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  • 31.03.2014
  • Frau mit Zigarette - Foto: Shutterstock

    Frauen, die rauchen und gleichzeitig die Pille nehmen, haben ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Darauf muss sie der Gynäkologe hinweisen. (Foto: Shutterstock; Symbolbild)

     

Medizin & Recht (2): Aufklärung und Einwilligung

Bevor ein Arzt eine medizinische Maßnahme bei einem Patienten durchführen darf, muss er diesen über die Maßnahme aufklären und seine Einwilligung abholen. Doch welche Aufklärungs- und Informationspflichten hat der Arzt? Und welche Folgen kann eine fehlerhafte Aufklärung haben?

 

Die 29-jährige Anna S.* ist Raucherin und bekommt von ihrer Gynäkologin zur Behandlung von Menstruationsbeschwerden die „Pille“ verschrieben. Vier Wochen später erleidet sie einen Schlaganfall und verklagt die Frauenärztin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Wie konnte es zu dieser drastischen Entwicklung kommen?

 
Auszug aus dem Reichsgericht in Strafsachen   ( RGSt 25, 375, 377)
 „… Dass jemand nach eigener Überzeugung oder nach dem Urteile seiner Berufsgenossen die Fähigkeit besitzt, das wahre Interesse des Nächsten besser zu verstehen, als dieser selbst, dessen körperliches oder geistiges Wohl durch geschickt und intelligent angewendete Mittel vernünftiger fördern zu können, als dieser es vermag, gewährt jenem nicht irgend eine rechtliche Befugnis, nunmehr nach eigenem Ermessen in die Rechtssphäre des Anderen einzugreifen, diesem Gewalt anzutun und dessen Körper willkürlich zum Gegenstand gutgemeinter Heilversuche zu benutzen … Strafrechtlich hat der Angeklagte normwidrig gehandelt und ein nach §§ 223 StGB zu ahndendes Delikt verübt ...“
Abkürzungsverzeichnis:

 

Arch Kriminol Archiv für Kriminologie
ArztR Arztrecht
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BGH Bundesgerichtshof
BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen
BT-Drs Bundestagsdrucksache
GG Grundgesetz
PatRG Patientenrechtegesetz
RGSt Entscheidungen des Reichsgerichtes in Strafsachen
StGB Strafgesetzbuch
VersR Versicherungsrecht

 

 

Der ärztliche Heileingriff als Körperverletzung?

Seit der Reichsgerichtsentscheidung vom 31.05.1894 (RGSt 25, 375 ff.) gilt jeder ärztliche Heileingriff am Patienten, der in die körperliche Unversehrtheit eingreift, als objektiv tatbestandsmäßige Körperverletzung. Der Eingriff wird auch dann als Körperverletzung qualifiziert, wenn er medizinisch indiziert ist oder kunstgerecht durchgeführt wird (BGHSt 43, 306, 308).

Diese Wertung führt dazu, dass der Behandelnde vor jeder medizinischen Maßnahme die Einwilligung des Patienten nach ordnungsgemäßer Aufklärung einholen muss, um einer strafrechtlichen Verantwortung oder einer zivilrechtlichen Haftung zu entgehen (BGH NJW 1972, 335, 336). Einwilligungsbedürftig sind nicht nur therapeutische Maßnahmen, wie zum Beispiel die Durchführung von Operationen oder die Verabreichung von Medikamenten, sondern auch diagnostische Verfahren, wie zum Beispiel endoskopische Untersuchungen sowie einfache Blutabnahmen. [1]

Während in den letzten Jahrzehnten das Arzthaftungsrecht überwiegend durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geprägt wurde, erfolgte durch das am 26.02.2013 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (PatRG) eine Reform insbesondere des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Durch das PatRG soll für den Patienten mehr Transparenz hinsichtlich seiner medizinischen Behandlung gewährleistet werden, sodass er mit dem Arzt auf Augenhöhe verhandeln kann (BT-Drs. 17/10488, S. 1; S. 9). Die gesetzlichen Vorgaben des PatRG müssen von dem Arzt bei der Behandlung des Patienten beachtet werden. Insbesondere die ausdrückliche Normierung der Informations-, Aufklärungs- und Dokumentationspflichten einschließlich der Beweislastregelung sollen dem Patienten als verlässliche Orientierung dienen (BT-Drs. 17/10488, S. 9; S. 11). [2, 3, 4, 6] Durch die Kodifikation der Patientenrechte in dem PatRG wird die Aufklärungspflicht als Vertragspflicht normiert.

