• Graphästhesie-Training bei Patienten mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen

     

Wirksamkeit und Durchführbarkeit von Graphästhesie-Training bei Patienten mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen

Chronisch unspezifischer Rückenschmerz (CURS) stellt ein erhebliches Gesundheitsproblem dar. Aktuelle Studien weisen darauf hin, dass kortikale Veränderungen bei den betroffenen Patienten ein beitragender Faktor für die Persistenz von Schmerzen sein können. Bei anderen Patienten mit chronischen Schmerzen und nachgewiesenen kortikalen Veränderungen konnte die Wirksamkeit sensorischer Trainingsansätze gezeigt werden. Unklar ist, ob diese Ansätze auch bei Patienten mit CURS wirksam sind.

Rückenschmerzen sind eines der meist verbreiteten Krankheitsbilder in Deutschland. Dies zeigt unter anderem die Stichprävalenz von Rückenschmerzen, die ohne Angabe des Schweregrads „am heutigen Tag“ in einer Umfrage des Robert Koch Instituts in verschiedenen Regionen Deutschlands bei 32 – 49 % liegt.

Aufgrund der erheblichen Ausgaben für das Gesundheitssystem gehört insbesondere chronischer Rückenschmerz zu den kostenintensivsten Erkrankungen in Deutschland. Die durch chronische Rückenschmerzen verursachten volkswirtschaftlichen Schäden lagen 2010 mit 17,5 Milliarden Euro an der Spitze im Vergleich von chronischen Erkrankungen bei Arbeitnehmern. Im Jahr 2013 wurden annähernd die Hälfte aller physiotherapeutischen Heilmittelverordnungen in Deutschland aufgrund von Erkrankungen der Wirbelsäule ausgestellt.

Insgesamt liegt der Anteil unspezifischer Rückenschmerzen bei ca. 85 % und macht damit den größten Teil der Patienten mit Rückenschmerzen aus. Rückenschmerzen sind unspezifisch, wenn es keine Hinweise auf eine spezifische Ursache im Sinne einer Diagnose gibt. Die Diagnose eines spezifischen Rückenschmerzes wird gestellt, wenn ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen den Rückenschmerzen und einer definierten Ursache besteht. Die Tatsache, dass bislang wenig über die Ursachen des großen Anteils an chronischen unspezifischen Rückenschmerzen (CURS) bekannt ist, könnte eine Ursache für die begrenzte Wirksamkeit aktueller Therapien sein.

Aufgrund der erheblichen Relevanz von CURS für das deutsche Gesundheitssystem liegt eine Vielzahl an Therapieangeboten vor. Die Mehrheit der untersuchten Therapien, wie z. B. Kinesio-Taping, Interferenzstromtherapie, therapeutischer Ultraschall und Kältetherapie werden als nicht wirksam beschrieben und nicht für Patienten mit CURS empfohlen. Die Nationale Versorgungsleitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz empfiehlt für die Behandlung aktuell aktive Bewegungstherapie kombiniert mit edukativen Maßnahmen, Rehabilitationssport, Entspannungsverfahren und kognitive Verhaltenstherapie.

Sensorische Trainingsansätze finden in den Empfehlungen der Nationalen Versorgungsleitlinie bisher keine Berücksichtigung. Der Fokus liegt in einer Vielzahl der zugrundeliegenden Studien auf strukturell-funktionellen Behandlungsweisen, obwohl Forschungsergebnisse eine geringere Bedeutsamkeit struktureller Veränderungen bei CURS nahelegen. Aktuelle Forschungsergebnisse lassen die Vermutung zu, dass persistierende Schmerzen bei diesen Patienten ihre Ursache unter anderem in der kortikalen Reorganisation haben könnten. Die Messung der taktilen Wahrnehmungsschärfe wird als das klinische Korrelat zur kortikalen Reorganisation angesehen und liefert somit Informationen über das Ausmaß der sensorischen (Dys)funktion der Patienten.

Bei Patienten mit CURS zeigte sich, dass eine kortikale Reorganisation im Bereich des primären somatosensorischen Kortex (S1) stattfindet, die als eine Veränderung der Repräsentation des betroffenen Körperareals im primären somatosensorischen Kortex definiert werden kann. Die Veränderungen auf S1 scheinen bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung von chronischem Schmerz eine Rolle zu spielen. Obwohl zunehmend von einer Relevanz der kortikalen Veränderungen bei CURS ausgegangen wird, gilt es weiter zu untersuchen, ob diese wirklich eine Ursache, Wirkung oder Folge der Symptomatik sein können.

Ähnliche Veränderungen wie bei Patienten mit CURS finden sich auch bei Patienten mit Amputationen oder Complex Regional Pain Syndrome. „Cortical Remapping“ als eine neuronale Reorganisation im Gehirn ist demnach ein bekannter Faktor bei chronischen Schmerzsyndromen. Ein klinischer Hinweis auf die kortikale Reorganisation ist bei Patienten mit Complex Regional Pain Syndrome oder Phantomschmerz nach Amputationen eine erhöhte Schwelle bei der Zweipunktdiskrimination. Forschungsergebnisse legen nahe, dass sensorisches Diskriminationstraining die Schmerzen der Patienten mit Complex Regional Pain Syndrome lindert und ihre taktile Wahrnehmungsschärfe verbessert. Durch ein sensorisches Training soll sich die Veränderung auf dem somatosensorischen Kortex zurückbilden lassen, und diese Rückbildung einen Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung der Patienten haben. Allerdings gibt es noch keine Studie, die einen Bezug zur körperlichen Funktionsfähigkeit und Lebensqualität von Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen herstellt.

Lesen Sie hier den gesamten Beitrag: Wirksamkeit und Durchführbarkeit von Graphästhesie-Training bei Patienten mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen

Aus der Zeitschrift: physioscience 02/2018

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