• Lorimer Moseley im Interview - Physiotherapie - Thieme Verlag

     

Lorimer Moseley im Interview

Er ist Physiotherapeut und mit seinem Konzept „Explain Pain“ weltweit als Schmerzexperte bekannt. Wie in seinen Kursen plaudert Lorimer Moseley auch im Interview aus dem Nähkästchen und fordert, dass Therapeuten ihre Patienten über Schmerz aufklären und unbedingt darauf achten, welche Worte sie dabei wählen.

Lorimer, in deinen Kursen erklärst du komplexe Sachverhalte anhand von Anekdoten aus deiner Arbeit. Welche Patientengeschichte hat dich am meisten beeinflusst?

Es ist schwer, eine bestimmte Geschichte herauszustellen, da viele von ihnen einen großen Einfluss auf mich und meine Arbeit hatten. Ich denke aber an einen jungen Patienten aus den frühen Neunzigern, ein Krokodiljäger. Er hatte eine Lendenwirbelsäulen-Operation mit Versteifungen auf drei Höhen und war so eingeschränkt, dass er im Rollstuhl saß. Ich sprach mit ihm in etwa im Sinne des „Explain Pain", aber es war eben in den frühen Neunzigern, und die Methodik dazu entwickelt sich ja gerade erst.

Wie ging es mit dem Krokodiljäger weiter?

Zehn Jahre später besuchte er mich bei meiner Arbeit, obwohl wir mittlerweile tausende Kilometer voneinander entfernt wohnten. Er brachte eine Glasbox mit, in der eine kleine rote Geleebohne war. Er erinnerte mich an seine Geschichte und erklärte mir, was es mit dieser Bohne auf sich hat. Während seiner Genesung war ihm klar geworden, dass das Bild, welches er von seinem eigenen Rücken hatte, den Schmerz erhalten hatte. Begonnen hatte das Ganze, als er bei seinem Chirurgen war und dieser ihm ein Modell einer Halswirbelsäule mit der Geleebohne als Bandscheibenvorfall zeigte. Dieses Ding hatte daraufhin sein Leben verändert, da er deshalb und wegen vieler Kommentare wie „verrutschte Bandscheibe“ und Ähnlichem ein negatives Bild von seiner Wirbelsäule bekommen hatte. Als er das erkannte, fuhr er zu seinem Chirurgen und entfernte mit einem Messer – sehr beängstigend – diese Geleebohne von dem Modell. Er packte sie in eine Glasbox als Geschenk für mich, das er mir mit Tränen in den Augen überreichte. Er sagte, wenn er all die Sachen über Schmerz schon früher gewusst hätte, wäre er niemals in diese Situation gekommen. Ich hatte ihm lediglich die Augen geöffnet für die unglaubliche Arbeit von hunderten Wissenschaftlern.

Über die Methode „Explain Pain“ kursieren viele Missverständnisse. Was ist „Explain Pain“ für dich?

Für mich ist „Explain Pain“ oder Pain Neuroscience Education eine Auswahl von Strategien, um Menschen die biologischen Mechanismen von Schmerz zu erklären oder ihre bisherigen Annahmen zu verändern. Und das vor allem – aber nicht zwangsläufig – bezogen auf chronischen Schmerz. Jede Intervention, die auf einem biopsychosozialen Verständnis von Schmerz basiert, sollten Therapeuten mit „Explain Pain“ vorbereiten.

Welche Probleme siehst du bei Therapeuten, die „Explain Pain“ nutzen?

Ich denke, „Explain Pain“ wird häufig trivialisiert. Viele Leute glauben, es reicht, wenn sie das Buch „Schmerzen verstehen“ lesen oder ihre eigene Version davon schreiben. Wenn wir aber nicht verstehen, wie viel Forschung, multimediales Design und Lehrmethodik dahinterstehen, können wir keinen guten Job machen. Die Leute müssen sich Gedanken darüber machen, was sie erklären wollen, und planen, wie sie es tun werden.

Warum glaubst du, dass viele Therapeuten nicht erkennen, wie schwer es ist, „Explain Pain“ passend anzuwenden?

Ich denke, das größte Problem ist, dass die Leute nicht wirklich verstehen, was „Explain Pain“ ist. Es geht um die Biologie von Schmerz und nicht darum, Patienten zu sagen: „Ihr Schmerz ist nicht real“ oder „Es ist alles nur in Ihrem Kopf“. Diese einfache, aber komplett falsche Erklärung liegt nahe, wenn man nicht versteht, welchen Änderungsprozess die Patienten in ihrer Denkweise durchlaufen müssen und dass wir Physiotherapeuten die Prozesse verändern, wie Gehirnzellen arbeiten und zusammenarbeiten.

 

Lesen Sie hier den gesamten Beitrag: Lorimer Moseley im Interview – „Wenn ich könnte, würde ich die Phrase der rausgerutschten Bandscheibe abschaffen“

Aus der Zeitschrift physiopraxis 05/2017

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