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  • Ines Elsenhans
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  • 26.04.2010

Als Mediziner in der Berater-Branche

Immer mehr Ärzte entschließen sich zu eher fachfremden Berufen und arbeiten beispielsweise in der Berater-Branche. Aber wie hat man sich den Berufsalltag des Beraters genau vorzustellen? Und bieten solche Jobs für Mediziner überhaupt eine realistische Alternative zu Kittel und Reflexhammer? Mit diesen Fragen im Hinterkopf sprach Annika Simon mit Dr. med. Tibor Friedrich von der Boston Consulting Group (BCG).

Herr Dr. Friedrich, Sie haben Medizin studiert, arbeiten aber schon seit längerer Zeit nicht mehr im klinischen Bereich, sondern in der Unternehmensberatung bei BCG. Wie sind Sie mit dieser Branche in Berührung gekommen?

Dr. Tibor Friedrich: Gegen Ende meines Studiums habe ich angefangen, nach Alternativen zum Arztberuf zu suchen. Durch einen Zeitungsartikel wurde ich damals zufällig auf den Beruf des Unternehmensberaters aufmerksam. Dabei faszinierte mich vor allem die Abwechslung, die die Beratertätigkeit mit sich bringt.

Am Ende der experimentellen Phase meiner Doktorarbeit hatte ich noch drei Monate Zeit, bevor mein Praktisches Jahr anfing, und ich entschloss mich, den Job des Unternehmensberaters einfach einmal zu testen. Ich bewarb mich um einen Praktikumsplatz bei The Boston Consulting Group (BCG) und erhielt nach einem relativ aufwendigen Auswahlverfahren die Möglichkeit, für drei Monate als "Visiting Associate", wie die Praktikanten bei BCG heißen, in die Welt des Consultings einzutauchen.

Mit meinem Team - einem Betriebswirt, einem Chemiker und einem weiteren Mediziner - begleitete ich ein Biotech-Unternehmen bei der Optimierung seines Research-Portfolios. Während dieses Projekts stellte ich fest, dass keineswegs nur Wirtschaftswissenschaftler als Consultant arbeiten können, sondern dass gerade der Mix verschiedener beruflicher Hintergründe zu besseren Beratungsergebnissen führt. Ich hatte das Gefühl, auch als Mediziner einen wichtigen Beitrag zum Projekterfolg zu leisten.

Am Ende des Praktikums bekam ich dann von BCG ein Jobangebot. Natürlich war es keine leichte Entscheidung, Arztkittel und Stethoskop gegen Anzug und Laptop einzutauschen. Daher habe ich zunächst doch mit dem Arzt im Praktikum* angefangen. Nach ein paar Monaten war ich dann aber überzeugt, dass mir der Beraterberuf bessere Entfaltungsmöglichkeiten bot - und so bin ich 2003 bei BCG voll eingestiegen.

Wie sieht der Alltag als Berater bei BCG aus? Können Sie einen beispielhaften Tagesablauf beschreiben?

Einen typischen Tagesablauf gibt es eigentlich nicht, da jedes Projekt anders ist: ein neuer Kunde, ein neues Team, eine neue Aufgabenstellung. Aber es gibt natürlich einige typische Abläufe: Montagmorgen reise ich in der Regel zu meinem Kunden und arbeite an den folgenden Tagen vor Ort - Donnerstagabend geht es wieder nach Hause. Freitags bin ich dann im BCG-Büro. Die Aufgaben sind sehr facettenreich: Wir erstellen beispielsweise Analysen, diskutieren mögliche Lösungsansätze im Team, bereiten die Ergebnisse auf und besprechen unsere Vorschläge mit den Kundenmitarbeitern. Routine gibt es bei uns nicht - stattdessen ist viel Flexibilität gefragt.

Vor allem zu Beginn meiner Beraterkarriere habe ich ganz unterschiedliche Branchen und Unternehmen kennengelernt. Beispielsweise habe ich mit meinem Team eine neue Vertriebsorganisation für ein IT-Unternehmen entwickelt, an der Integration zweier Telekommunikationsunternehmen mitgewirkt oder für einen Finanzinvestor den Wert einer Logistikfirma ermittelt. Mittlerweile konzentriere ich mich weitgehend auf die Gesundheitsbranche und berate beispielsweise Krankenversicherungen, Medizintechnikhersteller oder Pharmakonzerne.

