- Interview
- |
- Das Interview führte Romy Michen
- |
- 11.02.2013
ArztInTeilzeit
Als Arzt zu arbeiten, bedeutet nicht nur einen verantwortungsvollen Job auszuführen, sondern auch in den aller meisten Fällen ein immenses Arbeitspensum. Um den schlechten Bedingungen etwas entgegenzusetzen, haben zwei junge Mediziner eine Internetseite ins Leben gerufen, auf der sich Ärzte einen Jobsharingpartner suchen können.
Ziel der Seite ArztInTeilzeit soll es sein, Ärzten die Möglichkeit zu bieten, sich einen Partner zu suchen, mit dem sie sich eine Stelle teilen können. Ärzte wollen nicht nur ausschließlich arbeiten, sondern ihre Freizeit auch mit Familie, Freunden, Forschung oder Hobbys verbringen.
Wir haben den Gründer der Homepage, Raphael Tsoukas, befragt wie das Modell funktioniert und wie man teilnehmen kann.
Herr Tsoukas, wie kam es zu der Idee ArzteInTeilzeit zu gründen?
Raphael Tsoukas: Die Idee ist am Ende des Medizinstudiums entstanden. Hintergrund dafür waren viele Gespräche mit Kommilitonen und Ärzten an der Uni sowie in der Klinik. Alle Studierenden und angehenden Ärzte hatten die Motivation gute Ärzte zu werden, aber viele von ihnen konnten sich nicht vorstellen, ein Leben allein für den Beruf, unter den starren Bedingungen, die in Deutschland herrschen, zu leben. Arztsein ist ein Fulltimejob. Viele haben das Gefühl, dass sie tagsüber, abends und auch am Wochenende arbeiten müssen. Den Eindruck, ein Leben ausschließlich für den Beruf zu führen oder diesen gar nicht ausüben zu können, haben viele. Diese Thematik und Problematik hat mir zu denken gegeben.
Ich hatte ganz generell darüber nachgedacht, wie man die klinische Tätigkeit und die Forschungsarbeit unter einen Hut bringen kann. Daraufhin haben wir im Internet gezielt nach Jobsharingseiten gesucht, zu diesem Thema aber nichts gefunden. Ich bin der Meinung gewesen, dass es das schon geben muss, die Realität sah aber ganz anders aus. Eben gerade für Ärzte bietet sich dieses Arbeitsmodell hervorragend an, weil die Kontinuität der Patientenversorgung so vollständig geleistet werden kann.
Wie sind Sie dann weiter vorgegangen?
Raphael Tsoukas: Wir haben erst einmal nachgeforscht, ob es denn überhaupt ein Bedarf an Teilzeitstellen gibt. In der Schweiz gibt es seit einem Jahr ein ähnliches Modell, in Deutschland aber bisher noch nicht. Tatsächlich haben wir dazu z.B. Studien von Hartmannbund oder der Bundeärztekammer gefunden, die belegen, dass Ärzte sich mehr Teilzeitbeschäftigung wünschen. Vor allem bei den Frauen sei dieser Wunsch groß. 85% der Frauen wünschen sich nach einer Schwangerschaft als Ärztin weiter in Teilzeit arbeiten zu können. Die Kliniken werden sich in Zukunft auf ein familienfreundlicheres Modell einstellen müssen, weil schon heute über 60% der Studienabgänger in der Medizin Frauen sind.
Wir haben uns dann mit Chefärzten und Personalleitern zusammengesetzt und besprochen. Von allen Seiten her kamen ein positives Feedback sowie reges Interesse an unserem Projekt, sogar von den Chirurgen. Letztere haben berichtet, dass sie mit Ärztinnen, die sich eine Stelle teilen, sehr positive Erfahrungen gemacht haben und das diese zu den motiviertesten und zu den am effektivsten arbeiteten Ärzten in seinem Team zählen.
Seit wann gibt es ihr Angebot?
Raphael Tsoukas: Ein Tag nachdem ich mein Examen gemacht hatte, im November 2012, sind wir online gegangen.
Wie funktioniert Ihr Modell genau, können Sie mir erklären, wie die Vermittlung zwischen zwei Ärzten, die sich eine Stelle teilen, aussieht?
Raphael Tsoukas: Also ArztInTeilzeit ist eine Internetplattform, auf der sich Ärzte, die Interesse an einer Teilzeitstelle haben, informieren sowie austauschen können.
Auf unserer Seite kann man sich registrieren und über eine Suchmaschine Wohnort, Fachbereich und Umkreis angegeben. Es können Jobsharing-Gesuche aufgegeben und gelesen werden. Hat man jemanden Passendes gefunden, kann diese Person kontaktiert werden.
