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    1000 Fragen: Bin ich nach der Ausbildung für den Beruf als Physiotherapeutin gewappnet?

     

Meine ersten 100 Tage als Physiotherapeutin

Im letzten Jahr stürzte sich Daniela C. wie viele andere junge Physiotherapeuten ins Berufsleben. Sie zeigt und erzählt, wie gut sie sich durch ihre Ausbildung auf den Beruf vorbereitet fühlte, was ihr fehlte und was für sie in den ersten 100 Tagen das Wichtigste war.


Ich bin nun seit über 100 Tagen mit Herzblut Physiotherapeutin: Gelenke, Muskeln und die Arbeit mit Menschen faszinieren mich! Nur merke ich seit Beginn meines Arbeitslebens als Therapeutin, wie wichtig neben dem Körper die Psyche meiner Patienten ist. Während der Ausbildung erhielt ich nur einen kleinen Einblick in psychologische Aspekte, und gewappnet fühlte ich mich nicht. Ich hätte mir gewünscht, mehr darauf vorbereitet worden zu sein.

Ich soll motivieren. Klar! Doch dafür muss ich die Interessen und Leiden der Patienten kennen, mit der richtigen Kommunikationsform leiten und sie vom Schmerz ablenken. Und zeitgleich musste ich lernen, einen gewissen Selbstschutz aufzubauen.

In der Ausbildung: Welche Fobi zuerst?

Schon während der Ausbildung machte ich mir Gedanken über meine erste Fortbildung. Was werde ich benötigen, um einen Job zu finden? In welche Richtung möchte ich mich entwickeln? Die Stellenanzeigen zeigten mir, was die meisten Arbeitgeber suchen: einen flexiblen Mitarbeiter, der eine Fortbildung in Manueller Lymphdrainage und eine abgeschlossene Manuelle- Therapie-Ausbildung mitbringt – und der Berufserfahrung hat. Na toll, dachte ich mir. Habe ich als Berufsanfänger da überhaupt eine Chance? Wie werde ich halbwegs gescheit leben können und dennoch Geld zur Seite schaffen, um Fortbildungen zu besuchen? Wann werde ich es schaffen, mich neben einer 40-Stunden-Woche ins Lernen zu stürzen?

Ich ärgerte mich, dass mir Wissen fehlte.

Am Ende entschied ich mich für den „pausenlosen Übergang“. Schon in der Ausbildung hatte ich die Chance, Kinesio- und Lymphkinesiotaping zu lernen. Wenigstens etwas, das ich in meine Bewerbungsmappe packen konnte. Einige Wochen nach dem Examen begann ich mit der Manuellen Lymphdrainage. Nach dem Abschluss des Kurses, den ich während eines Monats Arbeitslosigkeit in Vollzeit absolvierte, zog ich um und trat einige Tage später in einer neuen Stadt meinen ersten Job an.


Vorab: tausend Fragen

Meine Arbeitgeber waren mir sehr sympathisch. Dennoch war ich unsicher und stellte mir vorab viele Fragen. Werde ich ihren Ansprüchen gerecht werden? Wie werden sich die Kolleginnen mir, einer Berufsanfängerin, gegenüber verhalten? Werde ich die Ursache der Patientenprobleme sofort finden? Und schaffe ich es, diese effektiv zu lindern? Kann ich dem guten Ruf der Praxis genügen? Ich hatte mal was von Regressen bei Kassenärzten gehört – kann mir so was auch passieren? Ich wollte mir unter keinen Umständen Fehler erlauben und informierte mich daher vorab beim Berufsverband. Ich hatte zwar dazu auch schon eine Unterrichtseinheit in der Schule gehabt, doch sicher behaupten, dass ich mich auskenne, konnte ich nicht.

Einige Tage vor Arbeitsbeginn traf ich meine Chefs, um den Patientenplan einzusehen und um eine kurze Übergabe zu erhalten. Sie informierten mich, auf was ich in erster Linie bei den Rezepten zu achten hätte, und zeigten großes Verständnis, dass all dies für mich Neuland ist. Freude gekoppelt mit Aufregung und Sorge, ob ich alles fehlerfrei schaffe, begleiteten mich. Sehr beruhigend war, dass mir meine Chefs einen Monat Zeit gaben, um mich mit weiteren Details zur Abrechnung und Fertigstellung von Verordnungen auseinanderzusetzen. So konnte ich mich im ersten Monat ganz auf die Therapie, die Dokumentation und die Zeiteinhaltung konzentrieren.

Der erste Tag: platt, aber glücklich

Am ersten Tag freute ich mich darauf, mein ganzes Wissen endlich in die Praxis umsetzen zu können. Herrlich, endlich behandeln, ohne dass mir ein Lehrer auf die Finger schaut und an mir rumkritisiert ...

