- Bericht
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- Der kleine Assistenzarzt
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- 28.08.2013
Notfall: Epileptischer Anfall
Der Epileptische Anfall - die Heilige "Krankheit" wie Hippokrates sie vor Jahrtausenden nannte. Kaum ein Notfall wirkt so eindrücklich und bedrohlich. Auch dem kleinen Assistenzarzt begegneten häufig krampfende Patienten.
In der Fernsehserie "Dr. House" wird in jeder Folge mindestens einmal schön dramatisch gekrampft. Denn dahinter kann nicht nur die Krankheit Epilepsie stecken, sondern zahlreiche Funktionsstörungen, Intoxikationen, Schlaganfall, Tumoren, Infektionen - irgendwie alles...In vielen Fällen endet der Krampfanfall jedoch so schnell wie er gekommen ist. Maßnahmen dienen eher dazu, den Patienten vor Verletzungen oder Aspiration in der postiktalen Phase - einer Art tiefem Schlaf - zu schützen. Der Status Epilepticus mit einer Serie von Anfällen und Medikamentengabe zur Durchbrechung ist selten.
Meinem ersten krampfenden Patienten begegnete ich als Medizinstudent direkt vor meiner Haustür. Ich erlebte, wie er gerade am Boden lag und heftig zuckte, seine Ehefrau kannte das schon und hockte bei ihm. Eine vorbeigehende junge Mutter mit zwei kleinen Kindern rannte schnell weiter. Das Zucken endete, schließlich kam ein Arzt herbei und sagte mit selbstironischen Worten: "Hier kommt der Dermatologe…" Er brachte den Bewusstlosen in stabile Seitenlage und kurz darauf war der Krampf auch schon vorbei. Danach wusste ich zwei Dinge: ich studiere das richtige Fach, Dermatologen können mehr als ich dachte.
Als Klinikarzt musste ich dann herausfinden, dass nicht alles Krampfanfall ist, was so aussieht. Da gibt es Synkopen oder psychische Störungen oder alles zusammen. Mindestens einmal die Woche brachte der Rettungsdienst einen gutbekannten sechzehnjährigen Jugendlichen herein, der wohl wirklich an Epilepsie litt und immer wieder krampfte, zum Beispiel wenn er sich aufregte, mit der Freundin chattete oder der Goldhamster gestorben war (wirklich!). In der Notaufnahme krampfte er dann einfach noch weiter, was aber niemanden besorgte. Die Vitalzeichen waren in Ordnung, zudem hielt er die Augen fest zusammengekniffen, teils machte er einen Arc de cercle - es war alles ein dissoziativer Anfall. Seine seelischen, psychosozialen Probleme machten alles komplizierter als nur ein paar fehlgeleitete Neuronen im Gehirn bei Epilepsie.
Einmal habe ich sogar selbst einen Krampfanfall ausgelöst. In einem Behandlungszimmer traf ich auf eine Frau Mitte vierzig. Der Rettungsdienst sagte, sie hätte gekrampft. Sie selbst wusste von nichts, wollte auch nichts sagen. Sie wirkte misstrauisch und zurückgezogen. Als sie auf Toilette ging, hörte ich, wie sie in mehreren verstellten Stimmen leise mit sich selbst sprach. Mein Oberarzt sagte, ich solle auf sie aufpassen und versuchen, sie nicht gehen zu lassen, ohne dass wir mehr über sie erfahren haben. Während sie auf der Untersuchungsliege saß, versuchte ich im Anamnesegespräch ihr Vertrauen zu gewinnen und konnte sie zumindest zur Blutentnahme überzeugen. Die Patientin erzählte etwas, ich setzte die Braunüle in der Ellenbeuge an und stach zu … im gleichen Moment verzerrte sie ihr Gesicht und krampfte generalisiert. Nach wenigen Sekunden war alles vorbei und sie dämmerte im postiktalen Schlaf. Damit hatte ich ein Problem weniger, sie würde erst mal hierbleiben, doch das gewonnene Vertrauen war leider dahin. Vielleicht - dachte ich - hätte ich doch Derma machen sollen.