Um eine wirksame Einwilligung nach § 630d BGB abgeben zu können, ist erforderlich, dass der Patient gemäß § 630e BGB ordnungsgemäß unter anderem über Bedeutung, Risiken und Folgen des Eingriffs aufgeklärt wurde. [3,6]

 

Die Ärztin hätte besser aufklären müssen

Wie war dies im Fall Anna S.? Die behandelnde Gynäkologin hatte bei der Verschreibung des Medikaments trotz Vermerks in der Patientenakte, dass Anna raucht, lediglich erwähnt, dass die „Pille“ und Rauchen „sich nicht vertragen“. Infolge der Wechselwirkung zwischen dem Präparat und dem Rauchen erlitt Anna einen Schlaganfall, der als Warnhinweis und Nebenwirkung im Beipackzettel erwähnt wurde.

Der Bundesgerichtshof (BGH) urteilte, dass die Gynäkologin einen Aufklärungsfehler beging, da sie nicht explizit auf dieses Schlaganfallrisiko und weitere Risiken hinwies. Mangels ordnungsgemäßer Aufklärung lag keine wirksame Einwilligung in die Behandlung vor. Darauf gründet die mögliche Haftung der Ärztin (Verkürzte modifizierte Darstellung angelehnt an: BGH, VersR 2005, 834 ff. Die Anforderungen an die Einwilligung und Aufklärung galten nach ständiger höchst richterlicher Rechtsprechung bereits schon vor der Reform durch das PatRG).

 

Erläuterung der Rechtslage

Warum muss aufgeklärt werden?

-     Die Aufklärung dient der Achtung der Würde des Patienten und wahrt dessen Selbstbestimmungsrecht an seinem Körper (Art.1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 S.1 GG).

-     Erst nach ordnungsgemäßer Aufklärung (§ 630e BGB) kann der Patient eine wirksame Einwilligung (§630d BGB) abgeben.

 -     Eine medizinische Behandlung darf nur in dem von der Einwilligung gedeckten Umfang erfolgen, damit sich der Arzt nicht strafbar und zivilrechtlich haftbar macht.

 

Wer muss aufklären?

-     Der Behandelnde oder die Person, die über die zur Durchführung der Behandlung notwendige Ausbildung (z. B. ärztliche Approbation) verfügt (BT-Drs. 17/11710, S. 38 f.)

-     Delegation an andere Ärzte möglich, aber behandelnder Arzt muss sie so organisieren, dass vollumfängliche Aufklärung gewährleistet wird (BT-Drs. 17/10488, S. 42)

 

Wen muss der Behandelnde aufklären?  

-     Den Patienten, an dem der medizinische Eingriff vorgenommen wird und auf dessen Einwilligung es ankommt (§ 630d Abs. 1 S. 1 BGB)

-     Bei minderjährigen oder einwilligungsunfähigen Patienten ist derjenige Aufklärungsadressat, der einwilligungsberechtigt ist (§ 630d Abs. 1 S. 2 BGB; Berechtigte zum Beispiel gesetzlicher Vertreter wie Eltern, rechtsgeschäftlich Bevollmächtigter, Vormund)

-     Entbehrlich bei Notfällen, ggf. mutmaßliche Einwilligung (§ 630d Abs. 1 S. 4 BGB)

 

Wann muss aufgeklärt werden?

-     Rechtzeitig (§ 630e Abs. 2 S. 1. Nr. 2 BGB), damit der Patient ausreichend das Für und Wider des Eingriffs abwägen und anschließend eine autonome Entscheidung treffen kann

-     Beispiele des Gesetzgebers (BT-Drs. 17/10488, S. 25), aber konkrete Umstände des Einzelfalls entscheidend:

·   bei operativem Eingriff: Am Vortag des Eingriffs ausreichend

·   bei eiligem Eingriff: Am Tag des Eingriffs ausreichend

·   halbe Stunde zwischen Narkose und Eingriff: In der Regel nicht ausreichend

-     Der richtige Zeitpunkt der Aufklärung lässt sich für elektive Eingriffe nicht pauschal, sondern nur unter Berücksichtigung der im Einzelfall gegebenen Umstände festlegen (BGH, MDR 1992, 748)

 

Wie muss der Arzt den Patienten oder den Berechtigten aufklären?

-     mündlich (§ 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB), rechtzeitig (s. o.) und verständlich § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB

-     Hilfsmaterial (Aufklärungsbögen, Videodarstellung) kann hinzugezogen werden (§ 630 Abs. 2 Nr. 1 BGB)

-     Dokumentation der Aufklärung sowie der Einwilligung notwendig (§ 630f Abs. 2 S. 1 BGB)

-     Aushändigung von Abschriften der Aufklärungsunterlagen an den Patienten (§ 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2 BGB), die dieser unterzeichnet hat

 

Was ist Inhalt der Selbstbestimmungsaufklärung?

