• Evidenzorientierte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden für Migränepatienten

    11 Tests für Kopfschmerzpatienten. a Aktives Bewegungsausmaß der HWS, gemessen mit einem CROM. b Kopftranslation nach ventral, gemessen mit einem CROM. c BWS-Screening. d Oberer zervikaler Quadrant. e Kranio-zervikaler Flexions-Test. f Manuelle Gelenktest

     

Evidenzorientierte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden für Migränepatienten

Ungefähr 80% aller Migräniker berichten, dass sie vor, während oder direkt im Anschluss an ihre Kopfschmerzen unter Nackensymptomen leiden. Hat die Halswirbelsäule also vielleicht einen Einfluss auf Migräne-Kopfschmerzen? Wäre dies tatsächlich der Fall, könnte die Physiotherapie die Intensität und Frequenz der Schmerzattacken positiv beeinflussen.

Dass die Halswirbelsäule tatsächlich Kopfschmerzen hervorrufen, verstärken oder verlängern kann, ist relativ unumstritten: Es gibt einen Einfluss der Halswirbelsäule auf Kopfschmerzen. Die anatomische Grundlage hierfür ist die so genannte trigemino-zervikale Konvergenz, also die räumliche Nähe von Afferenzen aus dem trigeminalen und dem zervikalen System im Bereich des trigeminalen Nucleus. Die enge Nachbarschaft beider Systeme kann dazu führen, dass Informationen aus dem trigeminalen und dem zervikalen System vom Gehirn fehllokalisiert bzw. fehlinterpretiert werden. 

Zentrale Mechanismen

Tatsächlich scheint die Prävalenz von zervikogenen Kopfschmerzen in der Bevölkerung, also Kopfschmerzen, bei denen die Halswirbelsäule die Ursache ist, nur etwa 0,4 – 2,5% auszumachen. Migräne ist eine neurologische Erkrankung und mit ca. 16 – 20% weitaus häufiger. Die Fachwelt ist sich einig, dass v. a. zentrale Mechanismen – im Hirnstamm und/oder im Hypothalamus – eine entscheidende Rolle für das Auftreten der Attacken haben, während das trigeminale System für die Symptome verantwortlich ist. Die früher gängige Meinung, dass es sich bei der Migräne um eine Erkrankung der Gefäße handelt, ist mittlerweile widerlegt, auch wenn die Gefäße am Krankheitsbild beteiligt sind

Denkfehler Die hohe Prävalenz von Nackenschmerzen bei Migräne verleitet zu Verwechslungen der sekundären Kopfschmerzart „zervikogener Kopfschmerz“ mit der primären Kopfschmerzart „Migräne“. Dies geschieht allzu leicht dann, wenn nach den Kriterien von Sjaastad untersucht wird. Sjaastads Kriterien lassen bei der Diagnose zervikogener Kopfschmerzen auch assoziierte Symptome wie z. B. Übelkeit zu. Um solche Irrtümer zu vermeiden, greifen neurologische Kopfschmerzexperten zu den aktuellen Diagnosekriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (ICHD-III der International Headache Society, IHS).

Allodynie Warum leiden Migränepatienten so oft unter Nackenschmerzen? Manche Autoren verweisen auf eine generell erhöhte Empfindlichkeit von Migränikern. Gemessen wurde diese Hypersensitivität u. a. anhand von niedrigeren Druckschmerz-Schwellen. Andere erkennen in diesem Phänomen eine Form der Allodynie, die wahrscheinlich nur unmittelbar vor und während der Attacken auftritt. Dies würde bedeuten, dass vor oder während einer Schmerzattacke eine ansonsten indolente Spannung der Nackenmuskeln als schmerzhaft interpretiert wird. Zwischen den Attacken müssten Migränepatienten somit komplett „normal“, also nicht signifikant anders als Nicht-Migräniker sein. Einige Untersuchungen scheinen dies zu bestätigen, während andere Studien von einer schlechteren Haltung, einer vermehrten Anzahl von Triggerpunkten oder von Bewegungseinschränkungen im Vergleich mit Nicht-Migränikern berichten.

In einer bisher unveröffentlichten Literaturübersicht wurden ca. 25 Studien identifiziert, in denen eine Migränepopulation mittels eines körperlichen Tests untersucht wurde. Leider waren die Fallzahlen der meisten Studien sehr gering, die Diagnosekriterien uneinheitlich, die Verblindung der Untersucher nicht immer gewährleistet, so dass am Ende unklar bleibt, wie ein Patient mit Kopfschmerzen klinisch untersucht werden sollte.

11 Tests für Kopfschmerzpatienten

Auf Grund dieser Unsicherheit wurde im Jahre 2016 eine Initiative gestartet, deren Ziel ein internationaler Konsens für die körperliche Untersuchung von Kopfschmerzpatienten war. An der Delphi-Studie nahmen 17 Experten teil, bewerteten Tests und schlugen andere Untersuchungsmethoden vor. Schlussendlich einigte sich das Gremium auf elf Tests, die als Minimaluntersuchung für Kopfschmerzpatienten angesehen werden können.

Merke

Minimaluntersuchung für Kopfschmerzpatienten

Die Minimaluntersuchung umfasst 11 Tests:

  • aktives Bewegungsausmaß der HWS
  • Haltung, v.a. Kopftranslation nach ventral
  • BWS-Screening (aktive und passive Tests)
  • oberer zervikaler Quadrant, kombinierte Bewegung
  • kranio-zervikaler Flexionstest
  • manuelle Gelenktestung der oberen HWS
  • Reproduktion & Resolution
  • Triggerpunkt-Palpation in Nacken und Gesicht
  • Überprüfung der Muskelkraft des Schultergürtels
  • passive physiologische Bewegungen der HWS
  • Flexions-Rotations-Test
Ziel der Kommission war die einheitliche Untersuchung auch unterschiedlicher Kopfschmerzarten. Ansonsten bestünde die Gefahr einer Fehldiagnose, oder ein Patient leidet unter mehr als einer Kopfschmerzart. In diesem Kontext berichten mehrere Autoren von koexistierenden Kopfschmerzarten – sei es eine Kombination aus Migräne und zervikogenem Kopfschmerz oder aus Migräne und Spannungskopfschmerz.

Lesen Sie hier den gesamten Beitrag: Evidenzorientierte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden für Migränepatienten

Aus der Zeitschrift: Der Schmerzpatient 02/2018

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