- Bericht
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- Julian Jürgens
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- 14.02.2008
Notfall im Flugzeug
Wenn Ärzte reisen, müssen sie damit rechnen, dass bei Notfällen in Zügen und Flugzeugen ein Arzt ausgerufen wird. Speziell in Flugzeugen ist die Rechtslage jedoch nicht immer klar - und wer viel reist, sollte sich vorher gut informieren. "Was soll schon passieren?", dachte ich, Medizinstudent und Sohn eines Arztes, als ich zusammen mit meinem Vater nach New York geflogen bin. Und plötzlich ist er da gewesen, der Akutfall - auf dem Rückflug.
Gegen 3 Uhr morgens, ich war schon lange eingeschlafen, wache ich durch Unruhe neben mir auf. Mein Vater sitzt nicht mehr neben mir. Als ich ihn sehe, schießen mir seine Worte vor dem Abflug in die USA durch den Kopf: "…Artikel im Ärzteblatt…ungeklärte Rechtslage…Versicherung für Mediziner…Notfälle…" Vor nicht mal zwei Wochen hatte ich mir zwar ernsthaft vorgenommen, Unterlagen herauszusuchen, mich schlau zu machen und bei Versicherungen anzurufen. Doch dazu kam ich nicht mehr und ehrlich gesagt, hatte ich auch gedacht: "Was soll schon passieren?"
Synkope im Flugzeug
Es ist Frühjahr, wir sind in auf dem Rückweg von New York nach München, das Flugzeug fast voll. Ein Mann, ca. 50 Jahre alt, steht wankend zwischen zwei Sitzreihen im Gang, direkt neben dem Platz, auf dem ich meinen Vater vor dem Einschlafen zuletzt gesehen hatte. Er wird von einer zierlichen, aber tough wirkenden Frau und einem jungen Mann von hinten gestützt, beides offensichtlich Amerikaner. "Hinlegen!" schreit jemand. Dieser Jemand ist mein Vater, Allgemeinmediziner von Beruf. Er steht vor dem Mann, welcher offenbar mittlerweile synkopiert ist, jedoch nach allen Kräften von den wohlmeinenen Helfern auf den Beinen gehalten wird. Mein Vater versucht ihn hinzulegen. "Hinlegen!" Diesmal klingt seine Stimme noch lauter und energischer und ich werde wacher, wie auch die anderen Fluggäste im näheren Umfeld. Alles geht sehr schnell, wie ein Film.
Die Stewardess hat die Lage erkannt
Die beiden Stützenden werden nun selbst immer wankelmütiger. Was will der wilde "German"? Schließlich halten sie ihrer Meinung nach nur einen schlaftrunkenen Passagier aufrecht. Mein Vater wird noch energischer - endlich lassen die beiden los und mein Vater kann den Mann in den engen Gang legen. Die Unruhe nimmt zu. Hinter mir steht ein sehr kräftiger russisch-stämmiger Amerikaner auf, entschlossen einzugreifen, sollte mein Vater dem guten Herrn weiter zu Leibe rücken.
Zugegebenermaßen, ein englisches Wort seitens meines Vaters oder von mir, eine Erklärung, dass er Arzt ist, hätte genügt um die Situation zu entspannen. Unsere Müdigkeit, die Fremdsprache, die akute Situation haben das wohl verhindert.
Pulse werden getastet. Dann erfolgt ein kräftiger Schlag auf die Brust (*). Der U.S. Russe kommt näher, lässt sich aber wieder in seinen Sitz sinken als er sieht, wie die Stewardess mit einem Defibrillator und dem Medi-Kit in der Hand herbeieilt. Sie hat die Situation als eine der wenigen verstanden. "Danke, er hat wieder einen Puls.", höre ich meinen Vater sagen. "Legen wir ihn erst einmal woanders hin. Wo haben wir denn mehr Platz?“
Bis zur Landung habe ich meinen Vater nur einmal kurz gesehen, den Rest der Zeit verbrachte er bei dem Patienten, der ihm mitten über dem Atlantik quasi in die Arme gefallen ist. Nachdem er einen Zugang gelegt hatte (im Medi Kit waren offenbar nur rosa Venflons!) war der Patient bis zur Ankunft und Übergabe an den Notarzt, der schon vor Ort wartete, stabil. Die Sache ist also gut ausgegangen!
Rechtslage ist manchmal unklar
Doch nicht nur für den Patienten, auch für meinen Vater oder jeden anderen Arzt, der die medizinische (Erst-)Versorgung übernimmt, hätte es - besonders in diesem Fall - problematisch werden können. Speziell auf Flügen von und ab den USA oder in amerikanischen Airlines können für einen notfallmäßig praktizierenden Mediziner erhebliche rechtliche Tücken lauern. Eine Schadensersatzklage in Größenordnungen, wie man sie vom Hörensagen kennt, möchte niemand zugestellt bekommen. Aber auch in anderen Fällen, bei anderen Fluglinien und Ländern ist die Rechtslage nicht eindeutig.
Weitere Informationen
Eine nähere Auseinandersetzung mit dem Thema lohnt sich, besonders für Mediziner, die viel unterwegs sind. Lufthansa bietet eine kostenlose Versicherung und vergütet das Anmelden als "Arzt an Bord" sogar noch mit 5000 Meilen. Auch die Schweizer Firma Flying Doctor bietet ein Programm an, das Mediziner für einen Ernstfall vorbereitet. Für weitere Informationen kann auch der Artikel von 2005 aus dem Ärzteblatt zu Rate gezogen werden (Link siehe unten).
Guten Flug!
Notfallmedizin im Flugzeug: Erste Hilfe über den Wolken (Ärzteblatt)
Medizinischer Nachtrag
(*)Anmerkungen: Der oben beschriebene präkordiale Faustschlag ist ein - in seiner Wirksamkeit kaum belegtes und teils umstrittenes - Manöver, welches nur angewendet werden soll, wenn der Kreislaufzusammenbruch unmittelbar beobachtet wurde. In diesem Fall kann ein kräftiger Schlag aus 20 cm Entfernung auf die Brustbeinmitte den Kreislaufstillstand durchbrechen, dies sollte jedoch im Optimalfall unter EKG Kontrolle stattfinden.