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  • Katrin Book
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  • 04.01.2005
  • Damm in Fort Loudon - Foto: tpsdave/pixabay.de

    Ein Staudamm in Fort Loudon, Tennessee.

     

Allgemeinmedizin in East Tennessee

Dank meiner Eltern hatte ich jedes Jahr Urlaub in den USA gemacht und damit auch schon als Kind Englisch gelernt. Ein Studium in den USA kam leider vor allem aus finanziellen Gründen nicht in Frage, aber die Facharztausbildung sollte es sein.

 

Ich hatte also nach dem 1. deutschen Staatsexamen den Step 1 der United States Medical Licensing Examinations (USMLE) gemacht und nach dem 2. Staatsexamen den Step 2. Anschliessend machte ich noch den Clinical Skills Assessment-Test (Step2 und CSA sind inzwischen kombiniert) und natürlich den TOEFL-Sprachtest. Die gesammelten Unterlagen müssen zum Sommer beim National Residency Matching Program eingereicht werden, um beim Match im folgendem Frühjahr eine Stelle bekommen zu können.

Das NRMP verschickt die Bewerbungen gegen eine Gebühr an die Programme der Facharztweiterbilung, somit muss man nur einmal die Bewerbung einreichen. Leider schafften meine Unterlagen dank der fehlenden Bestätigung der Mitarbeiterin vom LPA die deadline nicht und damit war ich aus dem match raus und musste "scrambeln", so nennt sich das fieberhafte Bewerben um übriggebliebene Plätze.
Ich wollte schon immer in die Anaesthesie oder als Alternative Emergency Medicine machen, leider zwei Disziplinen, die in den USA sehr begehrt sind und damit auch keine freien Plätze hatten. Über einen Bekannten hörte ich von einer freien Stelle in der Allgemeinmedizin in Ost-Tennessee, ich gebe zu, ich musste erst mal in die Karte schauen uns suchen, wo das überhaupt ist. Da aber die Anaesthesie ein basic clinical year verlangt, bin ich zum Bewerbungsgespräch gefahren und habe die Stelle auch bekommen.

Die Bewerbungsgespräche verlaufen hier ganz anders als man Bewerbungen aus Deutschland kennt. Es beginnt meist mit einem Abendessen mit mehreren Residents, die schon in diesem Programm sind und die man tunlichst über alle Aspekte ausfragen sollte. Am nächsten Tag folgen Gespräche mit Fakultätsmitgliedern aber auch wieder mit anderen Residents. Man wird herumgeführt, mir wurde der gesamte Campus gezeigt, das Krankenhaus und die Clinic. Hier ist es eher so, dass sich das Program von der besten Seite zeigen will und sich um den Bewerber bemüht.
Die Nacht im Hotel und das Essen werden selbstverständlich bezahlt, allerdings nicht die Anreise und das kann für Bewerber aus Deutschland manchmal ziemlich kompliziert und auch teuer werden. Die amerikanischen Studenten bekommen in ihrem 4. Jahr genug Zeit, häufig einen ganzen Monat für diese Gespräche.

Ich bin dann vier Wochen vor Beginn in Johnson City eingetroffen, hatte eine Unterkunft bei einer sehr netten Unimitarbeiterin und habe innerhalb von einer Woche eine Wohnung gemietet und ein Auto gekauft, ohne das es in Amiland eben doch nicht geht. Pünktlich zum 1. Juli fängt die Residency in den USA an. Im ersten Jahr ist man als Intern in der Regel zuständig für alle täglichen notes, alle Aufnahme- und Entlassungspapiere.

Die ersten Wochen waren für mich ein Schock. Ich hatte zwar Famulaturen in den USA gemacht, allerdings nie auf einer Station und damit war erst mal alles neu - wie ordnet man etwas an, wo findet man Laborergebnisse, die Kommunikation mit anderen Disziplinen. Zum Glück waren alle supergeduldig und nach einer Weile hatte ich mich eingearbeitet.

Toll ist, wie schnell man "procedures" selbst machen darf, z.B. eine Lumbalpunktion beim Neugeborenen. Dank meiner Anaesthesieerfahrung durfte ich das sofort probieren.
In der Chirurgie dürfen die Residents ziemlich schnell selber operieren und spätestens im 3 Jahr schauen die Attendings nur noch zu, in meiner Chirurgiezeit habe ich vor allem Gastroskopien, Koloskopien und Haut-OPs gemacht, allerdings auch zentralvenöse Zugänge gelegt.

Das Internjahr besteht hier aus jeweils 2 Monaten Innere, Chirurgie, Geburtshilfe, Pädiatrie, Allgemeinmedizin (wo die Patienten unserer Praxis, die im Krankenhaus waren, betreut wurden), und jeweils einem Monat Gynäkologie und Neonatologische Intensivstation. An zwei Nachmittagen in der Woche hatten wir unsere Patienten in der Praxis, und "unsere" ist nicht nur so gesagt, die Patienten betrachten einen schnell als "ihren Doktor" und sind auch manchmal etwas verstimmt, wenn man dann persönlich nicht für sie da ist.

Der grösste Unterschied zur Allgemeinmedizin in Deutschland hat sich allerdings erst im Laufe des Jahres gezeigt, als mir klar wurde, was man mit diesem Fach in den USA alles machen kann. Auch hier sind die Allgemeinmediziner häufig die am geringsten bezahlte Gruppe, allerdings heisst das hier immer noch ca. 120-140.000 $ im Jahr und die Möglichkeiten sind wirklich unbegrenzt: man kann sich mit jeweils einem Jahr „fellowship“ weiterbilden in Sportmedizin, Geburtshilfe, Notfallmedizin oder Geriatrie; aber auch ohne Spezialisierung kann man sich überall niederlassen und seine Praxis gestalten wie man will, man kann Koloskopien machen, verdächtige Hautmale entfernen, Geburtshilfe betreiben (allerdings muss man dann die hohe Malpracticeinsurance berücksichtigen) und das alles nach drei Jahren Ausbildung.

In Deutschland könnte ich mir Allgemeinmedizin niemals vorstellen, aber hier ist es eine echte Alternative, gerade weil es so vielseitig ist. Auch nicht zu verachten waren die vielen freien Bücher und Abendessen die man als family practice resident hier bekommt. Und auch wenn die Anaesthesie nun mein Hauptfach ist, werde ich doch versuchen ab und zu mal in einer Praxis oder einem Urgent Care Center zu arbeiten, um all das zu nutzen, was ich in diesem Jahr gelernt habe.

Jonson City liegt in den Ausläufern der Appalachen und bildet mit Kingsport und Bristol die Tri-City-region. Es gibt traumhafte Möglichkeiten zum Wandern, Mountainbiken, Kayaken und im Winter ist es nicht weit zum Skilaufen; auch wenn es sicher nur eine kleine Stadt ist, habe ich doch kaum etwas vermisst, es gibt Theater, Konzerte, im Sommer übrigens viel open air, ein Storytellerfestival und Kentucky, Virginia und North Carolina sind alle nur ein knappe Stunde entfernt.

Alles in allem kann ich jedem, der an Allgemeinmedizin Interesse hat, nur empfehlen die Ausbildung hier zu machen und dann auch auf dieser Seite des Atlantik zu bleiben. Da es in der Regel immer freie Stellen gibt, ist es meist kein Problem ein Visum zu bekommen.

Fragen an die Autorin:

kbook@anest.ufl.edu

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