-     Sämtliche für die Einwilligung wesentliche Umstände (§ 630e Abs. 1 S. 1 ff. BGB), wie zum Beispiel Art, Umfang, Durchführung, Schwere und Risiken des Eingriffs

-     Darstellung, welche Folgen die Vornahme aber auch die Nichtvornahme der Behandlung für die Gesundheit des Patienten mit sich ziehen kann

-     Aufklärung über Behandlungsalternativen (§ 630e Abs. 1 S. 3 BGB)

-     Nicht ausreichend ist ein Verweis auf den Medikamentenbeipackzettel

 

Welche Informationspflichten treffen den Arzt?

-     Anweisung durch den Arzt, wie der Patient sich zu verhalten hat, um Gesundheitsgefahren zu vermeiden, die Genesung zu fördern oder die richtige Medikation einzuhalten (§ 630c Abs. 2 S. 1 BGB)

-     Der Arzt muss über eigene und fremde Behandlungsfehler (§ 630c Abs. 2 S. 2 BGB) informieren. Kritik bei [2,4,6] Diese Informationspflicht wird in zwei Fällen ausgelöst: 1. auf Nachfrage des Patienten 2. zur Abwendung einer Gesundheitsgefährdung für den Patienten

-     Wirtschaftliche Aufklärung über durch die Behandlung anfallende Kosten, die zum Beispiel nicht von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden (§ 630c Abs. 3 S. 1 BGB)

 

Was für Folgen kann eine fehlerhafte Aufklärung für den Arzt haben?

-     keine wirksame Einwilligung für den Eingriff, somit ist der Eingriff rechtswidrig

-     dies wiederum kann unter anderem strafbar sein bzw. zu einer vertraglichen oder deliktischen Haftung des Arztes führen

·         Strafrecht: (Fahrlässige) Körperverletzung nach §§ 223 ff. StGB, (Fahrlässige) Tötung nach §§ 211 ff. StGB

·         im Zivilrecht: Schadensersatzansprüche und Schmerzensgeldansprüche bei Gesundheitsschaden             

-        bei unzureichender Aufklärung kann der Arzt zu seiner Entlastung der Aufklärungsrüge entgegenhalten, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff und somit dessen Risiken eingewilligt hätte (§ 630h Abs. 2 S. 2 BGB; hypothetische Einwilligung). Dies gelingt jedoch nur, wenn der Patient nicht    seinerseits einen plausiblen Entscheidungskonflikt darlegen kann. [3]

 

Fazit: Um keine Körperverletzung zu begehen, muss aufgeklärt werden

Die Aufklärungspflicht des Behandelnden ist nunmehr wesentliche Vertragspflicht aus dem Behandlungsvertrag. Um bei der medizinischen Tätigkeit keine Körperverletzung am Patienten zu begehen, muss der Arzt eine ordnungsgemäße Aufklärung durchführen und der Patient einwilligen. Sowohl für den Patienten als auch den Arzt sind die gesetzlichen Neuerungen in einem verständlichen Patientenleitfaden veröffentlicht worden. [5]

 


 

Autoren:

Frau Sarah Hoffmann und Frau Kyra Maier sind Studierende der Rechtswissenschaften und Herr Pascal Schnalke, Herr Lauritz Blome und Herr Roman Paleny sind Studierende der Medizin an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Herr Prof. Dr. med. Markus Parzeller ist Arzt und Jurist am Institut für Rechtsmedizin des Klinikums der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

 


 

Literatur:

[1] Neu J. Das Patientenrechtegesetz – Ein erster Überblick. Unfallchirurg 2013; 116: 658 - 660

[2] Parzeller M, Zedler B. Das Patientenrechtegesetz (PatRG) – Teil 1: Gesetzgebungsverfahren, Behandlungsvertrag, Vertragspartner und deren Mitwirkungs- und Informationspflichten. Arch Kriminol 2013; 232 (3-4): 73-90

[3] Parzeller M, Zedler B. Das Patientenrechtegesetz (PatRG) – Teil 2: Einwilligung, Aufklärungspflichten, Dokumentation der Behandlung, Einsichtnahme in die Patientenakte. Arch Kriminol 2013; 232 (5-6): 145-160

[4] Parzeller M, Zedler B. Das Patientenrechtegesetz (PatRG) – Teil 3: Beweislast in Haftungsfragen und kritisches Fazit. Arch Kriminol 2014, 233 (1-2): 1-19

[5] Bundesministerium für Gesundheit, Bundesministerium der Justiz und Beauftragter der Bundesregierung für Belange der Patientinnen und Patienten. Informiert und selbstbestimmt. Ratgeber für Patientenrechte, http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Publikationen/Praevention/Broschueren/130627_PRB_Internet_pdf_neu.pdf - Abrufdatum 29.01.2014  

[6] Osmialowski C. Arzthaftung - ein Update nach dem Patientenrechtegesetz. ArztR 2014; 49: 89-95


 

 * Die Kasuistik ist eine Synthese reeller Fälle. Die Charaktere und Namen sind fiktiv.

Ein Geleitwort und Hintergrundinformationen zu dieser Serie findest du hier

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