• Schmerztherapie

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Ansätze zur Schmerztherapie

Fragen zu stellen, ist der beste Weg, etwas zu ändern. Neue Ansätze im Verständnis chronischer Schmerzen und in ihrer Therapie entstehen durch Beobachten von Patienten, genaues Zuhören und Beachten gerade der Aspekte, die nicht in die gängigen Vorstellungen passen. Die Fragen, die daraus entstehen, werden in der Interaktion mit dem Wissenschaftler und dem Patienten beantwortet und bilden die Basis der therapeutischen Arbeit.

Prolog

Brücken zwischen Wissenschaftlern und Klinikern
Obwohl Wissenschaftler die Antworten auf viele Fragen vorantreiben, sind es die Kliniker und Patienten selbst, die uns sagen, welche Fragen wir zu beantworten haben. Zudem haben die Kliniker aufgrund ihrer täglichen Arbeit schon eine Vielzahl von Antworten gefunden, die es mit wissenschaftlichen Methoden zu testen gilt. Ihre Erfahrung muss also durch enge Interaktion in die Arbeit der Wissenschaft einfließen. Darum sind wir interessiert, Brücken zwischen Wissenschaftlern und Klinikern zu bauen. Hier möchten wir einige der relevantesten Fragen der Wissenschaftler darstellen und hoffen, dass uns dies bald in die Lage versetzen wird, bessere klinische Antworten zu formulieren.

Beobachtung der Patienten
Es gibt viele Forschungsprogramme, die sich mit der Frage beschäftigen, wie die Entstehung chronischer Schmerzen in der Klinik vermieden werden und wie die Therapie verbessert werden könnte. Wir wissen, dass eine wesentliche Strategie einfach in der genauen Beobachtung der Patienten besteht. Hierbei ist vor allem die Beachtung der Aspekte wesentlich, die vielleicht nicht in unsere gängigen Vorstellungen passen. Gerade solche Beobachtungen können jahrelange formale Experimente ersetzen. Hier ist es wichtig, vorurteilsfrei zuzuhören und die Beobachtungen zu notieren.

Zuhören
Das Zuhören ist nach unserer Auffassung eine unterbewertete Fähigkeit. Wirklich zuzuhören heißt, Ihre Aufmerksamkeit auf den Patienten zu konzentrieren und zu hören, was er sagt, wie er es sagt und wie er sich verhält, während er es sagt. Auch die sorgfältige Niederschrift – gerade auch wenn sie nicht die gängige Auffassung unterstützt – kann hier jahrelange formale Experimente ersetzen.

Antworten auf wichtige Fragen
In einer Anekdote (siehe Kastentext) ist als Beispiel Lorimers erste Begegnung mit einem Phantomschmerzpatienten dargestellt. Solche Erfahrungen wie auch Geschichten, die in Gesprächen mit Klinikern entstanden sind, können uns helfen, Antworten auf wichtige Fragen zu finden, wie zum Beispiel auf diese:

  • Was charakterisiert chronische Schmerzen?
  • Wie könnte Plastizität maladaptiv werden?
  • Was ist ein Schmerzgedächtnis?
  • Wie nutzen wir unser Wissen, um Menschen mit chronischen Schmerzen zu helfen?
  • Nutzen wir dieses Wissen wirklich effektiv?
  • Welche Rolle haben hier Medikation, Erziehung, kognitive Strategien und die Rehabilitation?
  • Wann sollen wir eigentlich was machen?
  • Meine erste Begegnung mit dem Phantomschmerz - von Lorimer Moseley

    Was mein Interesse an der Schmerzwissenschaft am meisten geweckt und meine Fragestellung am intensivsten genährt hat, waren Erlebnisse mit Patienten. Dies sind Erfahrungen, die sich am stärksten eingeprägt haben. Fast wie ein Rätsel, dem ich seitdem auf die Spur kommen möchte.