Ein besonders spannendes Projekt befasste sich mit der Frage, wie ein Pharmaunternehmen mit dem baldigen Ablauf des Patentschutzes eines umsatzstarken Medikaments umgehen sollte. Dabei hatte ich die Aufgabe, die finanziellen Implikationen verschiedener Lösungsansätze zu analysieren. Als attraktivste Option haben wir damals eine Kooperation mit einem Generikaunternehmen identifiziert. Vor Beginn der Verhandlungen haben wir dann mit Hilfe meiner Berechnungen den finanziellen Verhandlungsrahmen abgesteckt und eine Verhandlungsstrategie für unseren Kunden entwickelt. Letztendlich konnte der Kunde dadurch die finanziellen Einbußen, die immer mit dem Auslaufen eines Patents einhergehen, deutlich dämpfen.

Dr. Friedrich Tibor - Foto: BCG/F. Tibor

Dr. med. Friedrich Tibor im Gespräch mit seinen Kollegen

Ein Großteil der Berater hat ein wirtschaftliches Studium abgeschlossen und verfügt über entsprechende Kenntnisse, die im Consulting wichtig sind. Wie haben Sie es geschafft, sich das erforderliche Knowhow ohne ein zusätzliches BWL-Studium anzueignen? Wie sind Sie mit Schwierigkeiten umgegangen?

Gerade einmal die Hälfte der BCG-Consultants hat einen wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund - als Mediziner bin ich also keineswegs eine Ausnahme. Wie alle Quereinsteiger habe ich zu Beginn meiner Beraterkarriere ein mehrwöchiges Training absolviert, in dem ich die Grundlagen der Betriebswirtschaft und des Beraterberufs erlernt habe - ähnlich wie in einem Mini-MBA. Direkt im Anschluss habe ich einen eigenen Aufgabenbereich auf einem Kundenprojekt in den USA übernommen, bei dem ich sowohl meine medizinischen Kenntnisse als auch mein neu erworbenes betriebswirtschaftliches Wissen einsetzen konnte.

Natürlich war zu diesem Zeitpunkt noch vieles neu für mich. Nicht nur der eine oder andere betriebswirtschaftliche Begriff bedurfte noch einer kleinen Erläuterung, auch der Alltag der Excel-Analytik und des PowerPoint-Slide-Schreibens barg so manche Herausforderung. Zum Glück war ich dabei nie auf mich allein gestellt, sondern konnte mich immer auf die Unterstützung erfahrener Berater oder des internen "Knowledge-Teams" verlassen. Umgekehrt konnte aber auch ich mit meinem medizinischen Wissen immer wieder den anderen Teammitgliedern weiterhelfen. Bei einem Versicherungsprojekt konnte ich beispielsweise erklären, warum Patientengruppen mit Marfan-Syndrom womöglich höhere Kosten generieren; bei einem Projekt in der pharmazeutischen Industrie konnte ich die Frage nach dem "mysteriösen SSRI" beantworten.

Aus diesem Grund sind die Teams bei BCG auch bewusst sehr bunt zusammengewürfelt und setzen sich aus erfahrenen und weniger erfahrenen Beratern unterschiedlicher Fachrichtungen zusammen. Die verschiedenen Fähigkeiten, Perspektiven und beruflichen Hintergründe ergänzen sich, man diskutiert - und kommt schließlich zu einem viel besseren Ergebnis, als wenn alle von Anfang an in ähnlichen Bahnen gedacht hätten. Die Diskussionen werden dabei über alle Karrierestufen hinweg sehr offen geführt. Bereits als Praktikant interessierten sich alle für meine Meinung - und wenn ich gute Argumente hatte, konnte ich schon damals die Richtung des Projekts mit beeinflussen.

Um mein theoretisches Wirtschaftswissen noch weiter zu vertiefen, habe ich mich nach drei Jahren in der Beratung freistellen lassen und einen MBA in den USA erworben.

Welche Eigenschaften und Skills sollte man mitbringen, wenn man sich in der Beraterbranche durchsetzen möchte?

Die Kriterien, nach denen BCG die Lebensläufe der Bewerber prüft, sind sehr gute Noten, erste Praxis- und Auslandserfahrung sowie außeruniversitäres Engagement. Die Fachrichtung spielt keine Rolle. Wichtig sind dagegen Teamfähigkeit und Sozialkompetenz - und hier können Mediziner regelmäßig punkten. Da sie sehr gut auf ihre Mitmenschen eingehen, erkennen sie meist sehr schnell, was Teammitglieder oder Kundenmitarbeiter wirklich bewegt, und können darauf reagieren.

