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  • Stephanie Beil
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  • 28.06.2018

Facharztcheck Herzchirurgie – Herzenssache

Unser Herz ist ein Wunderwerk der Natur: Im Lauf ­unseres Lebens schlägt es ungefähr drei Milliarden Mal. Drei Herz­chirurgen berichten, was wichtig ist, wenn man dieses besondere Organ operieren möchte.

 

Herzchirurgie - Foto: Kirsten Oborny

Für die Operationen in der Herzchirurgie braucht man ruhige Hände, höchste Konzentration und ein scharfes Auge – wobei für Letzteres vor allem die Lupenbrille sorgt. Foto: Kirsten Oborny

 

Wir schreiben das Jahr 1930. Der junge Arzt John Heysham Gibbon arbeitet in Harvard als Research Fellow, als er eines Tages eine Patientin mit akuter Lungenembolie zur Beobachtung bekommt. Damals werden Embolien noch durch Embolektomien behandelt, die Lyse ist noch nicht erfunden. Trotzdem zögern die Ärzte mit dem Eingriff. Zu dieser Zeit ist in Amerika nämlich noch keine einzige Lungen­embolektomie erfolgreich verlaufen. Doch am nächsten Tag ist der Zustand der Patientin so schlecht, dass eine Operation unausweichlich wird. Es gelingt den Chirurgen, den Embolus zu entfernen.

Gibbons Chef, der Operateur Edward Churchill, braucht für den Eingriff nur sechs Minuten. Doch die Patientin verliert zu viel Blut. Zudem sackt ihre Sauerstoffsättigung in den Keller – und sie stirbt auf dem OP-Tisch. John Gibbon geht dieses Ereignis nicht aus dem Kopf. In den folgenden Tagen entwickelt er die Idee für eine Maschine, die einen künstlichen Umgehungskreislauf herstellt. Dieses Gerät könnte bei Herz- und Lungen-OPs die Funktionen dieser beiden Organe übernehmen. Mit diesem Konzept im Kopf macht er sich daran, zusammen mit Ingenieuren von IBM den Prototyp der Herz-Lungen-Maschine zu konstruieren. 1953 operiert er damit erstmals erfolgreich eine Patientin am Herzen.

 

Herz OP - Foto: Kirsten Oborny

Herzchirurgische Eingriffe – hier die Implantation einer Herzklappe – sind sehr filigraner Natur. Jeder Faden muss sitzen! Foto: Kirsten Oborny

Ein Meilenstein und sein Fach

„Dieses Gerät ist für mich die wichtigste Er­findung in der Herzchirurgie“, meint Dr. Detlef Roser, Oberarzt an der Sana-Herzchirurgie in Stuttgart. Viele komplexe OPs wie Herztransplantationen, Bypass-Anlagen oder aorten­chirurgische Eingriffe wurden erst durch diese Innovation möglich. Damit können sich die Operateure die Zeit nehmen, die sie brauchen, um z. B. die in der Herzchirurgie so wichtigen winzigen Gefäßnähte zu setzen.

„Die Öffentlichkeit verbindet die Chirurgie oft nur mit grober, handwerklicher Arbeit. Gerade in der Herzchirurgie sind aber die filigranen Tätig­keiten sehr wichtig“, erklärt Dr. Daniela Seubert, Weiterbildungsassistentin in der Sana-Herzchirurgie. „Am häufigsten legen wir Koronar-arterien-Bypässe und verwenden hier, wenn möglich, Arterien des Patienten aus der Brustwand.“ Ein besonderer Schwerpunkt der Klinik ist die Herzklappenchirurgie: Die Operateure verwenden biologische Klappen bzw. Pro­thesen oder rekonstruieren Mitral- und Aortenklappen. „Mitralklappen werden mittlerweile fast ausschließlich rekonstruiert.“, erklärt Dr. Seubert. „Diese Klappen halten im Idealfall ein Leben lang und der Patient ist nicht auf gerinnungshemmende Medikamente angewiesen.“