Haben sich zwei Ärzte gefunden und passen ihre Vorstellungen darüber, wie beide die Stelle ausfüllen wollen, überein, können sich diese wieder an ArztInTeilzeit wenden. Wir vermitteln auf Wunsch der Ärzte an die Klinik ihrer Wahl.
Welche Vorteile hätten zwei Ärzte/Ärztinnen davon, wenn sie sich eine Stelle teilen?
Raphael Tsoukas: Teilen sich zwei Ärzte/Ärztinnen einen Arbeitsplatz, so können sie sich die Arbeitszeit individuell einteilen.
Die Jobsharingpartner können sich auch die Arbeitswochen teilen, es kann wochenweise oder monatlich gewechselt werden. Ebenso können Nacht- und Wochenenddienste aufgeteilt werden. Für die Abteilung erübrigt sich die Suche nach einer Vertretung in der Zeit, in der ein Teilzeitbeschäftigter nicht vor Ort ist. Da geregelt ist, wer für die Patienten zuständig ist und zwischen wem die Übergabe der Patienten stattfinden muss, so ist auch die Kontinuität der Patientenversorgung gewahrt.
Haben Sie das Vermittlungs-Portal selbst programmiert? War es schwierig, das zu realisieren? Woher hatten Sie das Know-How?
Raphael Tsoukas: Wir haben die Internetseite zusammen mit Freunden eingerichtet. Das Layout der Seite hat meine Freundin Maren Bongartz gestaltet, wir beide sind die Initiatoren dieses Projektes. Außerdem haben wir noch einen Programmierer, der das Interface gemacht hat. Jan Apel hat die Suchfunktionen, die sehr komplex zu installieren waren, für uns programmiert. Die Betreuung und Aktualisierung der Seite machen meine Freundin und ich selbst.
Wie viele Ärzte haben dieses Angebot schon angenommen? Ist das Interesse groß? Bekommen Sie Feedback von den teilnehmenden Ärzten? Sind die mit ihrer Position zufrieden?
Raphael Tsoukas: Nach drei Woche hatten sich schon zehn Leute angemeldet, nun sind es ungefähr schon 25. Bisher haben sich überwiegend junge Mediziner dafür interessiert und sich dafür registrieren lassen.
Unsere Internetseite ist bisher noch weitgehend unbekannt. Dafür sind wir mit den bisherigen Anmeldungen zufrieden.
Es gibt jedoch genauso Kliniken, die uns anschreiben, weil sie eine Stelle mit zwei Ärzten besetzen möchten. In Zukunft wollen wir unsere Webseite soweit ausbauen, dass Kliniken bei Bedarf eine Jobsharingstelle über unser Internetportal anbieten können. Interesse vonseiten der Kliniken besteht schon. Was wir bisher noch nicht haben, sind zwei Ärzte, die sich über unsere Plattform gefunden haben und sich eine Stelle teilen. Dafür ist es noch zu früh, denn man braucht eine gewisse Anzahl an Ärzten in einem bestimmten Umkreis, in demselben Fachgebiet. Es müssen also vielerlei Faktoren zusammenspielen, damit das Ganze klappt.
Nehmen Männer dieses Angebot genauso wahr wie Frauen?
Raphael Tsoukas: Im Moment gibt es genauso viele Registrierungen von Frauen wie von Männern.
Wobei ich in Zukunft davon ausgehe, dass doch etwas mehr Frauen auf dieses Arbeitsmodell zurückgreifen werden.
Unterstützen die Kliniken dieses Programm und werden sie es in Zukunft vielleicht auch fördern?
Raphael Tsoukas: Da die Kliniken jetzt schon auf uns zu kommen, obwohl wir bisher kaum bekannt sind, hoffe ich, dass die Kliniken auch in Zukunft, vor allem dann, wenn das Modell schon bekannter ist, verstärkt auf uns zukommen werden.
Sie sind ja nun selbst Arzt/Ärztin in Teilzeit, welchen Unterschied bemerken Sie im Gegensatz zu der Vollzeitstelle davor (psychisch/physisch)? Wie hat sich das auf ihre Lebensqualität ausgewirkt? Hat sich ihr Leben dadurch verändert?
