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  • 03.09.2019

Immer im Dienst (Teil 1)

Ärzte haben niemals Feierabend. Das konnte ich an einem heißen Sonntagabend Anfang Juli am eigenen Leib erfahren. Es war schon spät und meine kleine Dachgeschosswohnung hatte sich total aufgeheizt. Ich wollte eigentlich nur rasch die Wertstoffsäcke unten an die Straße stellen, als mir meine Nachbarin aus dem Erdgeschoss ins Auge fiel. Sie stand splitternackt am geöffneten Fenster, eingewickelt in das vom Fensterrahmen gelöste Fliegengitter, und winkte mich heran. 

Dazu solltet ihr wissen, dass die alte Dame bereits über 90 Jahre alt war und sich in den letzten Wochen schon mehrfach merkwürdig verhalten hatte. Als ich näher kam, konnte ich sehen, wie sie ihren Müll aus dem Fenster in den Vorgarten kippte. Auf meine Nachfrage, warum sie das machen würde, antwortete sie mit einer sehr merkwürdigen Geschichte: Es würden gleich Männer kommen mit einem Container und den Müll einsammeln. Das kam mir alles seltsam vor. Schon vor wenigen Tage hatte ich sie im Treppenhaus aufgelesen und ihre gesamten Einkäufe von den Stufen aufgesammelt. Eine Woche zuvor steckte sie mit ihrem Rollator in der Eingangstür fest. 

Aus Gesprächen im Treppenhaus wusste ich, dass sie bereits mehrere Vorerkrankungen hatte, darunter eine Niereninsuffizienz und mehrere Bypässe am Herzen. Außerdem war es in den letzten Tagen sehr heiß, was bei älteren Herrschaften zu demenziellen Zuständen führen kann. Ich hielt also Rücksprache mit einer anderen Nachbarin, die die Patientin gut kannte, und verständigte den Rettungsdienst. Mittlerweile war es schon nach Mitternacht und es folgte eine 3-stündige Odyssee. 

Zwei junge Feuerwehrmänner kamen mit dem Rettungswagen, hörten sich meine Beschreibung an und versuchten, die alte Dame mitzunehmen, um die Ursache ihrer Verwirrtheit im Krankenhaus abklären zu lassen. Doch sie weigerte sich vehement. Da es sehr heiß war, waren auch die Feuerwehrmänner wahrscheinlich nicht besonders motiviert und wollten die Dame einfach bei uns im Haus lassen und wieder fahren. Das habe ich natürlich nicht zugelassen, denn mein Bauchgefühl verhieß nichts Gutes. Ich bestand also darauf, dass ein Notarzt hinzu gerufen wird. 

Meine ärztliche Ausbildung und Expertise beeindruckten die Feuerwehrmänner leider überhaupt nicht. Vielleicht war auch mein eher unprofessioneller Auftritt im Nachthemd der Grund. Glücklicherweise war die Notärztin eine ehemalige Kollegin von mir. Ich erklärte den Sachverhalt und nach insgesamt zwei Stunden des Zuredens und nachdem die Polizei die Wohnungstür nochmal aufgebrochen hatte, konnten wir meine Nachbarin in den Rettungswagen begleiten. Aber das war erst der Anfang der Geschichte. 

Fortsetzung hier

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