• "Die ambulante Therapie war für mich ein Weg aus der Sackgasse, keine Arbeit zu finden bzw. keine Arbeit zu bekommen. Ich hoffte, dort neue Wege aufgezeigt zu bekommen."

     

Gruppentherapie - der Weg aus der Sackgasse

Ein Patientenbericht von Hans Schlegel - Mit 50 Jahren hat Herr Schlegel einen Schlaganfall und kann anschließend nicht mehr in seinen Beruf als Elektriker zurückkehren. Aus diesem Grund entschließt er sich, wohnortnah eine teilhabeorientierte ambulante neurologische und neuropsychologische Komplexbehandlung zu beginnen. Mutig erzählt der Autor über seine Erfahrungen, die neuen Einsichten und seine neuen Kontakte, die er durch die Gespräche in der Gruppe gewonnen hat.

Wo bin ich und was sind meine Fähigkeiten?

In der ersten Reha, in der ich war, ging es hauptsächlich um die körperlichen Einschränkungen. Ziel war, dass meine halbseitige Lähmung rechts behoben wird und wieder verschwindet. Dieser Wunsch hat sich nur teilweise erfüllt: Die Handfunktion ließ sich nahezu vollständig wiederherstellen. Mit dem Fuß war es nicht ganz so, das hat ein gutes Jahr gedauert, bis ich mich traute, richtig aufzutreten. In der zweiten Reha befand ich mich mehr der Psyche wegen. Ich sollte aus meiner Lethargie herauskommen, die sich mit meinen Defiziten entwickelt hatte. Damals zog ich mich sozial sehr zurück und hatte Probleme, in der Gruppe zu sprechen. Wenn man abends zum Beispiel mit Freunden oder Kollegen zusammensaß, war ich mehr der passive Part und konnte mich nicht aktiv ins Gespräch einbringen.

Die ambulante Therapie war für mich ein Weg aus der Sackgasse, keine Arbeit zu finden bzw. keine Arbeit zu bekommen. Ich hoffte, dort neue Wege aufgezeigt zu bekommen. Es ging mir darum festzustellen, wo stehe ich, was sind meine Fähigkeiten und was sind meine Defizite. Natürlich sollten sich in den sechs Wochen der ambulanten Therapien meine Fähigkeiten verbessern, und neue Zukunftsaussichten wünschte ich mir auch.

In der Gruppe: frei reden und gemeinsam Lösungen finden

In der vorangegangenen Reha sammelte ich sehr gute und angenehme Erfahrungen mit Therapiegruppen. Besonders gefördert oder unterstützt hat mich in den Gruppen hauptsächlich die Erfahrung, dass es andere Leute gibt, die ähnliche Probleme haben, und dass es anderen genauso oder vergleichbar geht. In der Gruppe kann man sich mit den anderen austauschen. Es hilft, dass man nicht – wie in der Einzeltherapie – alleine ist und denkt „Was bin ich für ein kleiner Wurm“. In einer Gruppe, da kann jeder frei reden, und man erkennt, die haben dieselben Probleme, obwohl sie vielleicht andere Krankheiten haben. Dabei geht es nicht nur um Probleme, sondern auch um Problemlösungen. Der eine hat dieses probiert, der andere jenes. Davon habe ich profitiert, und es hat mich weitergebracht.

In meiner ersten stationären Reha gab es keine Gruppentherapien. Aber in der zweiten gehörte es zum Therapieplan. Die Thematiken in der Gruppe waren allerdings anders als in der ambulanten Versorgung. Dort wurde ein Thema mehr oder weniger vom Therapeuten vorgegeben. Da konnte man über ein Thema sprechen und sich mehr einbringen. Oder es wurden in Rollenspielen bestimmte Situationen nachgespielt, zum Beispiel von Problemen, auf die man treffen kann. Insgesamt war es für mich lebenspraktischer. Oder es gab ein ganz anderes Thema, das unter den Nägeln brannte, dann wurde es natürlich auch besprochen. Wir konnten immer eigene Themen einbringen.

Wenn einer der Mitpatienten in der Gruppe davon erzählte, welche Schwierigkeiten er hatte oder dass es zu Hause Probleme mit dem Partner gab oder Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder im Beruf, war das Thema keine Belastung für mich, aber es beschäftigte mich – auch über die Gruppe hinaus. Dann fragte man schon mal im Frühstücksraum: „Wie geht‘s dir denn jetzt so?“ oder „Was ist denn passiert in der Hinsicht?“. So sind soziale Kontakte gewachsen, die über die Gruppentherapiezeit hinausreichten. Sogar heute habe ich noch Kontakte zu einigen Leuten.

Man lernt in der Gruppentherapie, frei über die eigene Krankheit zu reden. Sozusagen: „Hört her, mir geht‘s jetzt so und so, so ist das und so sieht es aus. “ Das heißt, ich habe gelernt anzuerkennen, das geht jetzt nicht mehr alles so wie früher. Die zeitliche Belastung und das Pensum sind für mich körperlich nicht mehr machbar. Das anzuerkennen, hat einige Zeit gedauert. Aber schließlich erkennt man seinen eigenen Zustand. Die Gruppe hilft, dass man auf den richtigen Weg kommt.

Wohlfühlen – geborgen fühlen – Sicherheit

Ein wichtiger Aspekt in der Gruppe war für mich, sozial beschützt zu sein durch Gleichgesinnte oder Menschen mit gleichen oder vergleichbaren Erfahrungen. Dieses Wissen nehme ich mit in die – wenn ich das so nennen darf – „freie Wildbahn“. Das heißt in mein gegenwärtig laufendes Berufspraktikum. Da zeigt sich, dass nicht alle gesund sind. Sondern der eine hat zum Beispiel einen Herzinfarkt gehabt. Das hat er erst zugegeben, nachdem ich von meinem Schlaganfall erzählt hatte. Also da hat jeder sein Päckchen zu tragen, und das verbindet auch.

Ich habe sehr von den Gruppen profitiert – ich würde sogar noch mehr auf Gruppentherapien setzen, mir gefällt das sehr gut.

 

 

Neuroreha nach Schlaganfall
Jan Mehrholz, Louise Ada, Catherine Dean, Christian Dettmers, Christian DohleNeuroreha nach Schlaganfall

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