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  • Claudia Ley
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  • 13.04.2015

Mediquiz: Diagnose auf den zweiten Blick

Ein junger 39-jähriger Mann stellt sich bei Claudia mit mysteriösen Schmerzen im Bereich des linken Hodens vor. Finde heraus, an was er leidet!

  

Liebe Kolleginnen und Kollegen im Studium,

nach einem kurzen Exkurs in die Pathologie, melde ich mich aus der Allgemeinmedizin bzw. aus einer Landarztpraxis zurück, in der ich meine Weiterbildung fortsetze. Und auch hier gibt es wieder zahlreiche spannende Fälle, über die ich berichten kann! Ich bin gespannt, ob du die richtige Diagnose stellst :)

Beginnen möchte ich mit einem jungen 39-jährigen Mann, der mich wegen mysteriöser, insbesondere nächtlicher Schmerzen im Bereich des linken Hodens aufsuchte. Ähnliche Beschwerden habe er vor wenigen Jahren schon einmal gehabt und deshalb einen Urologen aufgesucht, der damals aber weder in der klinischen noch sonographischen Untersuchung ein organopathologisches Korrelat gefunden habe. Eine Schwellung oder Rötung war auch diesmal nicht sichtbar, Fieber oder anderweitige Symptome wurden verneint, auch das Wasserlassen bereite keine Probleme.

Differenzialdiagnostisch dachte ich zunächst an einen beginnenden Leistenbruch, der sich bei Palpation der Bruchpforten aber nicht bestätigte, zudem erwiesen sich die Schmerzen als unabhängig davon, ob er die Bauchpresse machte oder nicht. Er selber dachte am ehesten an eine Art Lumbalgie, da er immer wieder unter Schmerzen in der unteren LWS leide, sobald er nicht mehr regelmäßig schwimmen ginge. Hierfür war die Schmerzlokalisation aber denkbar untypisch, der Lasèguetest fiel bds. negativ aus, selbst die ISG waren frei von Druckschmerz.

Zur Sicherheit ließ ich meinen Patienten noch das Schober- und Ott-Manöver vollführen, da mich die häufigen Lumbalgien in seinem Alter bei sonst unauffälliger normalgewichtiger Statur doch stutzig machten. Aber auch hier vollbrachte er erfreulicherweise eine altersentsprechende Glanzleistung. Da die Beschwerden erst vor einigen Tagen aufgetreten und bislang nicht wesentlich leistungseinschränkend waren, verzichteten wir im gegenseitigen Einvernehmen vorerst auf weitere Diagnostik. Stattdessen begannen wir eine Schmerztherapie mit Ibuprofen und vereinbarten eine Wiedervorstellung im Falle von Verschlechterung oder Persistenz der Beschwerden innerhalb der nächsten drei Tage.

Zu diesem Zeitpunkt ging ich am ehesten von einer unspezifischen muskulären Ursache aus, aber auch eine Variko- oder Spermatozele zog ich in Betracht, für die sich jedoch ebenfalls angesichts des aktuellen Befunds keine therapeutische Konsequenz ergeben hätte.

Nach drei Tagen saß der junge Mann jedoch wieder vor mir und erklärte, die Schmerzen hätten sich jetzt vom linken Hoden eher auf den linken Oberschenkel verlagert. Manchmal betreffe es mehr die Innenseite, manchmal strahle der Schmerz auch bis in die linke Wade aus und er bekomme Muskelkrämpfe. Bei Belastung nähme die Symptomatik zwar etwas zu, aber auch in Ruhe spüre er deutlich die genannten Veränderungen.

Solange er das Ibuprofen einnehme, sei alles gut, bei Nachlassen der Wirkung finge das Ganze jedoch wieder von vorne an. Ich gestehe, im ersten Moment war ich angesichts dieses Symptomwandels etwas ratlos. Sensibilität und Motorik der unteren Extremitäten waren intakt, Lasègue weiter bds. negativ. Dafür tastete sich nun einen vergrößerten, druckschmerzhaften, aber frei verschiebbaren Lymphknoten in der linken Leiste bei sonst komplett unauffälligem Lymphknotenstatus.

Ich inspizierte nochmals das äußere Genitale, fragte nach Verletzungen der unteren linken Extremität in den letzten Wochen sowie außerehelichem Geschlechtsverkehr oder Hautveränderungen im Bereich von Hoden und Penis in den letzten Monaten. All das verneinte der junge Mann, der mittlerweile selber ängstlich geworden war. Passend zu der offensichtlich entzündlichen Genese fand sich im laborchemischen Befund ein diskret erhöhter CRP-Wert bei sonst jedoch normwertigem Blutbild und unauffälliger Blutsenkung.

