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  • 12.09.2017

Plötzlich Patient - Blog 11

Ein Alltagsbericht

 

 

 

Anfang dieser Woche hatte ich einen Termin in der Ambulanz einer bekannten rheumatologischen Klinik, in der ich seit einigen Jahren regelmäßig in Behandlung bin. Da ich seit nun mehr knapp 10 Wochen mit einem Schub zu kämpfen habe, und im Rahmen dessen drei Mal stationär behandelt worden war, wollte ich den Termin gerne nutzen, um einen Überblick über das weitere Procedere zu erhalten und vor allem eine Antwort auf die Frage zu bekommen, wie es aktuell mit meinem Praktischen Jahr weitergehen kann, wenn ich körperlich nicht belastbar bin.


Im Mai habe ich nach etlichen krankheitsbedingten Wartesemestern endlich in Teilzeit ins PJ starten können. Das ist nach den Erlebnissen der letzten Jahre für mich ein riesiger Erfolg, an den ich noch zu Beginn des Jahres nicht geglaubt hatte. Zum ersten Mal seit Ausbruch meiner Erkrankung waren es nicht nur Tage, in denen ich einen halbwegs normalen Alltag führen konnte, sondern sogar acht Wochen am Stück. Die erste Hälfte des Innere-Tertials konnte ich dank sehr viel Rücksichtnahme durch die Ärzte auf meiner Station fast „normal“ ableisten.


Jetzt war das anders: ich war einige Wochen krank und konnte auch nach dem Gröbsten nur stundenweise auf meine Station kommen, was mir sehr unrecht war. Wie so oft war ich an manchen Tagen auch unvernünftig, indem ich mich nicht konsequent hinsetzte, viele Laufarbeiten erledigte oder länger blieb als gut für mich war. Auch auf der neuen Station hatte ich riesiges Glück und sehr verständnisvolle Ärzte, aber im nächsten Tertial in der Chirurgie würde ich körperlich deutlich mehr leisten müssen, und das war aktuell nicht realistisch.
Ich ging also zu diesem Termin in der Hoffnung, für dieses Problem eine Lösung zu finden – oder zumindest mit dem Arzt zu besprechen, was er in meiner Situation für sinnvoll hielt.

Den Ambulanzarzt kannte ich inzwischen schon einige Monate und bisher war die Zusammenarbeit sehr positiv gewesen. Er hatte als erster in dieser Klinik auch einen Blick dafür gehabt, dass man sich rasch um eine funktionierende Grundtherapie für mich kümmern musste, um mir endlich einen normalen Alltag ermöglichen zu können. Außerdem hatte er ein wirklich praktisches System: bei Fragen oder Beschwerden konnte man ihm eine Mail schreiben und am selben Tag bekam man eine hilfreiche Antwort. So hatten wir die letzten Monate sehr gut kommuniziert und ich hatte den Eindruck, dass ich gut aufgehoben war.


Heute jedoch war er aus irgendeinem Grund skeptisch. Warum ich denn überhaupt diesen Termin hätte? Man hatte ihn mir vor einigen Wochen zugeteilt, in der Zwischenzeit war ich jedoch ungeplant nochmal stationär aufgenommen worden. So gesehen war dieser Termin nicht nötig, aber da er nun mal schon bestanden hatte, wollte ich ihn auch nicht verstreichen lassen.


Als ich ihm erklärte, dass leider diese Peri-Myokarditis-Episode noch immer nicht überstanden war und ihm weitere Beschwerden meiner Erkrankung erläuterte, fiel er mir ins Wort: „Wer sagt eigentlich, dass Sie eine Myokarditis haben?“ Nun muss man dazu sagen, dass sich im Verlauf der letzten Jahre tatsächlich Befunde ergeben hatten, die am Ende zu einer Diagnose geführt haben. Man wusste inzwischen, dass die Myokarditis chronisch war, hatte sie aber in den MRTs nie mehr in einem akuten Zustand darstellen können. Daher war die Annahme, dass diese chronische Entzündung bei einem Schub „stärker“ bzw. akut wurde und zu meinen Beschwerden führte. Jedes Mal ein MRT, geschweige denn eine Herzmuskelbiopsie zum Beweis durchzuführen, ist aber natürlich bei der Häufigkeit dieser Episoden nicht praktikabel. Daher muss ich mich auf mein Gespür verlassen, aber ich kann auch mittlerweile unterscheiden, wie sich was genau anfühlt.


Wer hatte also gesagt, dass ich eine Myokarditis habe? Ich. Das zähle ja nicht. Meine Blutwerte wären ja auch in Ordnung, vor allem die Entzündungswerte. Da ich mich seit mittlerweile über zwei Monaten unter einer hohen Dosis Kortison befinde, ist das zu erwarten – und ein negativer Befund noch lange kein Ausschluss.
Er schaute ungeduldig auf seine Notizen und schob die Befunde zusammen, während ich versuchte zu erklären, wie es kardiologischerseits zur aktuellen Einschätzung gekommen war.
Dann äußerte er seinen Missmut darüber, dass ich ein Medikament gegen die Perikarditis nahm, eine ultima ratio, die aber nach so vielen Wochen Bettlägrigkeit erstmals eine Besserung gebracht hatte. Das hatte ich nicht mit der Rheumaklinik abgesprochen, was aber wirklich versehentlich gewesen war.
Schließlich begann er darzulegen wie schwierig es sei, meine kardialen Beschwerden zu messen und dass ich ja doch einiges mitgemacht habe. Nun wusste ich woher der Wind wehte, denn diese Art von Gespräch habe ich nicht nur einmal führen müssen.


„Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn man Sie mal in der Psychosomatik vorstellen würde.“
Ich hätte ja schon eine rheumatische Erkrankung, das stehe außer Frage. Aber diese Herzbeschwerden... Und die sind ja das Hauptproblem.
Ich erklärte, dass ich ich bereits mehrere Male durch Psychologen beurteilt worden war, um eine psychosomatische Ursache oder Komponente meiner Erkrankung auszuschließen. Einmal sogar in dieser Klinik. Was dabei rausgekommen sei? Dass ich geistig gesund bin und keine psychosomatischen Auffälligkeiten erhoben werden konnten.
„Das kann ich nicht glauben.“
Wie? Dachte er etwa ich log ihn an, wo ich doch wusste, dass er den Befund in seinem PC nachlesen konnte? Für wen hielt er mich? Auch später, als er nochmal darauf zu sprechen kam, was die zweite, externe Beurteilung ergeben hätte, sagte er, dass er mir nicht glaube. Ich versprach, ihm auch diesen Befund zukommen zu lassen, aber fühlte mich nicht mehr ernst genommen. Inzwischen war er richtig in Fahrt gekommen und versuchte weitere Indizien anzubringen, die die vermeintliche psychische Ursache der Herzbeschwerden untermauern sollten. Ich merkte, dass es keinen Sinn mehr hatte, mich zu erklären. Erstens war ich den Tränen nahe, da ich gerade von meiner einzigen „Hoffnung“ aufgegeben worden war, zweitens dachte ich, es würde sicher verzweifelt wirken – und das würde bestens ins Bild der neurotischen Patientin passen.


In der Argumentationskette fehlte schließlich auch nicht der Seitenhieb auf meine Schmerzmedikation mit den Opioiden. Überhaupt sei das ja auch wahnsinnig viel und da stimme doch auch etwas nicht. Ich wollte beschwichtigen, dass ich in enger Anbindung mit den Schmerztherapeuten der Uniklinik und auch die aktuelle Dosierung abgesprochen war. Er fiel mir aber erneut ins Wort und ich realisierte, dass er gerade glaubte ein ideal passendes Puzzleteil für die Diagnose einer Herzneurose gefunden zu haben. Was konnte ich ihm in diesem Moment noch entgegensetzen? Er hatte sein Urteil gefällt.


Wir vereinbarten, dass er mich nächste Woche anrufen würde, um mir die Ergebnisse der Blutuntersuchung mitzuteilen und ich mich um einen MRT-Termin kümmern würde, den sowohl er als auch ich für überflüssig hielten, da der Befund vermutlich wie immer blande sein wird. Danach konnte ich endlich gehen, als kleines Häufchen Elend und traurig darüber, dass die gute Zusammenarbeit mit einem Arzt, den ich sehr mochte, gegen meinen Willen vermutlich soeben ein Ende gefunden hatte.

Ich habe unzählige Diskussionen führen müssen und muss mich, wie dieses Erlebnis zeigt, auch heute noch regelmäßig rechtfertigen. Dafür, dass ich Symptome habe, die nicht immer sofort erklärbar sind. Für Medikamente, die ich nehmen muss. Oder dafür, dass ich nicht normal arbeiten kann, obwohl ich nichts lieber tun würde, als jeden Tag als Ärztin durch die Klinik zu rennen – um nur wenige Beispiele zu nennen.


Man sucht sich eine Krankheit nicht aus und insbesondere eine chronische ist für sich allein genommen schon eine so große Belastung, dass man als Patient mit den regelmäßigen Untersuchungen, dem Tablettenschlucken und natürlich den Beschwerden selbst schon genügend beschäftigt ist. Allzu häufig trifft man aber auf Ärzte oder Pflegepersonal, die bestimmte Tatsachen in Abrede stellen. Als ob man die Schmerzintensität ändern könnte, nur weil die Schwester der Meinung ist, dass man mit Opioiden in der Medikation keine starken Schmerzen mehr entwickeln kann. Oder weil der Arzt bislang die Erfahrung gemacht hat, dass etwas anders verläuft oder sich etwas nicht augenblicklich erklären kann – oder will.
Es ist unglaublich ermüdend, einen ständigen Kampf gegen Windmühlen zu führen, wenn man tagtäglich gegen eine Krankheit zu kämpfen hat, und das letzte, was ein Patient braucht, ist sich rechtfertigen zu müssen. Mittlerweile bin ich das (leider) gewohnt, aber trotzdem stoße ich immer wieder an meine Grenzen, wenn ich in eine Situation gerate wie bei diesem Termin.


Ich wünschte die Betreffenden hätten die Größe sich einzugestehen, dass dieser Umgang nicht angebracht war, falls sie es denn erkennen. Um es beim nächsten Mal besser zu machen oder zu verhindern, dass ein eigentlich gutes Verhältnis plötzlich so kippt. Leider habe ich das bisher aber noch nie erlebt.

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