Bei allen diesen Eingriffen spielt die Herz-Lungen-Maschine eine zentrale Rolle. Doch was sich Dr. Gibbon wahrscheinlich nie hätte träumen lassen: Im 21. Jahrhundert kann dank minimalinvasiver Verfahren und ausgefeilter OP-Technik immer öfter auf seine Erfindung verzichtet werden. Einige Eingriffe können auch bei schlagendem Herzen und ohne Umgehungskreislauf durchgeführt werden. D

as hat Vorteile: Gewebeverletzungen, die durch das Einführen der Kanülen entstehen, werden vermieden. Zudem wird das Blut auf physiolo­gischem Weg oxygeniert und durch den Körper gepumpt. „Vor allem bei interventionellen Bypass- und Klappen-OPs ist eine Herz-Lungen-Maschine heutzutage nicht mehr zwingend nötig“, erklärt Dr. Seubert. „Allerdings ist dabei sehr viel Übung nötig, um exakte Nähte am schlagenden Herzen zu machen. Außerdem liegt das Herz so im Brustkorb, dass man nicht alle Zielgefäße erreicht. Man muss es also ­drehen, um an die gewünschten Stellen zu kommen. Hat man das Herz dann in der gewünschten Position, kann es mit speziellen Stabilisierungssystemen fixiert werden. Dadurch ist gewährleistet, dass der Kreislauf aufrechterhalten wird.“ Dr. Roser mahnt angesichts solcher Herausforderungen davor, zu übereifrig zu sein: „Es gibt noch keine Studien, die garantieren, dass OPs ohne Herz-Lungen-­Maschine besser sind. Deshalb müssen wir in jedem Fall das Für und Wider abwägen.“

 

Herzchirurgie - Foto: Kirsten Oborny

Bei vielen Patienten garantiert eine breite Palette von oft über Perfusoren verabreichten Medikamenten, dass das Herz die Belastungen vor und nach einer OP gut übersteht. Foto: Kirsten Oborny

 

Lange Tage, lange Ausbildung

Dr. Seubert befindet sich im fünften Weiterbildungsjahr. In der Herzchirurgie bedeutet dies, dass sie damit noch am Anfang ihrer operativen Ausbildung steht. „Assistenten übernehmen zuerst kleine chirurgische Eingriffe oder Teile großer OPs“, erklärt die angehende Herzchirurgin. „So arbeiten sie sich schrittweise zu eigenen OPs vor.“ Dr. Seubert führt regelmäßig Thorakotomien durch, schließt die Herz-Lungen-Maschine an die Patienten an und präpariert Grafts für Bypässe. Sie hat aber auch schon Bypass-OPs durchgeführt – mit und ohne Herz-Lungen-Maschine. Außerdem operiert sie Aortenklappen und assistiert bei minimalinvasiven Eingriffen.

„Mein Tag beginnt um 7.15 Uhr in der Frühbesprechung mit allen chirurgischen Kollegen“, erzählt Dr. Seubert. „Wir diskutieren die Eingriffe der letzten Nacht und bereiten uns mit Filmen und Bildern von Herzkathetern, Ultraschall und Kernspintomografien auf die anstehenden Operationen vor. In kritischen Fällen wird nach der persönlichen Meinung eines jeden gefragt.“ Um 8 Uhr gehen die Oberärzte zur Visite auf die Intensiv- und Normalstationen, während die Assistenzärzte den OP vorbereiten und je nach Ausbildungsstand mit der Operation beginnen. Diejenigen, die an dem Tag nicht für den OP eingeteilt sind, begleiten die Oberärzte.

