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  • Karla
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  • 25.03.2019

Männerbrüste

Wir haben Mittwoch und in der Praxis ist mal wieder die Hölle los. Meine Chefin nimmt sich immer sehr viel Zeit für ihre Stammpatienten, und so versuche ich fast verzweifelt, das Wartezimmer zu leeren. Da wir eine offene Sprechstunde haben, ist das fast unmöglich. Im Minutentakt erscheinen neue Patienten am Aufnahmetresen. Ich mache also Tempo und schnappe mir einen extrem korpulenten Mann mittleren Alters und nehme ihn mit in mein Untersuchungszimmer. Ich frage ihn natürlich zunächst, was ich für ihn tun kann.

Er hat eine extrem hohe Stimme, fast piepsig, und redet mit weinerlichem Unterton. Sein Opa sei kürzlich an Krebs gestorben und jetzt vermute er bei sich selbst Brustkrebs. Er habe sich ausgiebig abgetastet und würde hier und da Verhärtungen spüren, und habe zudem Brustschmerzen. Er wünsche eine ausgiebige Blutuntersuchung einschließlich EKG und Ultraschall. Ich muss natürlich erst mal schlucken. So ein vermeintlich komplexer Fall bei vollem Wartezimmer ist alles andere als günstig. Das wird wahrscheinlich der längste Vormittag in meiner kurzen Zeit als Hausärztin.

Ich versuche, den Patienten zu beruhigen. Immerhin ist Brustkrebs bei Männern ausgesprochen selten. Aufgrund seiner Fettleibigkeit sind ihm dennoch ausgewachsene Brüste nicht abzusprechen. Er hat wahrscheinlich deutlich mehr Körbchengröße als ich je haben werde. Ich schlage ihm eine Standardlabor-Entnahme und ein EKG vor, um einen Herzinfarkt oder Herzrhythmusstörungen auszuschließen. Schließlich können diese auch Brustschmerzen verursachen. Danach versuche ich ihm klar zu machen, dass sein Abtasten zu Hämatomen geführt haben könnte, die jetzt weh tun.

Er gibt daraufhin zu, dass er schon sehr stark abgetastet hätte. Da ich heute auch noch eine Studentin bei mir habe, die ein Praktikum hier in der Praxis macht, schicke ich die beiden erstmal in das EKG-Zimmer, damit ich den nächsten Patienten übernehmen kann. Leider scheint der korpulente Patient mit meinem Vorgehen nicht einverstanden zu sein und konsultiert im Flur hinter meinem Rücken meine Chefin, um zu seinem gewünschten Ultraschall zu gelangen. Als ich das mitbekomme, bin ich total sauer. Hinter meinem Rücken, das ist nicht in Ordnung. Außerdem muss man bei Brustschmerzen immer zuerst ein EKG machen, dann ggf. die Ultraschalluntersuchung.

Die EKG-Untersuchung ergibt keinen pathologischen Befund, vermutlich ist der Patient ein wenig traumatisiert von seinem verstorbenen Angehörigen und macht sich daher einfach große Sorgen. Die Diagnose wäre demnach also eher psychosomatischer Natur gewesen. Da er immer noch auf eine Ultraschalluntersuchung pocht, lasse ich die Studenten einmal sonografieren und kontrolliere ihre Aufnahmen. Wie erwartet, ist lediglich Fettgewebe zu erkennen. Da man mit einer einfachen Ultraschalluntersuchung eine Krebserkrankung natürlich nicht ausschließen kann, gebe ich dem Patienten noch eine Überweisung zum Gynäkologen mit. Immerhin sind das die Fachärzte, wenn es um Brustkrebs geht.

Ich kläre den Patienten weiterhin darüber auf, dass seine Schmerzen und seine Sorgen wahrscheinlich mit dem Tod seines Opas zusammenhängen und bemühe mich trotz des vollen Wartezimmers freundlich zu sein und verabschiede ihn.

 

Kurze Zeit später kommt eine wütende korpulente Frau in die Praxis. Wie sich herausstellt, ist es die Freundin des noch zuvor mit Verdacht auf Brustkrebs von mir untersuchten Patienten. Sie schäumt vor Wut und greift mich beinahe tätlich an. Es wäre ein Unding, ihren Freund zum Frauenarzt zu schicken. Ich hole meine Chefin zu Hilfe und sie stärkt mir den Rücken. Die Freundin meines Patienten dampft glücklicherweise wieder ab, verspricht aber eindringlich, sich nie wieder in dieser Praxis behandeln zu lassen. Ich bin ganz erleichtert, dass sie mich nicht verprügelt hat und kämpfe mich weiter durch die Patientenmassen. Was für ein Tag! 

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