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  • Via medici und Rechtsanwalt Jürgen Sauerborn
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  • 25.07.2005

Interview Arzthaftung

In Via medici 3/05 fragten wir den Rechtsanwalt Jürgen Sauerborn, welche Pflichten ein Medizinstudent hat, der zufällig zu einem medizinischen Notfall kommt. Welche Hilfe muss er leisten? Muss er sich melden, wenn ein Arzt ausgerufen wird?

Frage 1: Sind Ärzte aufgrund ihrer Ausbildung lebenslang dazu verpflichtet, auch über die reine Herz-Lungen-Wiederbelebung hinaus im Notfall zu helfen? Das heißt, gegebenenfalls auch einen Defibrillator einzusetzen und Medikamente, wenn ein Notfallkoffer vorhanden ist?

Antwort: Es geht hier um die allgemeine Pflicht im Unglücksfall Hilfe zu leisten und nicht um den im Notfalldienst stehenden Arzt.
Eine Pflicht zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen besteht für jeden. Wer dieser Pflicht nicht nachkommt, macht sich u.U. gem. § 323 c StGB strafbar. Den Arzt trifft diesbezüglich keine darüber hinaus gehende Sonder- oder erweiterte Berufspflicht, es sei denn es besteht eine besondere Hilfeleistungspflicht "kraft Übernahme der Behandlung".

§ 323 c StGB verpflichtet den Arzt, sowie auch jeden anderen im Rahmen des Erforderlichen und Zumutbaren, diejenige Hilfe zu leisten, die den Eintritt weiterer Schäden verhindert. Das heißt, wenn der Einsatz entsprechender Medikamente aus Sicht des Arztes geboten erscheint, sollte er diese einsetzen.

 

Frage 2: Trifft die Antwort auf Frage 1 auch auf Ärzte zu, die nicht mehr ärztlich tätig sind und z.B. in der theoretischen Medizin arbeiten (Pharmaforschung, Journalismus, etc.)?

Antwort: Wie bereits oben erwähnt, trifft den Arzt keine Sonder- oder erweiterte Berufspflicht, dies gilt erst recht für den Arzt, der nicht mehr ärztlich tätig ist. Er muss nur die ihm zumutbare und erforderliche Hilfe leisten. Das heißt, wenn er von der praktischen Tätigkeit eines Arztes keine Ahnung hat, kann er auch nicht die für einen praktischen Arzt qualifizierte Hilfe leisten. Niemand ist verpflichtet über die Grenzen seines Leistungsvermögens hinaus zu helfen.

 

Frage 3: Auf einer Zugfahrt wird ein Arzt ausgerufen. Soll sich ein ausgebildeter Arzt, der z.B. seit 10 Jahren einen anderen Beruf ausübt, melden, wenn er im Zweifelsfall aufgrund von mangelnder Erfahrung nicht über die reine Herz-Lungen-Wiederbelebung hinaus Hilfe leisten kann?

Antwort: Das Zugpersonal wird im Zweifel auch nicht wissen, ob in der betreffenden Situation unbedingt "ärztliche Hilfe" erforderlich ist oder nicht. Der Arzt sollte sich daher im Zweifel melden und muss dann selbst entscheiden, welche Hilfeleistung ihm möglich ist und welche über seine Kompetenzen hinausgeht.

 

Frage 4: Sind Ärzte, die nicht mehr den ärztlichen Beruf ausüben, verpflichtet, regelmäßig Notfallschulungen zu besuchen, um für Notfälle gewappnet zu sein?

Antwort: Nein. Fortbildungsmaßnahmen oder auch Notfallkurse sind nur dann zu besuchen, wenn man beruflich darauf angewiesen ist. (Als Jurist bin ich auch nicht verpflichtet mich fortzubilden, wenn ich niemanden mehr berate.)

 

Frage 5: Welchen haftungsrechtlichen Risiken unterliegt ein nicht mehr ärztlich tätiger Arzt, wenn er im Notfall Hilfe leistet?

