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  • 29.09.2017

Never Ending Story

Frau Müller gehört schon seit Wochen zu den „Stammkunden“ der Abteilung für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie (PHW). Und genau deshalb bin ich auch kein Stück verwundert, als ich sie heute Morgen in Saal 1 antreffe. „Ah, Frau Müller! Schnarch mein Name, ich bin die Narkoseärztin. Aber wir kennen uns ja schon. Wie geht es Ihnen heute?“ begrüße ich die stark adipöse Frau mit fettigen Haaren und Damenbart. 

Aufgrund ihrer umfangreichen Medikation (es gibt fast kein Medikament, das sie nicht bekommt) und einer vorbekannten Demenz mit einigen Gedächtnislücken, brabbelt sie ein schwer verständliches „Guten Morgen, geht schlecht“ zurück und bleibt regungslos liegen. Heute ist bestimmt schon ihre 20. OP, obgleich ich bereits nach der dritten ihre Prognose schon als eher schlecht beurteilt hätte. Aber Frau Müller ist richtig zäh! 

Angefangen hatte der Operationsmarathon mit einer Infektion in der Leistengegend. Bei Übergewicht liegen dort Haut an Haut und so kann es häufiger vorkommen, dass sich ein vermeintlich harmloser kleiner Pickel plötzlich entzündet. Liegt zusätzlich noch eine Immunschwäche vor – Frau Müller hat u.a. einen Diabetes mellitus Typ 2 – kann aus einer erst kleinen und lokalen Entzündung schnell eine sogenannte Phlegmone werden, die sich durch Haut und Gewebes zieht und sich fast stündlich weiter ausbreitet. 

Um eine systemische Infektion zu verhindern, wird in solchen Fällen intravenös antibiotisch behandelt und der Infektionsherd saniert. Die Chirurgen haben also bei Frau Müller die infizierte Stelle in der Leiste ausgeschnitten und mit einem Vakuum-Verband verschlossen, der zunächst alle 2-3 Tage gewechselt wurde und die Granulation, also Neubildung des Gewebes fördern sollte. Mit jedem Wechsel im OP wurde die Wunde größer und größer, bis ich selbst schon kaum noch hingucken konnte. 

Mittlerweile aber scheint die Infektion abgeklungen und anstatt von Vakuum-Verbänden wird der Krater nur noch mit speziellem Verbandsmaterial versorgt. Trotzdem frage ich mich jetzt umso mehr, wie lange das noch so weitergehen soll. Wie viele OPs wollen die PHWler der armen Frau noch zumuten? Denn Frau Müller ist alt, hat viele schwere Erkrankungen und baut mit jeder Vollnarkose und „Wundrevision“ weiter ab. Wahrscheinlich bekommt sie nur noch einen Bruchteil davon mit, was um sie herum passiert.

Dennoch hat niemand den Mut, eventuell ein Ende der unendlichen Therapiemaßnahmen ins Gespräch zu bringen. Natürlich obliegt die Therapieplanung den plastischen Chirurgen. Denn als Anästhesie-Assistentin bin ich „nur“ Dienstleisterin und mache halt die gewünschte Narkose. Und die klappt diesmal wenigstens ausgezeichnet. Die Intubation läuft wie geschmiert und diesmal kriege ich auch ihren sonst während der OPs immer viel zu niedrigen Blutdruck in den Griff. Nach zwei Stunden geht’s für Frau Müller schläfrig in den Aufwachraum und im Anschluss auf Normalstation. 

Normalerweise verabschiede ich mich nach einer Übergabe im Aufwachraum mit „Tschüss, ich wünsche Ihnen alles Gute!“ von meinen Patienten. Aber bei Frau Müller sage ich mittlerweile nur noch „Auf Wiedersehen, bis zum nächsten Mal!“ 

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