pathophysiologische Mechanismen für die Entstehung von Schmerz und Bewegungsstörung innerhalb der Faszien vor:
→ (hernierter) Triggerpunkt
→ Triggerband
→ Kontinuumdistorsion
→ Faltdistorsion
→ Zylinderdistorsion
→ tektonische Fixierung
Die den beschriebenen Schmerzen oder Bewegungsstörungen zugrunde liegenden Ursachen bezeichnete Typaldos als Fasziendistorsionen und postulierte mit diesem Begriff eine Störung der Mikroarchitektur des Bindegewebes, woraus sich der Name „Fasziendistorsionsmodell“ herleitet. Da die sechs Distorsionen in jeder denkbaren Konstellation bei einem Patienten auch gemeinsam an einer oder mehreren Körperregionen vorhanden sein können, ist das Fasziendistorsionsmodell anspruchsvoller, als es auf den ersten Blick scheint. Um die Vorgehensweise des Konzepts zu verdeutlichen, sind im Folgenden drei Fasziendistorsionen exemplarisch vorgestellt.
Fasziendistorsion: hernierter Triggerpunkt
Unter einem hernierten Triggerpunkt (HTP) versteht man im Sinne des FDM eine Gewebevorwölbung (Protrusion), die aus einer tieferen Gewebeschicht durch eine darüber liegende Faszienschicht dringt. Es handelt sich hierbei nicht um einen der von Travel und Simons beschriebenen Triggerpunkte der Muskulatur. Die HTPs treten nach bisherigem Kenntnisstand vor allem am Rumpf auf. Dies lässt die Vermutung zu, dass Binde- und Fettgewebe bedingt durch intrathorakalen und intraabdominellen Druck durch Faszienlücken prolabieren. In der Regel führt ein HTP zu schmerzhaften Bewegungseinschränkungen in der betroffenen Region. Es handelt sich um dumpfe, in die Umgebung ausstrahlende Schmerzen, die sich am unteren Rücken zum Beispiel wie ein Hexenschuss äußern oder an der Schulter-Nacken-Region zum typischen Schmerz über dem M. supraspinatus führen und damit einhergehend zu einer eingeschränkten HWS-Beweglichkeit.
Fallbeispiel
Die Patientin presst mit mehreren Fingern tief in das Gewebe in die Fossa supraclavicularis, um das protrudierte Gewebe in der Tiefe „zurückzudrücken“. Zudem zeigt sie eine verminderte und schmerzhafte Schultergelenkabduktion, teilweise kombiniert mit eingeschränkter Kopfrotation. Der Therapeut schließt hieraus nach dem Fasziendistorsionsmodell auf einen supraclavikulär hernierten Triggerpunkt (SCHTP). Die therapeutische Konsequenz besteht in der Fortführung der Patientengeste. Die Patientin legt sich für die Behandlung auf die Liege, der Therapeut sitzt am Kopfende und drückt zur Reponierung mit dem Daumen auf eine mandelkernförmige Raumforderung mit einer erhöhten Konsistenz in der Fossa supraclavicularis nach kaudal. Unter dem zirkulierenden Druck des Daumens verkleinert sich die tastbare Gewebeansammlung innerhalb von 30 bis 60 Sekunden. Der Therapeut hält darüber hinaus den Druck auf das Gewebe noch einige Sekunden, bis die Patientin einen deutlichen Rückgang der Schmerzen angibt. Korrekt ausgeführt, verbessert sich zugleich die oft eingeschränkte Schulterbeweglichkeit und HWS-Rotation.
Lesen Sie hier den gesamten Beitrag: Schmerzgestik als Wegweiser – Das Fasziendistorsionsmodell nach Stephen Typaldos
Aus der Zeitschrift physiopraxis 2/2016

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