• Kommentar
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  • Felix Hutmacher
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  • 13.02.2023

Wie im Klinikalltag überleben und trotzdem sein Bestes geben?

'Dare to Care – How to Survive and Thrive in Today’s Medical World' von Bonhoeffer und Ardagh ist ein Buch, das eine Anleitung dazu sein will, wie man in der heutigen medizinischen Welt nicht nur überleben, sondern auch noch Spaß am Beruf haben und erfolgreich sein kann. Warum der im Buch präsentierte ganzheitliche Selbstoptimierungsansatz nicht ganzheitlich genug ist, beschreibt unser Autor in diesem Artikel.

 

 

Eigentlich habe ich genau auf dieses Buch gewartet: Ein Buch, das mir erklärt, wie ich es als junger Arzt schaffe, trotz Stress, Überlastung, schwieriger Arbeitszeiten und Unmengen an Fachwissen, die ich mir aneignen muss, entspannt durch meinen Arbeitstag zu gehen, meinen Patienten gerecht zu werden, sie menschlich wie medizinisch gut zu behandeln und deshalb am Abend als glücklicher Mensch nach Hause zu gehen.


Bonhoeffer und Ardagh haben versucht, genau dieses Buch zu schreiben. Sie nutzen dabei einen selbstzentrierten Ansatz und versuchen, die auftretenden Probleme aus der Person des Arztes heraus zu lösen. Kurz könnte man ihren Ansatz so zusammenfassen: Nehmen Sie sich Zeit, sich um Ihre Patienten zu kümmern und sie nicht nur zu behandeln; und kümmern Sie sich zuallererst um sich selbst, denn nur wer mit sich selbst im Reinen ist, kann andern helfen. Versuchen Sie, Menschen zu behandeln und nicht Diagnosen, und hören Sie Ihren Patienten zu. Und dann: Handeln Sie nach diesen Erkenntnissen, und tun Sie, wenn nötig, auch Dinge, die gegen die Regeln verstoßen, die sie gelernt haben. Und wenn Sie es schaffen, alle diese Dinge zu berücksichtigen, werden Sie Energie aus Ihrer Arbeit ziehen, statt sie dort zu verlieren; sie werden nicht mehr nur Arzt sein, sondern Heilender, denn Sie behandeln nun nicht mehr Krankheiten, sondern Menschen, und dabei werden Sie auch selbst gesund.


Das verlockende an diesem Ansatz ist seine hohe Selbstwirksamkeit: Er vermittelt uns die Idee, dass wir die Kraft haben, all diese Widrigkeiten des täglichen Lebens zu überwinden, indem wir Lösungen in uns selbst finden. Damit aber verschieben sie logischerweise die Verantwortung ganz in Richtung des Individuums: Wenn man selbst nur genug der Ratschläge beherzigt, kann es trotz der widrigen Bedingungen gelingen, Patienten zu behandeln, dabei gleichzeitig aus seiner Arbeit Kraft zu schöpfen und ein ganzer Mensch zu sein. Die Lösung für ein Problem im System, sagen die Autoren indirekt, liegt also im Individuum. Das ist ungefähr so klug, wie wenn die Coca-Cola-Company behauptet, das Problem an ihren Plastikflaschen sei der Endverbraucher: Der recycle die Flaschen schließlich nicht richtig, sondern werfe sie einfach in den Müll oder in die Natur, statt sie wieder beim Coca-Cola-Konzern an der Tür abzugeben. Logisch, oder?


Und nicht nur suchen die Autoren die Lösung für ein systemisches Problem im Individuum: Sie folgen dabei auch noch der Idee der gnadenlosen Selbstoptimierung. Wenn wir es nämlich schaffen, so sagen sie, früh ins Bett zu gehen und morgens mit einem Glas Zitronenwasser und ein bisschen Yoga in den Tag zu starten, dann sind wir ausgeglichen, leistungsfähig und schaffen es, mehr Arbeit besser zu erledigen.


Das mag sogar stimmen, basiert aber auf der irrigen Annahme, das Beruf von Berufung komme und man als Arzt seine Arbeit nicht nur in Vollzeit ausübt, sondern sie auch als Lebensaufgabe versteht. Dabei ist es völlig legitim, nach der Arbeit seinen Kittel in den Wäschesammler zu werfen und bis zum nächsten Morgen nicht mehr an seine Arbeit zu denken; und zwar eben nicht, weil man eine Pause braucht, um am nächsten Tag wieder für den Job voll fit zu sein. Sondern weil man sich als Individuum nicht nur auf seine Arbeit reduzieren lassen möchte und nach der Arbeit Dinge tun, die ausnahmsweise einmal nichts mit ebendieser zu tun haben. Umgekehrt würde sich ja auch niemand zu der Behauptung versteigen, dass man nur ein guter Familienvater sein kann, wenn man diese Rolle auch noch über die Grenzen der Familie hinaus ausdehnt.


Für Bonhoeffer und Ardagh steht es auch außer Frage, das in der Arbeit als Arzt auch Selbstverwirklichung und Sinnsuche erfüllt sein müssen. Dabei könnte man auch meinen, dass auch in einem Beruf wie dem Arztberuf die Arbeit primär einfach Arbeit sein darf: Vielleicht ist es sogar besser, Lebenssinn auch noch in seiner Freizeit und seiner Familie oder auf anderem Weg zu finden. Man könnte es nämlich durchaus positiv werten, dass soziale Berufe in den vergangenen Jahren begonnen haben, sich zunehmend von der Idee der Selbstaufgabe zu lösen und ein Angestellten-Bewusstsein zu entwickeln – verbunden mit der Idee, dass auch jemandem, der für andere da ist, Freizeit, guter Lohn und ein Leben neben der Arbeit zustehen.


Deshalb gilt: Dare to care – sehr gerne. Aber auch: Dare to Gegenwehr. Gegen die Logik spätkapitalistischer Coachingbücher: Es geht eben nicht nur darum, genug in sich hineinzuhören, weil die Lösung aller Probleme ist bereits in einem selbst angelegt ist. Und gegen die Verschiebung systemischer Probleme auf das Individuum: Man verändert die Welt nicht, indem man sich nur ausreichend selbst bespiegelt und sich möglichst geschmeidig anpasst. Sondern indem man versucht, der Welt seinen eigenen Stempel aufzudrücken.

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