    Hier ist eine kurze Darstellung eines dieser Schlüsselerlebnisse: Meine erste Begegnung mit dem bemerkenswerten Phänomen der Phantomschmerzen erlebte ich, als ich von Adelaide nach Norden in das australische Outback getrampt bin. Ein rostiges und keuchendes Vehikel kam in einer Wolke von Staub auf mich zu, und eine Stimme erhob sich aus dieser Wolke: „Do you want a lift, mate?“

    Ich sprang also in das Auto, bevor ich den Fahrer wirklich gesehen hatte. Ihn endlich zu sehen, war eine Erfahrung, die ich nie vergessen werde. Nicht nur, dass der Zustand des Mannes recht ungepflegt und abschreckend war; er hatte auch noch ein Jagdmesser von etwa 40 cm Länge in der Hand, dessen Spitze sich in einen Apfel bohrte. Mit stechendem Blick fixierte er mich, nahm den Apfel vom Messer und biss hinein. Plötzlich jedoch, aus dem Nichts heraus, rammte er sein Messer mit voller Wucht in seinen linken Oberschenkel. Ich war komplett gelähmt und dachte nur, wie ich schnellstens hier wieder rauskommen könnte.

    Da plötzlich kroch ein Grinsen langsam über sein Gesicht. Er riss mit einem festen Zug das Messer aus seinem Oberschenkel und rollte seine Hose hoch über sein Bein. Das sah ich es: Es war eine Beinprothese aus Holz, in die er sein Messer gerammt hatte. Mehrere Einstiche zeugten von Zeiten, zu denen er sich einen Spaß mit unschuldigen Trampern gemacht hatte. Dann nahm er seine Prothese ab, drückte sie mir in die Hand und meinte: „Kannst du auf die mal aufpassen?“ Ich war ein frisch gebackener Physiotherapeut und hatte wirklich noch niemals einen Amputierten wie diesen Patienten gesehen.

    Wir fuhren also die Autobahn weiter gen Norden, und als wir am Ziel ankamen, hielt er sein Auto an und war plötzlich überwältigt von einem Gefühl, das für mich aussah, als hätte er schreckliche Angst. Während er mit aufgerissenen Augen mit beiden Armen gestikulierte, rief er mir zu: „Hol mir mein Bein! Hol mir mein Bein!“ Er schwitzte, und ich verstand, dass er offensichtlich unter extremen Schmerzen litt. Dann schrie er mich wieder an: „Stell meinen Fuß auf die Pedale!“ Ich nahm seine Prothese und tat, was er wollte. Da rief er mir zu: „Nimm die Socken ab, du Idiot!“ Ich riss die Socken runter von seinem künstlichen Fuß und plötzlich sah ich einen schwarzen Kreis, auf den ein Pfeil zeigte: „Hier!“ Plötzlich hieb er mit einem Schraubenzieher auf meinen Kopf. Ich sagte: „Hey, was soll das!“, doch er rief nur: „Drück den Schraubenzieher auf das Ziel!“ Also drückte ich den Schraubenzieher mit der Spitze an die Stelle, auf die der Pfeil zeigte. Da rief er: „Jetzt nimm deinen Kopf weg, damit ich was sehe, du Idiot!“

    Da riss ich meinen Kopf zur Seite, sodass er sehen konnte, wie ich den Schraubenzieher auf seinem Fuß auf das Ziel drückte. Plötzlich entspannte er sich und rief erleichtert: „ Ahhhh! So ist es besser! – Drück noch ein bisschen drauf, damit ich es anschauen kann!“ Sein Schmerz wurde augenblicklich besser und das Blut kehrte wieder in sein Gesicht zurück.

    Ich war in dieser Situation so erschrocken, dass ich – als alles vorbei war – einfach losgerannt bin. Ich habe meinen ganzen Kram geschnappt und ich rannte nur weg von seinem Auto. Jetzt, viele Jahre später, wenn ich darüber nachdenke, staune ich immer noch über diese Geschichte: Hier war ein Mann, der zunächst völlig schmerzfrei war. Plötzlich riss es ihn vor Schmerz fast auseinander! Das alles wegen eines Körperteils, das gar nicht mehr existierte – schon seit 20 Jahren nicht mehr!