Später läuft das allgemeine Programm der Patientenversorgung ab: Thoraxdrainagen ziehen, Medikamente umstellen, Schrittmacher programmieren, Arrhythmien behandeln, Patienten aufnehmen, verlegen und entlassen. „Am Abend bereiten wir uns auf die Operationen des nächsten ­Tages vor und übergeben an den Nachtdienst. Je nachdem, wie man eingeteilt ist, kann es also sein, dass man den ganzen Tag im OP verbringt oder mit der Patientenversorgung auf Station beschäftigt ist.“

Dr. Seuberts Facharztausbildung begann mit zwei Jahren chirurgischer Basisschulung. Jetzt befindet sie sich in den vier bis sechs Jahren Spezialisierung auf die Herz-Thorax-Chirurgie. In der Sana-Herzchirurgie erreichen die Assis­tenzärzte die Facharztreife in sieben bis acht Jahren. Andernorts kann die Ausbildungszeit durchaus länger dauern. „In der Herzchirurgie machen wir meist nur große OPs. Deshalb dauert es länger, bis man alle erforderlichen Eingriffe durchgeführt hat“, meint Dr. Roser. Ein Bewerber sollte sich bewusst sein, dass die Ausbildungszeit viel umfangreicher sein kann als in anderen Fachrichtungen. Außerdem bleibt man sein Leben lang in der Klinik und hat nicht die Möglichkeit, sich niederzulassen.

 

Herzchirurgie - Foto: Kirsten Oborny

Für einen erfolgreichen Verlauf der Eingriffe ist eine umfassende Vorbereitung, z. B. mit per Video
dokumentierten Koronarangiografien, unerlässlich. Foto: Kirsten Oborny

 

Drum prüfe, wer sich ewig bindet

Wer ein Herzchirurg werden möchte, sollte sich das deshalb gut überlegen. Es ist eine Entscheidung, die das Leben prägt – mehr, als dies in anderen Fächern der Fall ist. Gerade das Arbeiten an den technischen, medizinischen und operativen Grenzen macht die Herzchirurgie zu einem extremen Fach. Chefarzt Prof. Dr. Doll fand in Südafrika den Draht zur Herzchirurgie: Er leistete dort sein PJ in der Chirurgie des Groote Schuur Hospitals in Kapstadt – jenem historischen Ort, wo Christiaan Barnard 1967 die erste Herztransplantation am Menschen durchführte. „Ich fand die Medizin anfangs viel zu langweilig und theoretisch“, erinnert sich der erfahrene Herzchirurg. „Doch bei diesem Aufenthalt lernte ich die praktische Seite der Medizin kennen: Wenn ein Patient mit einer Schussverletzung zu mir kam, nähte ich die Wunde und konnte ihm so direkt helfen.“

Zurück in der Heimat, musste er sich jedoch in der Ärzteschwemme dieser Zeit durch­boxen: „Man konnte froh sein, eine Stelle zu bekommen. Das hat sich zum Glück geändert.“ Heute wird viel Wert auf eine gute Ausbildung gelegt. Jeder Assistent bekommt einen Mentor zur Unterstützung und kann sich nach speziellen Ausbildungskatalogen richten. „Gleichzeitig ist die Ausbildung aber auch komplizierter als früher“, gibt Dr. Roser zu bedenken. „Neue Techniken, wie minimalinvasive Eingriffe, sind für die Patienten zwar ein Segen. Für die Assistenten stellen sie aber eine enorme Herausforderung dar. Sogenannte Anfänger-OPs, wie wir sie noch hatten, gibt es heutzutage nicht mehr.“

Prof. Doll fällt auch auf, dass Bewerber vermehrt nach Arbeitszeiten und Urlaub fragen: „Wir müssen uns auf die Generation Y ein­stellen. Die jungen Leute wollen einen guten Job, aber auch Freizeit, Familie und Hobbys haben.“ Während der Ausbildung sei es zwar schwer, eine Familie zu managen, da man viele Operationen ableisten müsse, die in der Herz­chirurgie nie richtig geplant werden können. Hat man den Facharzt aber in der Tasche, spreche nichts gegen eine Familienplanung. „Bei uns haben auch Oberärzte Teilzeitstellen. Eine ­gesunde Work-Life-Balance ist den jungen Kollegen wichtig, und das finde ich auch gut so.“

 

Herzchirurgie Visite - Foto: Kirsten Oborny

Trotz aller Hightechmedizin: Auch in der Herzchirurgie spielt die Visite eine zentrale Rolle. Oft ergeben sich im Gespräch mit dem Patienten neue Ansätze für Therapien oder Differenzialdiagnosen. Foto: Kirsten Oborny