Antwort: Bei einem Unglücksfall unterliegt der nicht mehr ärztlich tätige Arzt keinen besonderen haftungsrechtlichen Risiken. Leistet er seinem Kenntnisstand entsprechend erste Hilfe, so hat er seiner allgemeinen Pflicht Rettungsmaßnahmen auszuüben genüge getan.

 

Frage 6: Welche Ansprüche deckt die Berufshaftpflichtversicherung ab?

Antwort: Der Umfang des versicherten Risikos ergibt sich aus der jeweiligen Versicherung, insbesondere dem Versicherungsschein und seinen Nachträgen. Personen- und Sachschäden, die in Ausübung der ärztlichen Tätigkeit herbeigeführt worden sind, werden in der Regel von der ärztlichen Berufshaftpflichtversicherung abgedeckt. Die Versicherung tritt für die Folgen ein, die ein Dritter auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts gegenüber dem Arzt geltend machen kann. Mitversichert ist auch die Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst. Zivilrechtliche Ansprüche werden von der Haftpflichtversicherung aber nur übernommen, wenn der Arzt nicht vorsätzlich den Schaden verursacht hat.
Immaterielle Schäden, wie die Verletzung des Persönlichkeitsrechts sind hingegen nicht versichert. Auch gibt es keinen Schutz vor Strafe. Allerdings steht es im Ermessen des Versicherers, ob er seinem Versicherungsnehmer einen Verteidiger für ein Strafverfahren stellt. Mittlerweile werden auch Versicherungsverträge angeboten mit der sog. Erweiterten Strafrechtsschutzklausel. Dann werden die Kosten für das Strafverfahren auf jeden Fall übernommen.

 

Frage 7: Ist Ihnen ein Fall bekannt, in dem ein Arzt wegen mangelhafter Hilfeleistung im Notfall verklagt wurde?

Antwort: Es gibt sicherlich Fälle, in denen eine Verurteilung wegen mangelnder Hilfeleistung stattgefunden hat. Eine Verurteilung wegen unterlassener Hilfeleistung hat z.B. in folgendem Fall stattgefunden:

Fall 1:
Frau B war seit Jahren herzkrank. 1979 erlitt sie einen Herzinfarkt. Seitdem bestand eine Herzinsuffizienz mit Herzrhythmusstörungen. Am 08.11.1980 (Samstag) verschlechterte sich ihr Befinden. Sie klagte über Herzschmerzen, Schmerzen im linken Arm sowie allgemeines Unwohlsein. Die Tochter der Frau B, die Zeugin O, rief daraufhin gegen 0.30 Uhr den Angeklagten an, der an dem Wochenende Bereitschaftsdienst hatte. Die Zeugin informierte den Angeklagten über den Zustand ihrer Mutter und deren Vorerkrankungen. Sie bat den Angeklagten zweimal um einen Hausbesuch. Der Angeklagte erwiderte, sie solle die Mutter in seine Praxis fahren. Die Zeugin gab zu verstehen, dass ihr das nicht möglich sei. Der Angeklagte entgegnete hierauf, dass sie ihre Mutter zur Not mit einem Taxi ins nächste Krankenhaus fahren solle.
Ob der Angeklagte auf die Möglichkeit, einen Notarzt zu rufen hingewiesen hatte, konnte nicht mehr geklärt werden. Frau B erlitt einen Schwächeanfall und einen weiteren Herzinfarkt. Der Schwiegersohn verständigte den Malteser-Hilfsdienst. Kurz darauf traf der Notarzt ein, der die Patientin sofort in ein Krankenhaus überführen ließ. Anfangs verbesserte sich dort ihr Zustand, aber am Sonntag kam es zu einer Bewusstlosigkeit der Frau B mit Atemstillstand. Frau B verstarb.
Ihr Tod wäre wahrscheinlich auch eingetreten, wenn die Zeugin O unmittelbar nach dem Telefongespräch mit dem Angeklagten, den Notarzt verständigt hätte. Bei einem Hausbesuch hätte der Angeklagte wohl keine wirksamen therapeutischen Maßnahmen treffen können.
Frau B war eine Risikopatientin, bei der sich die Symptome eines Reinfarkts zeigten, hier war schnellstmögliche stationäre Behandlung erforderlich, denn die Gefahr einem Herzinfarkt zu erliegen, ist am größten innerhalb der ersten Stunden nach dem Infarkt. Diese Gefahr kann nur durch ärztliche Sofortmaßnahmen in einem Krankenhaus verringert werden. Dies war dem Angeklagten auch bewusst. Der Angeklagte wurde wegen unterlassener Hilfeleistung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 75 DM verurteilt.