    Sein Gehirn hat diesen Phantomfuß so schrecklich verändert, dass er ihn nicht mehr losließ und ihn die Schmerzen unsagbar quälten. Es gab keine Realität mehr in seinen Erlebnissen. Zudem verlor er den Schmerz gänzlich, wenn man einen Schraubenzieher auf den Punkt, der scheinbar geschmerzt hatte, drückte. Trotzdem wusste der Mann, dass alles, was man tat, nur war, auf seine Prothese zu drücken, die ja gar keinen Schmerz erzeugen kann. Aber irgendwie hat das sein Gehirn angeregt, den Schmerz zu lindern.

Einige allgemeine Gedanken zu Schmerzen

Nicht nur Schmerz wird durch unser Gehirn generiert. All unsere Gefühle sind ein Gemisch aus externem Reiz und interner Verarbeitung und Interpretation. Wir wissen, dass die Beziehung von Reiz und dessen Interpretation von einer Vielzahl von Bedingungen, wie dem Kontext, in dem der Reiz wahrgenommen wird, abhängig ist.

Kontext visuelle Wahrnehmung
Diese Modulation von Sinneseindrücken kann auch in einem emotionsfreien Raum dargestellt werden, z. B. anhand der visuellen Wahrnehmung. Jeder von Ihnen kennt einige Beispiele, wie der Kontext visueller Signale das, was wir zu sehen meinen, beeinflussen kann. Denken Sie nur an Größe, Helligkeit oder Farbeinschätzung und deren Wechsel im Kontext der visuellen Szene. Denken Sie nur auch an Edward Lands bahnbrechende Experimente über Farbwahrnehmung, bei denen er Bilder von Mondrian heranzog [13]. Dies alles existiert nicht nur für die visuelle Dimension. Visuelle Eindrücke können auch das, was wir hören, verändern; hier ist die McGurk-Illusion [17] (unbewusstes Lippenlesen beeinflusst die sprachliche Wahrnehmung) ein gutes Beispiel.

Ganz ähnlich wie bei den anderen Sinnesmodalitäten ist es auch beim Erleben von Schmerz: Der Kontext, aus dem heraus ein Reiz eintrifft, spielt eine Rolle, wie auch, wo er auf den Körper eintrifft und in welcher emotionalen Stimmung dies geschieht.

Änderung des strukturell-pathologischen Modells
Eine weit verbreitete Meinung über den Zweck von Schmerzen ist, dass eine aversive Wahrnehmung, die an einem umschriebenen Ort unseres Körpers erfahren wird, uns dazu verleitet, alles zu unternehmen, um diesen Ort zu schützen und damit den Schmerz zu vermeiden.

Diese Auffassung ist nicht neu [18], aber sie wurde erst kürzlich aufgegriffen, um das bisher dominante strukturell-pathologische Modell zu ändern. Dort wird Schmerz als ein Auslesen von nozizeptivem Input und einer drohenden Gewebezerstörung angesehen.

Das ist ein sehr wichtiger Paradigmenwechsel, denn solange chronischer Schmerz nur als ein anderes Analogon für chronische Nozizeption gesehen wird, machen nur Therapieansätze Sinn, die die Nozizeption reduzieren. Genau das ist höchst problematisch und nicht nur deshalb, weil der Therapieerfolg so enttäuschend ist. Es ist zudem auch unnötig, weil es mittlerweile eine ganze Reihe guter Forschung gibt, die beweist, dass Nozizeption weder notwendig noch ausreichend ist, um Schmerz zu generieren [2].

Lesen Sie hier den gesamten Beitrag: Ansätze zur Schmerztherapie – theoretischer Hintergrund

Aus der Zeitschrift neuroreha 1/2015

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