 

Harte Arbeit, echte Wunder

Dennoch ist dieser Facharzt nichts für schwache Nerven. „Ein guter Herzchirurg muss sehr stressresistent sein und einen kühlen Kopf bewahren können, wenn er an der Herz-Lungen-Maschine steht oder intensivmedizinische Probleme auftreten“, meint Dr. Roser. „Es ist tatsächlich extrem belastend, zweimal täglich einen künstlichen Herzstillstand zu generieren. Zudem ist manuelles Geschick, ein großes physio­logisches Verständnis sowie viel internistisches und kardiologisches Know-how nötig.“ Eine Entschädigung bringen dafür die zahlreichen positiven Ereignisse. „In der Herzchirurgie ist die Erfolgsquote sehr hoch. Klar gibt es Niederlagen, die dann umso dramatischer, aber eben auch sehr selten sind“, so Prof. Doll.

Dr. Seubert erinnert sich an einen be­son­deren Fall: „Kollegen einer externen Klinik brachten eine junge Frau, die schon über zwei Stunden reanimiert worden war. Wir ­schlossen sie an ein Kunstherz an und beantragten eine Herztransplantation. Im Laufe der Behandlung diagnos­tizierten wir das Churg-Strauss-Syndrom, eine seltene Autoimmunerkrankung, und stellten die Therapie darauf ein. Sie entwickelte sich so gut, dass wir sie bald vom Kunstherz nehmen und schließlich sogar auf die Transplantation verzichten konnten. Am Ende verließ sie uns in einem guten Allgemeinzustand – und das, obwohl sie doch eigentlich schon tot war.“

 


Zahlen, Daten, Fakten

Seit 1993 sind Herzchirurgie und Thoraxchirurgie getrennte Fachgebiete. Die Ausbildung zum Herzchirurgen beginnt mit zwei Jahren Basisschulung. Darauf folgen vier bis sechs Jahre Spezialisierung auf die Herzchirurgie. Je sechs Monate arbeitet man auf der Intensivstation und in der Ambulanz. 12 Monate kann man sich aus einem anderen Fach anrechnen lassen – z. B. eine Anstellung in der Kardiologie oder Allgemeinchirurgie.

 


Warum lohnt es sich, Herzchirurg zu werden? 

 

Dr. Doll - Foto: privat

Prof. Dr. Nicolas Doll

Wegen der Dankbarkeit der Patienten nach einem erfolgreichen Eingriff! Ihnen ist bewusst, wie schwer krank sie meist sind, und haben großen Respekt vor unserer Arbeit. Toll ist auch die Ab­wechslung: Wir operieren hier Patienten aller Altersstufen, vom Kleinkind bis zum Neunzigjährigen. Die Eingriffe an den Klappen sind meist kurativer Natur, sodass die Patienten danach oft wieder ganz gesund sind. Das motiviert sehr.

 

Dr. Seubert - Foto: Kirsten Oborny

Dr. Daniela Seubert

Mir gefällt die Mischung aus chirurgischem Handwerk und Theorie: Man braucht viel manuelles Geschick, da es sich meist um sehr filigrane Tätigkeiten handelt. Gleichzeitig ist aber auch eine Menge internistisches und kardiologisches Wissen nötig. Daneben haben wir in der Herzchirurgie eine ausgewogene Kombination aus Operationen und Patientenkontakt, die es so in anderen Fach­bereichen oft in dem Maße nicht gibt.

 

Dr. Roser - Foto: Kirsten Oborny

Dr. Detlef Roser

Die Herzchirurgie hat für mich den großen Vorteil, dass man innerhalb kurzer Zeit positive Ergebnisse vorweisen kann. Als Internist beispielsweise kann man dem Patienten zwar Medikamente verschreiben – ob die dann auch wirklich helfen, weiß man nicht sicher. Wenn hier aber eine OP wie geplant verläuft und der Eingriff erfolgreich ist, geht es den Patienten am nächsten Tag schon erheblich besser, und sie sitzen gut gelaunt bei einem Frühstück im Bett.

 

 

 

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