Außerdem fällt vielen Medizinern eine strukturierte Vorgehensweise leicht: Ein Arzt betrachtet zunächst die Symptome seines Patienten, leitet daraus das Krankheitsbild ab und überlegt schließlich, auf welche Weise er dem Patienten am besten helfen kann. Unternehmensberater gehen ähnlich vor - nur dass ihre Patienten ganze Unternehmen sind.

Gibt es bestimmte Dinge und Situationen, die Sie im Arztberuf sehr schätzten und die Sie nun als Berater vermissen?

Natürlich gibt es Aspekte des Arztberufs, die ich vermisse. Ich finde die Möglichkeit, Menschen zu helfen, emotional sehr befriedigend, und das habe ich während meiner Tätigkeit als Arzt auch so empfunden. In meinem jetzigen Beruf ist das anders. Aber ich freue mich selbstverständlich auch sehr darüber, wenn unsere Empfehlungen sichtbar zum Erfolg eines Unternehmens beitragen.

Könnten Sie sich vorstellen, nach einer gewissen Zeit wieder in die Klinik zurückzukehren?

Sag niemals "nie". Dennoch, eine Rückkehr ist unwahrscheinlich. Die Beratung bietet mir die besseren Entfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten und eine große Vielfalt an unterschiedlichen Tätigkeiten. In interdisziplinär besetzten Teams nach Lösungen für komplexe Probleme zu suchen, empfinde ich als sehr bereichernd - beruflich, aber auch persönlich.

Was raten Sie Medizinstudierenden und jungen Ärzten, die sich für den Beraterberuf und die Branche näher interessieren und sich einen Eindruck verschaffen möchten?

Wer Consultant werden will, sollte sich darüber im Klaren sein, dass sich der Beruf des Unternehmensberaters schon sehr deutlich vom Berufsbild des Arztes unterscheidet. Wer aber neugierig ist und mit dem Gedanken spielt, in die Beratung zu wechseln, der sollte diesen Job am besten erst einmal ausprobieren. Eine gute Gelegenheit sind mehrtägige Workshops, wie sie BCG mehrmals im Jahr organisiert - oder natürlich ein Praktikum. 2010 sucht BCG rund hundert Praktikanten, gerade auch Quereinsteiger mit wirtschaftsfernem Studium.

Natürlich sind die Anforderungen hoch, aber hochqualifizierte Mediziner haben sehr gute Chancen. Das setzt jedoch eine gründliche Vorbereitung auf das Auswahlverfahren voraus. In den Interviews wollen die Berater nämlich nicht nur den Lebenslauf des Bewerbers abklopfen, sondern die analytischen und kommunikativen Fähigkeiten der Kandidaten bei der Bearbeitung konkreter Fallstudien auf die Probe stellen.

Die Aufgabenstellung einer solchen Fallstudie könnte etwa lauten: "Wie schätzen Sie die wirtschaftlichen Perspektiven für die Eröffnung einer Arztpraxis ein?" oder "Wieviel kann ein Immobilienbesitzer in München für eine 50 Quadratmeter große Mietwohnung verlangen?" Bei der Bearbeitung dieser Fallstudien kommt es nicht auf wirtschaftliches Fachwissen an, auch wenn es natürlich hilft, beispielsweise den Unterschied zwischen fixen und variablen Kosten zu kennen. Vor allem aber zählt eine logische und strukturierte Herangehensweise. Derartige Fallstudien sollte man im Vorfeld üben - Beispielfälle sind online und in Büchern zu finden.

Herr Dr. Friedrich, vielen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute!

Zur Person: Dr. Tibor Friedrich (36) studierte Medizin in Heidelberg und Mannheim und arbeitete als Arzt im Praktikum im Klinikum der Stadt Ludwigshafen. 2003 stieg er bei der Boston Consulting Group (BCG) in Frankfurt ein. Während einer einjährigen Auszeit absolvierte er ein MBA-Programm an der Kellogg School of Management in den USA. Mittlerweile wurde er bei BCG zum Projektleiter befördert.

*bis 2004 notwendiger 18-monatiger Ausbildungsabschnitt für Mediziner zur Erlangung der Vollapprobation

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