- Facharztcheck
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- Lena Schulze
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- 13.02.2015
Facharztcheck Radiologie - Adleraugen im OP
Hat jemand behauptet, in der Radiologie gehe es nur um schwarzweiße Bildchen? Von wegen! Die moderne Radiologie ist nicht nur die zentrale Schnittstelle der Medizin, sie bietet auch hocheffiziente Heilverfahren.
Foto: Kirsten Oborny
Prof. Götz Martin Richter betritt den OP. Es ist 11.30 Uhr. Eine endovaskuläre Aortenreparatur steht auf dem Plan. Der Patient liegt schon auf dem OP-Tisch. Die beiden Leistenarterien hat der Gefäßchirurg bereits mit zehn Zentimeter langen Schnitten freigelegt. Am oberen Ende des Oberschenkels ragen Katheter und Führungsdrähte heraus, und am kleinen Tisch nebenan bereitet der Assistenzarzt den Aorten-Stent vor. Mithilfe eines Drahtes fädelt Prof. Richter diese kleingefaltete Gefäßprothese CT-gestützt durch den Katheter in die ausgebeulte Bauchaorta.
Der interventionelle Radiologe navigiert millimetergenau durch den Körper. Durch Zurückziehen des Drahtes entfaltet sich der Stent und überbrückt die Aussackung des Gefäßes. Auf den Bildschirmen über dem Patienten kontrollieren die Ärzte die Position des implantierten Drahtgeflechts. Der Interventionalist zieht, schiebt und dreht an den dünnen Drähten, bis alles an Ort und Stelle sitzt. Dann ist Prof. Richter zufrieden. „Ein perfektes Bild“, urteilt er.
Das interdisziplinärste Fach
Als der Physiker Conrad W. Röntgen vor knapp 120 Jahren die Röntgenstrahlen entdeckte, hätte er sich sicher nicht träumen lassen, was man später mit seiner Erfindung alles anstellen kann. Die Sensation, dass man damit in seinen eigenen Körper hineinschauen konnte, machte die Strahlen zur populärsten physikalischen Entdeckung ihrer Zeit. Bis heute ist das Erkennen von Krankheiten mittels bildgebender Verfahren das Kernstück dieses Fachs. Fast alle klinischen Fächer sind auf die Befunde der Röntgenärzte angewiesen. Ohne die aufschlussreichen Bilder könnte man viele Krankheiten nur vermuten. Ist der Knochen tatsächlich gebrochen? Woher kommt der chronische Husten? Wo ist die Arterie verstopft?
Diese Fragen kann der Radiologe beantworten – vorausgesetzt er kennt sich mit den Diagnosen der anderen Fächer gut aus. „Wir sind ein wandelndes Lexikon“, sagt Prof. Richter. Der Ärztliche Direktor der Radiologie am Klinikum in Stuttgart sieht im interdisziplinären Denken ein Grundelement seines Fachs. „Diese Vielseitigkeit ist eine Herausforderung. Aber mir macht die Zusammenarbeit mit den Kollegen anderer Fächer viel Freude.“ Dieser intensive Austausch prägt den Alltag in der Klinik: Die Radiologen diskutieren mit Spezialisten anderer Fächer schwierige Fälle und besprechen Therapiemöglichkeiten. Auch innerhalb der Radiologie werden unklare Befunde besonders gründlich besprochen. Komplizierte Fälle werden in Konferenzen erörtert oder zur Qualitätskontrolle nochmals überprüft.
Oft wird bei einer interventionellen OP für wenige Sekunden ein künstlicher Atemstillstand erzeugt, damit „geknipst“ werden kann. Auch die Ärzte stehen dann still, damit die Qualität der Angiografie nicht durch Bewegungen beeinträchtigt wird. Foto: Kirsten Oborny
Einzelkämpfer in Einzelpraxis
Dr. Stefan Müller ist in seiner Praxis auf sich alleine gestellt, die Möglichkeit zur direkten Absprache hat er nicht. „Für mich hat es den Vorteil, selbstständig zu sein. Ich bin mein eigener Herr und habe das Recht, Tag und Nacht zu arbeiten!“, sagt er mit einem bitteren Lächeln. Sein Arbeitstag ist 12 bis 14 Stunden lang. Alle Abläufe sind durchorganisiert: „Sie sollten im 15-Minuten-Takt befunden können“, erklärt der Radiologe. „Von der Befundung gehe ich zum Patientengespräch und sofort weiter zum nächsten Befund. Sonst warten die Patienten und sind unzufrieden.“ Vor allem Notfälle wie Arbeitsunfälle oder ein eingeklemmter Meniskus müssen sofort drankommen. Privatpatienten haben ebenfalls Vorrang, sagt Dr. Müller: „Sonst gehen Sie schlichtweg pleite!“
Betriebswirtschaftlich gesehen bekommt er von Privatpatienten das zehnfache Honorar eines gesetzlich Versicherten. „Man muss schon ein bisschen verrückt sein, sich als Radiologe niederzulassen“, gibt Dr. Müller zu. In seiner Praxis stehen Geräte und Maschinen für mehrere Millionen Euro. Das muss sich refinanzieren. Das gelingt nur, wenn ihm seine Kollegen ausreichend Patienten zuweisen. Die meisten dieser Krankheitsbilder betreffen Sportverletzungen, Bandscheibenvorfälle oder vaskulär bedingte Erkrankungen.