• Im Behandlungsraum hebt Frau Lanz langsam den rechten Arm in Flexion. „Haben Sie es gehört?”, ruft sie triumphierend. Bei etwa 80 Grad und absoluter Geräuschkulisseneliminierung ist ein hauchdünnes Plopp zu hören.

     

Knick, knack, verzwackt

MAIER-KOLUMNE: Die Momente, in denen sich der Schalter zum professionellen Handeln einfach nicht umschalten lassen will, kennt vermutlich jeder Therapeut. Unserer Kolumnistin Ulrike Maier ist das neulich ausgerechnet bei einem „Notfall” passiert …

Zwischen zwei Patienten bekomme ich mit den Worten: „Eine Frau Lanz!” den Telefonhörer in die Hand gedrückt. Ich blicke auf die Uhr. „Hallo, wie kann ich helfen?”, flöte ich. „Bin ich denn jetzt endlich mit einer Physiotherapeutin verbunden?”, kommt es genervt vom anderen Ende der Leitung. Nach zwanzig Jahren physiotherapeutischer Erfahrung kann ich an der Stimmlage meiner Gesprächspartnerin und meinem eigenen Genervtheitszustand genau erkennen: Das wird heute im Hier und Jetzt nichts! Verzweifelt versuche ich, auf professionell zu schalten: „Ja, ich bin Physiotherapeutin. Was kann ich für Sie tun?” „Ihre Kollegin hat mir diese Übung mitgegeben. Ist die wirklich gut für mich?”, will Frau Lanz von mir wissen. „Meine Kollegin ist morgen wieder da”, versuche ich das Gespräch zu beenden. „Ja, aber das ist ein NOTFALL!”, ruft sie entsetzt. Ich blicke einem Patienten hinterher, der sich vor Schmerzen krümmt. „Tut es so weh?”, frage ich ins Telefon. „Nein! Nicht mehr!”, meint Frau Lanz, und ihr Tonfall wird dramatisch. „Es knackt!” Ich bin kurz sprachlos. Sie nicht: „Das ist die Übung mit dem Arm, den man dann nach vorne führt und zurück!” „Das ist für mich jetzt so am Telefon ein bisschen schwierig …”, versuche ich, sie erneut abzuwimmeln. „Ich bin in fünf Minuten da!”, ruft sie und legt auf.

Unter Schock lese ich in der Kartei: „Will nicht angefasst werden, ekelt sich vor eigenem Schweiß.” Unsere Sprechstundenperle Gabi nimmt wortlos zwei Wärmepackungen und geht damit zu meinem nächsten Patienten. „Es ist ein Notfall dazwischengekommen”, höre ich sie sagen. Zweieinhalb Minuten später betritt eine flotte Enddreißigerin schnellen Schrittes die Praxis. Der Notfall muss im Verborgenen liegen, denke ich. „Ich habe für Sie jetzt alles stehen und liegen lassen!”, begrüßt mich Frau Lanz vorwurfsvoll. „Was machen Sie denn?”, frage ich etwas unspezifisch. „Ich bin Selbstzahlerin!” „Beruflich, meine ich?”, lege ich nach. Sie verdreht die Augen. „Ich unterstütze meinen Mann, wo ich kann!” Meine Kiefergelenke beginnen zu knirschen.

Im Behandlungsraum hebt Frau Lanz langsam den rechten Arm in Flexion. „Haben Sie es gehört?”, ruft sie triumphierend. Ich bitte um Wiederholung, gehe ganz dicht mit dem Ohr an ihre Schulter – und tatsächlich: Bei etwa 80 Grad und absoluter Geräuschkulisseneliminierung ist ein hauchdünnes Plopp zu hören. „Das kann ich auch”, rutscht es mir raus. „Nur viel lauter!” Ich lasse ordentlich mein Schultergelenk knacken. „Das habe ich erst seit dieser Übung!”, ignoriert Frau Lanz meine Knack-Einlage und zeigt mir mit einer halbvollen Flasche in der Hand die klassische Schulter-Pendelübung. „Kann man dabei was kaputt machen?”, will sie wissen. Mein Blick wandert durch den Raum und sucht die versteckte Kamera. „Auf jeden Fall ist es nicht lebensbedrohlich!”, versuche ich sie zu beruhigen. „Sicher?”, fragt sie ernst. „Außer, Sie lassen die Flasche auf Ihren Fuß fallen”, scherze ich. „Jetzt reden Sie aber Unsinn!”, stellt Frau Lanz fest. „Dann lassen Sie die Übung eben weg!” „Hat die Kollegin also doch einen Fehler gemacht?” Ich meine, Triumph in ihrer Stimme zu hören. Und endlich, endlich kann ich den Schalter zur Professionalität umlegen: „Was, liebe Frau Lanz, soll nun geschehen, dass Sie nachher mit dem Gefühl aus der Türe gehen, die Zeit bei uns war gewinnbringend?” Eine kurze Stille tritt ein. Dann meint sie: „Die Wärmepackungen empfinde ich immer als sehr angenehm!” Ich spiele die Überraschte: „Aber genau darauf ist meine Kollegin spezialisiert! Gabi, hier ist eine Patientin für dich!” Ich verlasse den Raum, und Gabi übernimmt.

Bleibt noch zu erwähnen, dass Frau Lanz bei Gabi in Therapie bleiben will.

Cookie-Einstellungen