Der „Manuelle-Therapie-Dschungel“ in Deutschland
Kennen wir nicht alle die Frage: Wo soll ich die Fortbildung in Manueller Therapie absolvieren? Entweder, weil wir sie uns gerade selber gestellt haben oder weil uns junge Kollegen danach gefragt haben.
In Deutschland ist es üblich, die Weiterbildung in Manueller Therapie bald nach Beendigung der Berufsausbildung zu absolvieren. Der Erwerb eines „Abrechnungszertifikats“ in Manueller Therapie sichert einem Berufsanfänger bessere Chancen auf einen Job und ermöglicht uns bzw. unserem Chef, ein paar Cent mehr gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen abzurechen. Interessanterweise verlangen nur die Krankenkassen in Deutschland das „Abrechnungszertifikat“ als Qualitätssicherungsmerkmal. In anderen europäischen Ländern wie Österreich oder der Schweiz spielt es dagegen keine Rolle. Die Fortbildung „Manuelle Therapie“ mit einem abschließenden Zertifikat zur Abrechnung bieten in Deutschland 80 verschiedene Weiterbildungsträger an, die alle von den Krankenkassen mit auf den Vorgaben der Anlage 3 der Rahmenempfehlungen basierenden eigenen Konzepten zugelassen sind. Dieses Modell beruht auf der Einigung der Krankenkassen mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Heilmittelerbringer e. V., die sich auf eine zentrale, bundeseinheitliche Prüfung der Weiterbildungsträger, der Weiterbildungsstätten und der Fachlehrer auf Grundlage der Rahmenempfehlungen nach §125 Abs. 1 SGB V geeinigt haben. Diese Rahmenempfehlungen geben jedoch keine konkreten Inhalte vor und können variabel definiert und zusammengestellt werden. Dies erschwert zusätzlich die Entscheidungsfindung zwischen den verschiedenen Konzepten und Angeboten für Therapeuten. Um die Entscheidungsfindung zu erleichtern, wo also die Weiterbildung am besten zu absolvieren ist, wird im Folgenden das deutsche System der Manuellen-Therapie-Konzepte erläutert und hinterfragt, um so etwas Licht in den deutschen „Manuelle-Therapie-Dschungel“ zu bringen.
Dies erfordert zunächst etwas Hintergrundinformation. Zum besseren Verständnis der Strukturen dient eine allgemeine Übersicht über die organisatorische Gliederung der Manuellen Therapie, begonnen bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bis hin zu den deutschen Strukturen (▶ Abbildung oben).
Manuelle Therapie: International bis national
Die WHO ist die richtunggebende und koordinierende Autorität im Rahmen der United Nations. Sie ist unter anderem für die Führung und Leitung in Bezug auf globale Gesundheitsfragen, die Formgebung der Forschungsagenda und das Festlegen von Normen und Standards verantwortlich und zudem Befürworter evidenzbasierter Politik. Zu diesem Zweck übernimmt sie die leitende und koordinierende Rolle im internationalen Gesundheitswesen. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die höchstmöglichen Standards der Gesundheitsversorgung zu erreichen und arbeitet zudem wirksam unter anderem mit den Fachkreisen und infrage kommenden Organisationen zusammen. Auf die Weiterbildung in Manueller Therapie nimmt die WHO nur indirekt und wenig Einfluss. Jedoch ist ihr die World Confederation of Physical Therapy (WCPT; Weltverband der Physiotherapeuten), die einzige internationale Vereinigung für Physiotherapeuten, untergeordnet. Deren direkte Unterstellung unter der WHO bewirkt ihren Einfluss auf das physiotherapeutische System. Durch ihre 106 Mitgliedsorganisationen vertritt die WCPT weltweit mehr als 350000 Physiotherapeuten. Sie möchte den höchstmöglichen Standard der kulturell angemessenen Gesundheitsversorgung in der Physiotherapie durch Untermauerung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und des Clinical Reasonings gewährleisten. Dies erreicht sie in erste Linie durch die Förderung von Standards in physiotherapeutischer Forschung, Lehre und Praxis sowie dem regelmäßigen Austausch unter den Mitgliedsorganisationen. Aus diesem Grund unterstützt sie unter anderem die Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Organisationen.
Die WCPT nennt folgende Anforderungen bzw. Voraussetzungen an den Beruf des Physiotherapeuten:
- Erhebung eines umfassendes Patienten-Assessments;
- Bewertung und Beurteilung der gewonnenen Erkenntnisse aus dem Assessment und darauf basierend Treffen klinischer Entscheidungen;
- Formulierung von Diagnosen, Prognosen und Planung;
- Beratung im Rahmen der Kompetenzen und Entscheidung, wann Patienten an Ärzte überwiesen werden müssen;
- Umsetzung einer physiotherapeutischen Behandlung;
- Bewertung und Bestimmung des Outcomes bei etwaigen Interventionen;
- Hilfe zur Selbsthilfe.
Die genauere Betrachtung dieser Anforderungen verdeutlicht, dass in Deutschland zwischen Theorie und Praxis noch einige Unterschiede liegen: Als Untergruppe der WCPT hat sich die International Federation of Orthopaedic Manipulative Physical Therapists (IFOMPT) herausgebildet. Die IFOMPT legt ihren Fokus auf das physiotherapeutische Patientenmanagement bei neuromuskuloskeletalen
Funktionsstörungen (Orthopaedic Manipulative Therapy, OMT). Die OMT ist eine Spezialisierung innerhalb der Physiotherapie. Die IFOMPT sieht ihren Hauptaufgabenbereich in der Prävention und dem konservativen Management von Schmerz und anderen neuromuskuloskeletalen Symptomen und Dysfunktionen der Wirbelsäule und Extremitäten. In Bezug auf die Manuelle Therapie stellt die IFOMPT eine Schlüsselorganisation dar. Sie fördert die internationale Zusammenarbeit in der Manuellen Therapie. Aktuell schließt sie 22 Mitgliedsorganisationen aus 22 Ländern sowie 9 „Registered Interest Groups“ aus weiteren 9 Ländern zusammen. In ihrem „Standard Document“ hat sie Weiterbildungsstandards für die Manuelle Therapie festgelegt. Damit sind die Mindeststandards für die zu vermittelnden Kompetenzen für alle IFOMPT-Mitgliedsorganisationen definiert und festgelegt. In regelmäßigen Monitorings überprüft und begleitet die IFOMPT die Erfüllung dieser Standards in den OMT-Programmen der IFOMPT-Mitgliedsorganisationen und entwickelt diese weiter.
Lesen Sie hier den gesamten Beitrag: Der „Manuelle-Therapie-Dschungel“ in Deutschland
Aus der Zeitschrift manuelletherapie 2/2015