 

Fall 2:
Bei einer praktischen Untersuchung stellte der Arzt V bei der Patienten D fest, dass sie in der achten bis neunten Woche schwanger war. Frau D, 21 Jahre alt und Mutter eines nichtehelichen Kindes, wünschte die Schwangerschaft abzubrechen, so dass der V sie zum Zwecke der von § 218b StGB vorgeschriebenen Beratung an den Angeklagten verwies. Dieser war Facharzt für Frauenkrankheiten. Bei der Untersuchung der Frau D hielt er eine Eileiterschwangerschaft für wahrscheinlich. Frau D klagte über Übelkeit, heftige Schmerzen im Bauchbereich, war abnorm blass und erlitt einen Kreislaufkollaps. Der Angeklagte erkannte die für Frau D bestehende Lebensgefahr und teilte das Frau D auch mit. Er forderte sie auf, sich umgehend in eine Klinik zu begeben. Frau D lehnte ab. Der Angeklagte kündigte daraufhin an, die vor der Praxis wartende Mutter der Frau D darüber zu informieren. Frau D bat den Angeklagten flehentlich davon Abstand zu nehmen, weil die Mutter von der Schwangerschaft nichts erfahren dürfe. Der Bitte kam der Angeklagte nach und gab Frau D aber nochmals zu verstehen, dass es aufgrund der akuten Lebensgefahr besser sei, eine Klinik aufzusuchen. Die Patientin fuhr nach Hause, dort verschlechterte sich ihr Zustand. Der Arzt V wurde hinzu gerufen. Dieser hatte von der Diagnose des Angeklagten keine Kenntnis und stellte daher aus Fahrlässigkeit eine falsche Diagnose. Eine Einweisung ins Krankenhaus unterblieb. Frau D verstarb am nächsten Tag an den Folgen der Eileiterruptur.
Der Angeklagte wurde wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Geldstrafe verurteilt. Ihm wurde hier zum Vorwurf gemacht, dass er aufgrund des unverständlichen Verhaltens der Frau D nicht den Hausarzt V verständigte. Hierzu sei er aber verpflichtet gewesen. Der Hausarzt war auf die Untersuchungsergebnisse zur Fortsetzung seiner eigenen Behandlung angewiesen gewesen. Auch hätte er die Mutter über den Zustand der Tochter informieren müssen. Die Schweigepflicht gegenüber der Mutter trat hier zurück, da ihre Unterrichtung ein erforderliches und angemessenes Mittel zur Rettung der Patientin gewesen wäre. (BGH, Urt. V. 26.10.1982)

Frage 8: In einem Artikel des Deutschen Ärzteblattes ist von möglichen strafrechtlichen Konsequenzen die Rede, vor der Ärzte auch durch Versicherungen nicht geschützt seien. Spielen diese strafrechtlichen Konsequenzen hier in Deutschland tatsächlich eine Rolle?

Antwort: Vor strafrechtlichen Konsequenzen kann eine Versicherung nie schützen. Auch Ärzte müssen sich im Einzelfall strafrechtlich verantworten. Wann dies der Fall ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Aber vielleicht noch eine interessante Zahl: nach Auskunft der Pressestelle der Staatsanwaltschaft Köln werden nur rund 10% aller Ermittlungsverfahren gegen Ärzte zur Anklage gebracht.

Jürgen Sauerborn ist Rechtsanwalt in in Wesseling bei Köln und hat die Themenschwerpunkte Arbeitsrecht, Medizinrecht und Sozialversicherungsrecht

 

http://www.sauerborn.de/

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