Mein erster Arbeitstag war direkt ein langer Zehn-Stunden-Tag. Der Patientenplan war prall gefüllt. Ich wusste nicht, ob mich das anstrengen würde oder nicht. Ich freute mich, gebraucht zu werden, hatte viel Energie und explodierte fast vor Elan. Mein Umfeld sagte zwar „oje, oje“, ich fühlte es zu Beginn aber nicht so und nahm es hin. Dankenswerterweise gab es für mich am ersten Tag dann aber doch eine kleine „Sonderpause“. Obgleich ich die meisten Patienten von den Kolleginnen übernahm, befundete ich sie nochmals. Ich wollte nicht blind drauflos therapieren, sondern mir selbst ein Bild machen. Schnell legte ich aber meinen mitgebrachten Befund zur Seite. Denn mit meinen Standardbogen kam ich meist gar nicht weiter. Bei jedem Patienten musste ich mit anderen Tests und einem anderen Schwerpunkt untersuchen – und oft improvisieren. Ich war sehr froh, dass ich in der Ausbildung zur Genüge gelernt hatte, einen ordentlichen Befund zu erstellen.

Und juhu – siehe da, ich erhielt auch schon die ersten positiven Rückmeldungen von einigen Patienten. Meine Arbeitgeber schenkten mir Vertrauen und nahmen mich direkt als eine Kollegin auf Augenhöhe auf. Eine wichtige Aussage gab mir Mut, Sicherheit und die Gewissheit, in jeder Situation auf sie zugehen zu können: „Egal, was kommt, wir stehen in erster Linie voll und ganz hinter unseren Mitarbeitern.“ Und auch die Kolleginnen kamen offen und herzlich auf mich zu. Ich erhielt Tipps zu und Techniken für Patienten und Methoden, wie ich mir am besten die Zeit einteilen sollte, um Behandlung, Dokumentation und Abrechnung unter einen Hut zu bringen. Für mich war es sehr wichtig zu wissen, dass ich jederzeit auf sie zugehen kann und sie um Rat bitten. Denn gerade was mein Zeitmanagement betraf, hatte ich große Bedenken. Und auch meinen Chefs konnte ich über meine Patienten, Vorgehensweisen und Hypothesen berichten und erhielt von ihnen Denkanstöße, Tipps und Techniken.

Am Ende des ersten Tages war ich platt aber glücklich – und überrascht, da es mir gelungen war, die Therapiezeiten einzuhalten. Während der Praktika war mir dies so häufig im Weg gestanden ...

Die ersten Wochen: Selbstzweifel und Aha-Erlebnisse

In der ersten Woche machte ich mir zu Hause viele Gedanken über bestimmte Fälle. Ich versuchte nachzublättern, doch reichte mir häufig die Zeit nicht. Die neue Stadt und der Umzug brachten noch so viele andere Dinge hervor, die ich erledigen musste. Die Selbstzweifel in mir wuchsen plötzlich immer mehr. Ich ärgerte mich, dass mir in manchen Bereichen Wissen fehlte. Zwar hatte ich die Anatomie und Befundung präsent, jedoch nicht immer die Therapie dazu. Mit der Behandlung der HWS und des Kiefergelenks war ich ebenso überfordert wie mit viszeralen Zusammenhängen und Muskelketten ...

Ich verzweifelte an meinen Erwartungen und fragte mich, ob dies wirklich der Beruf ist, den ich mein ganzes Leben ausführen möchte. Erst als ich einige Male die Therapie meines Chefs ansehen konnte, kam ich aus der Gedankenfalle heraus. Seine Vorgehensweise als Osteopath gefiel mir. Ich sah wieder Licht am Ende des Tunnels und akzeptierte, dass ich Zeit und Geduld brauchen würde und die Physiotherapieausbildung nur eine gute Grundlage ist, auf der ich aufbauen muss.

Dadurch, dass wir im Halbstundenrhythmus arbeiten und die Behandlungszeit 20–25 Minuten dauert, bleiben 5–10 Minuten, um einen Therapiebericht zu schreiben oder um das Rezept fertigzustellen. Über eine Person freue ich mich daher täglich in der Praxis: unsere Rezeptionskraft! Sie leistet sehr viel organisatorische Arbeit und bringt Ordnung in die Praxisbürokratie. So gewinnen wir Therapeuten etwas Zeit, um nicht in Verzug zu geraten.

Nach 100 Tagen: noch lange nicht am Ende

Mittlerweile habe ich manch Neues in mein Therapierepertoire aufgenommen. Ich war auf den ersten zwei Modulen der Manuellen Therapie und fasse danach jedes Mal neuen Mut. Es bereitet mir Freude, nach Ursachen zu suchen, diese zu behandeln und Symptomatiken zu verbessern, obwohl ich nicht an der betroffenen Stelle arbeite. In den ersten 100 Tagen gab es einiges, an dem ich erst wachsen musste. Dabei drohte ich vor allem, an meinen Erwartungen zu scheitern. Ich blicke schon jetzt mit anderen Augen auf meinen Beruf als direkt nach der Ausbildung. Mir ist klar, dass ich noch lange nicht „am Ende“ bin.

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