Raphael Tsoukas: Die Frage kann ich leider noch nicht beantworten, weil ich erst letztes Jahr mein Examen gemacht habe und momentan an meiner Doktorarbeit schreibe, und zudem habe ich auch noch das Projekt am Laufen. Zurzeit habe ich also wirklich alle Hände voll zu tun. Ab Mai/Juni diesen Jahres möchte ich dann aber mit der Kliniktätigkeit beginnen. Am Anfang werde ich auch erst einmal in Vollzeit arbeiten, um in den Klinikalltag ganz einzusteigen und Erfahrung als Arzt zu sammeln. Später möchte ich aber auf jeden Fall in Teilzeit arbeiten, damit ich weiterhin forschen kann.
Sehen Sie Bereiche in der Medizin, in denen Teilzeit-Arbeit nur schwer zu realisieren ist? Welche und warum? Verursachen die häufigen Übergaben "Reibungsverluste"? In welchem Bereich geht Teilzeitarbeit besonders einfach?
Raphael Tsoukas: Es gibt auf jeden Fall Bereiche in der die Teilzeit-Arbeit besser läuft als in anderen. Bei der Stationsarbeit in der Chirurgie ist es vielleicht ein bisschen schwieriger als in anderen Bereichen. Ich hatte meine Famulatur in den USA gemacht. Die USA hat ein anderes medizinisches System und eine andere medizinische Ausbildung als Deutschland. In einer US-Klinik gibt es viel mehr Teilzeitarbeitende und so wird grundsätzlich mehr zwischen den Stationen gewechselt, als das bei uns der Fall ist. Die Übergaben dort liefen immer wunderbar ab. Diesen Arbeitsalltag habe ich dort in der Praxis gesehen und als äußerst positiv in Erinnerung behalten. Dort wurden die Patienten auch viel ausgiebiger besprochen, als das bei uns der Fall ist. Wechselte zum Beispiel der Attending (ein Attending kommt unserem Obersatz sehr nahe und trägt die volle Verantwortung für die Patienten), dann ist das gesamte ärztliche Team dazu aufgefordert gewesen, genauste Informationen weiterzugeben. Und das ist auch ein Mittel, um Fehler zu vermeiden.
Gegner dieses Modells sagen, dass viele Informationen verloren gehen. Ich halte dagegen und sage ganz im Gegenteil, dadurch ist man gezwungen, sich auszutauschen. Und dadurch, dass ein Austausch stattfindet, ist man wiederum dazu gefordert und aufgefordert noch einmal ganz genau über den Patienten nachzudenken. In diesem Denkprozess können auch noch ganz andere Lösungsansätze und Therapiemöglichkeiten erarbeitet werden.
Was passiert in ihrem Modell, wenn ein "Teilzeit-Partner" kündigt oder länger krank ist? Muss man dann vorübergehend wieder auf 100% aufstocken?
Raphael Tsoukas: Der Teilzeitarbeitende schließt keinen Vertrag mit seinem Partner, sondern mit der Klinik selbst. Und je nach dem, was in diesem Vertrag festgelegt wurde, ist dann auch einzuhalten. Jeder Vertag ist also individuell angelegt und hierfür gibt es keine einheitliche Norm.
Können Arzt oder Ärztin finanziell damit gut über die Runden kommen und wie sieht es aus, wenn man Familie hat?
Raphael Tsoukas: Wer nur die Hälfte der Zeit arbeitet, verdient natürlich auch nur die Hälfte. In den Gesprächen, die ich bisher geführt habe, hatte ich zwar Klagen über die Ausbildung, die Arbeitszeiten oder das immense Arbeitspensum gehört, mit dem Geld aber schienen alle bisher zufrieden zu sein.
Wie sieht das aus, wenn man alleinerziehend ist?
Raphael Tsoukas: Frauen müssen ja nicht nur 50% arbeiten, sie können auch 70% oder 80% arbeiten.
Man darf zudem nicht vergessen, dass bei Ärzten neben der normalen Arbeitszeit, Nachtdienste, Patientengespräche oder Gespräche mit deren Angehörigen hinzukommen. Es ist keine Seltenheit, dass man es nicht pünktlich nach Hause schafft oder nach einer Nachtschicht den nächsten Tag verschläft. Der vorherrschende Ärztemangel ist in den Medien permanent präsent. 12 000 Stellen sind derzeitig unbesetzt. Viele Ärzte hören mit der kurativen Tätigkeit auf und gehen beispielsweise in die Pharmaindustrie oder sie hören ganz auf mit ihrer Arbeit, wenn Kinder da sind.
Die Gesellschaft muss sich fragen, wie der Beruf des Arztes wieder attraktiv gemacht werden kann.
Wir haben 38.000 Mediziner, die nicht als Ärzte arbeiten, warum ist das so?