Im Interview mit Prof. Dr. med. Haak, Chefarzt der Diabetes Klinik am Diabetes Zentrum Mergentheim
„Telemedizinische Betreuungsangebote und alles, was der Sache dient, sind förderungswürdig und sollte es in Zukunft mehr geben“, so Professor Haak.
Prof. Dr. med. Thomas Jürgen Haak ist Chefarzt der Diabetes Klinik am Diabetes Zentrum Mergentheim. Im Interview verrät er uns, wie er das Thema „Prädiabetes“ in der Praxis angeht und wie eine optimale Versorgung zukünftig aussehen sollte.
Frage 1: Aus welchem Grund kommen Patienten mit Prädiabetes in Ihre Praxis?
Vielen Patienten ist gar nicht bewusst, dass sie bereits eine Disposition für Prädiabetes aufweisen. Daher müssen die Patienten zunächst einmal im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen beim Hausarzt auffallen. Der Hausarzt überweist die betroffenen Patienten dann in meine Praxis. Von alleine kommen die wenigstens Patienten zu mir, denn aus der persönlichen Komfortzone bewegen sich die allerwenigsten gerne heraus. Hier ist dann viel Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit zu leisten. Vielen ist nicht bewusst, dass Prädiabetes bereits nachhaltig Schäden am Herz-Kreislauf-System anrichten. Bei fast jedem über 50-jährigem ist Bluthochdruck ein Thema, gefolgt von Fettstoffwechselstörungen wegen Übergewicht. Beides Themen, denen man mit einer Verhaltensanpassung gut begegnen kann.
Frage 2: Was empfehlen Sie Ihren Patienten, wie sie ihr Verhalten anpassen können?
Zunächst einmal muss ich meinen Patienten ein plausibles Erklärungsmodell liefern. Und dabei gehe ich sehr individuell vor. Bei dem einen Patienten muss ich intensive Aufklärungsarbeit leisten und andere haben sich vorab schon informiert. Gleichzeitig muss das Risikobewusstsein gestärkt werden, da fällt der Ton auch schon einmal sehr unterschiedlich aus. Dem einen muss ich auf intellektueller Ebene begegnen, dem anderen muss ich ins Gewissen reden. Da ist viel Fingerspitzengefühl gefordert.
Grundsätzlich braucht es dann aber ganz konkrete Handlungsanweisungen, die messbar sind. Es reicht also nicht, dem Patienten zu sagen „Du musst Dich mehr bewegen“, sondern es wird gemeinsam besprochen, welche Sportart für ihn passend wäre, welche ihm Spaß macht und wie er sie in seinen Alltag integrieren kann. Beim Thema Ernährung sieht es ähnlich aus. Hier ist es wichtig, ganz konkret zu sagen, z. B. wie viele Kalorien pro Woche eingespart werden müssen, um auf ein Kilo Fettreduktion in 14 Tagen zu kommen. Dies lässt sich dann am Bauchumfang gut messen und motiviert natürlich auch die Patienten, wenn der Erfolg sichtbar wird. Die Patienten kommen dann alle 14 Tage zu Kontrollterminen in meine Praxis. Wenn die Begleitung so engmaschig erfolgt, reichen in der Regel 6 Monate aus, bis der Patient seine Verhaltensänderung verinnerlicht hat.
Frage 3: Was unternehmen Sie, um für das Thema zu sensibilisieren?
Vor einiger Zeit haben wir ein Schulungsprogramm zu diesem Thema entwickelt: PRÄDIAS. Es ging ebenfalls darum, Patienten über die Themen Diabetes, deren Risikofaktoren und wie man einen Diabetes vorbeugen kann, aufzuklären. Dieses haben wir gemeinsam mit Krankenkassen evaluiert. Rückblickend mussten wir jedoch feststellen, dass das Thema Prävention kein primäres Ziel von gesetzlichen Krankenkassen ist. Gleichermaßen mussten wir die Erfahrung machen, dass unser Infostand, den wir im Rahmen von Aktionstage aufbauten, immer großflächig gemieden wurde. Prädiabetes ist halt nicht schmerzhaft und mit keinen direkten Einbußen verbunden, daher rücken Menschen auch ungerne von ihrer lieb gewonnenen Lebensart ab. Beides hatte zur Folge, dass das Schulungsprogramm nicht weiterverfolgt wurde.
Frage 4: Wie sollte Versorgung zukünftig funktionieren, damit die Risikofaktoren für Prädiabetes reduziert werden?
Gesunderhaltung sowie die Reduktion von Erkrankungen sind für mich eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Diese sollte bereits im Kindergarten mit einer gesunden Ernährung beginnen. Gleichzeitig müssen die Kinder ob im Kindergarten oder in der Schule an einen gesunden und bewegungsreichen Lebensstil herangeführt werden. Aber nicht nur im Bildungswesen ist noch Handlungsbedarf. Auch die großen Supermarktketten müssen mit ins Boot geholt werden. Eine gesunde Ernährung muss wieder erlebbar sein. Sie muss im Vordergrund stehen, wenn ich einen Supermarkt betrete. Auch bei der Preisgestaltung gesunder Lebensmittel gäbe es noch Spielraum. Warum macht man z.B. gesunde Lebensmittel wie frisches Obst und Gemüse nicht steuerfrei? Denkt man an all‘ die technischen Möglichkeiten, die wir heute haben, dann sehe ich großes Potenzial auch in telemedizinischen Betreuungsangeboten. Es gibt so viele Ansätze, die der Sache dienlich sind und noch viel zu wenig gefördert werden.