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  • Dr. med. Yvonne Kollrack
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  • 11.03.2009

Von der PJlerin zur Assistenzärztin

PJler in Aktion: Das heißt für gewöhnlich Hakenhalten und Blutabnehmen, worüber man sich ausgiebigst ärgern kann. Doch ich als ehemalige PJlerin bin nun froh, wenn eifrige Medizinstudenten für diese sklavischen Tätigkeiten zur Verfügung stehen.

 

Bei meinen Famulaturen und im PJ hatte ich überwiegend sehr nette und kompetente Betreuer. Zwar musste bisweilen ein Oberarzt davon überzeugt werden, dass die Annahme "Frauen fallen im OP doch bloß um" falsch ist. Und die Nephrologin, die mich kaltblütig zur Blutabnahme bei einer 140kg auf 140cm-Patientin schickte, welche während der Venensuche erst die Blumen ihrer Nachbarin verspeiste und danach eine Banane samt Schale, habe ich auch nicht in guter Erinnerung behalten. Ich habe bei meiner klinischen Ausbildung jedoch unheimlich viel gelernt, weil es mir wie selbstverständlich gezeigt wurde. Meine Fragen wurden ausführlich und verständlich beantwortet. Ich musste mich nie als reiner Blutsauger oder Hakendepp fühlen. Dafür gab's am Ende immer Kuchen für die Station und Danksagungs-Comics. Zumindest die Sache mit dem Kuchen sollte Studentenpflicht werden.

Auf der anderen Seite

Nun ist es an mir, diese guten Erfahrungen zurückzugeben. Jetzt bin ich Assistenzärztin und stehe auf der "anderen" Seite. Plötzlich stehen jeden Morgen fünf PJ-Studenten vor mir und schauen mit großen Augen erwartungsvoll in den Tag - in den Tag, den ich zu gestalten habe. Ich merke zu meinem Schrecken, dass das gar nicht so einfach ist. Der gute Wille ist da. Aber manchmal fehlt mir einfach die Energie, zwischen Stationsalltag, OP, Arztbriefen, Angehörigengesprächen und diversen Telefonaten spontane Vorträge über interessante Krankheitsbilder zu halten. Einiges an Wissen ist mir seit Ende des Studiums und der A-E relevanten Lebensphase auch schlicht entfallen. Als Chirurgin befasse ich mich einfach nicht mehr mit den Feinheiten der Dermatologie. Manchen Sachverhalt weiß ich zwar, um aber einen pädagogisch guten Vortrag darüber zu halten, muss ich auch vorher noch mal nachlesen. Lege ich einen Termin für eine Fortbildung fest, kommt oft etwas dazwischen. Studientage oder ungeplante OP-Einsätze etwa.

Einige Studenten wissen nicht nur in Randgebieten mehr als ihr Betreuer, sondern generell. Glauben sie jedenfalls. Es ist durchaus heikel, einem PJler klarzumachen, dass er gerade versucht hat, den Nierenklopfschmerz am Beckenkamm auszulösen. Wenn ein Student einem anderen die Meniskuszeichen erklärt, und das mit falschen Namen und in inkorrekter Ausführung - wie rette ich die Situation? Greife ich sofort ein, damit der eine nix Falsches lernt, stelle ich den anderen bloß. Warte ich, um den anderen einzeln zu berichtigen, kann ich später hinter ihm her rennen. Und einige haben schon ein ausgeprägtes Chirurgen-Macho-Gehabe an sich: Von einer Frau lassen sie sich nichts sagen. Erklärt mein Kollege fünf Minuten später genau das gleiche wie ich, wird kommentarlos geschluckt, was zuvor noch ausdiskutiert werden musste.

Temporäre Verzweifelung

Was soll ich bei einigen Spezialisten tun? Nach dem Frühstück gehen sie erst mal Mittagessen. Nach 3 Monaten ist der Unterschied zwischen Anamnese und Befund immer noch unklar. Die 70-jährige erzkonservative Privatpatientin wird bei der Medikamentenanamnese locker gefragt, "welche Pillen sie denn sonst noch so" einwerfe, bei Antwort erfolgt der Kommentar "Beloc, was´n das für´n Zeug?" Da muss eine Lehrstunde über professionelles Auftreten her. Wenn auf dem Untersuchungsbogen "Knieschmerzen, kommt zur TEP"- und sonst nix steht und jemand nach 4 Wochen im OP der Instrumentenschwester mit bloßen Fingern auf den Tisch greift, dann kipp ich doch irgendwann aus den Birkenstocks.

PJ ist kein Frontalunterricht

Wie gestalte ich ereignislose Pausen? Ein großer Teil der Stationsarbeit ist nun mal leider langweilige Routine. Arztbriefe zu diktieren, wird später Alltag der jungen Kollegen sein, aber es ist nicht gerade spannend jemandem beim Diktieren zuzuhören. Dazu fehlt die Motivation. Anstrengend sind die glücklicherweise seltenen jungen Kollegen, die Unterhaltungsprogramm erwarten, selbst aber keine Initiative ergreifen. Leute, manchmal müsst ihr auch fragen, einfach mitmachen und anpacken! PJ ist kein Frontalunterricht!

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich die Studenten gelegentlich ausnutze. Ich lasse die Blutabnahmen stehen, weil das in meiner Abteilung PJ-Aufgabe ist. Ich schimpfe, wenn kein PJler da ist und ich selbst zustechen muss. Muss etwas kopiert werden oder Röntgenbilder besorgt - ich frage einen Studenten. Ich wäre mir nicht zu fein, selbst zu rennen, aber es gibt so viel wichtige Dinge, die ich in der Zeit erledigen kann: AHB-Anträge schreiben und Konsile anfordern etwa. Es ist so praktisch. Zum Ausgleich versuche ich den Jungs und Mädels etwas zu bieten: Knüpfen lernen, interessante Röntgenbilder befunden oder Ultraschall durchführen.

Es kommt auf gegenseitiges Geben und Nehmen an. Es muss nur beiden Seiten erlaubt sein, den Mund aufzumachen, wenn etwas nicht passt. Dann klappt´s auch mit dem PJ.

 

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