Ich erklärte meinem Patienten also, dass es momentan keinen Anhalt für einen schweren bakteriellen Infekt oder ein rheumatisches Geschehen gebe, möglicherweise einfach eine unspezifische postentzündliche Reaktion nach nicht bemerkter äußerer Hautverletzung vorliege. Allerdings könne es auch möglich sein, dass er noch etwas Entzündliches "ausbrüte", was bisher noch nicht zum Ausbruch gelangt sei. Die Medikation mit Ibuprofen wurde vorerst fortgesetzt, eine Wiedervorstellung aber fest auf den Folgetag vereinbart.

Zu diesem Termin erschien er überpünktlich und sehr aufgeregt. Innerhalb der letzten 24 Stunden habe er immer wieder eine schmerzhafte Überempfindlichkeit im Bereich der Rück- und Innenseite des linken Oberschenkels bemerkt. Und beim Duschen heute Morgen sei ihm dann noch etwas aufgefallen, da ich ihn doch angehalten habe, insbesondere auf Hautveränderungen zu achten: fast schon stolz streifte er die Hose herunter und - Heureka!- es fiel mir wie Schuppen von den Augen ...

 

Weißt du auch, welche Diagnose Claudia gleich stellt?

  • Diagnose

    Die ersten herpetiformen Bläschen zeichneten sich im linken Dermatom S2 ab. Ich beglückwünschte uns beide, endlich zu einer handfesten Diagnose gelangt zu sein und klärte ihn anschließend über das Krankheitsbild des Herpes zoster auf.

    Hierzu gehört auch, nach anamnestischen Hinweisen auf eine Immundefizienz zu fragen, gerade wenn es sich um jüngere Patienten handelt. Meistens folgt die Erkrankung wie auch in diesem Fall einem Infekt oder einer belastenden Stresssituation, was eine passagere Schwächung der Immunabwehr erklärt. Bei einem Zoster über mehrere Dermatome bzw. generalisatus oder begleitenden Hämorrhagien wäre zudem ein HIV-Test bzw. weitere immunologische Abklärung zu empfehlen.

    Ebenfalls erwähnenswert ist die Gefahr der Ansteckung von Schwangeren bzw. Neugeborenen durch den Kontakt mit dem Bläscheninhalt im Falle von einer noch nicht durchgemachten Varizelleninfektion bzw. bei fehlendem Impfschutz. Diese Erstinfektion verliefe dann bei der betroffenen Kontaktperson nicht als Herpes zoster, sondern generalisiert in Form der "Windpocken". Eine Infektion des ungeborenen Kindes kann schwere Fehlbildungen bis hin zum Abort zur Folge haben.

    Die Indikation zur antiviralen Behandlung bei einem Zoster außerhalb des Gesichts bzw. ohne Komplikationen bei Personen jüngeren Alters unter 50 Jahren ist relativ selten. Sie kann den Krankheitsverlauf jedoch zeitlich verkürzen und beugt insbesondere bei älteren Patienten der gefürchteten postzosterischen Neuralgie vor. Darum sollte man sie so früh wie möglich beginnen.

    Gängigstes Therapeutikum ist das Aciclovir, das zuverlässig 5x am Tag über 1 Woche eingenommen werden muss und somit eine ausreichende Compliance voraussetzt. Bei meinem jüngeren, vielbeschäftigten Patienten entschied ich mich für Brivudin, das pro Tag nur 1x verabreicht wird. Wichtige Kontraindikationen dieses Medikaments sind die Kombination mit 5-FU während einer Chemotherapie bzw. eine fortgeschrittene Leberinsuffizienz, was bei dem Patienten jedoch beides nicht der Fall war. Die analgetische Therapie gilt es insbesondere während der ersten Tage weiter fortzusetzen, die Bläschen selber werden lokal mit antiseptischen bzw. austrocknenden Externa wie Clioquinol behandelt. Unter diesen Maßnahmen waren die Beschwerden bereits nach 3 Tagen, die Hautveränderungen nach ca. 7 Tagen deutlich rückläufig. Und wir beide, mein Patient und ich, ein ganzes Stück klüger ...

Vieles erkennt man vielleicht nicht auf den ersten Blick, behält man die Sache aber lange genug im Auge und übersieht keine gefährlichen Verläufe ist eine Diagnosestellung "auf den zweiten Blick" in der Praxis manchmal sogar die bessere, da dann eindeutigere Alternative.

In diesem Sinne weiter viel Spaß und Motivation auf deinem Weg in den Arztberuf wünscht dir
deine Claudia

 

Claudia Ley arbeitet im Rahmen ihrer Weiterbildung in einer Landarztpraxis.

Für Via medici online  stellt sie ihre spannendsten Fälle in einem Mediquiz vor.

 

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