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  • 15.07.2019

Plötzlich Patient - Blog 19

 

Als ich gestern auf dem Weg zur Klinik glitzernde Konfettistreifen im Gras liegen sah, fiel mir ein, dass momentan schon wieder der nächste Schwung neuer Ärzte ihr Studium beendete. Mein Staatsexamen liegt nun also auch schon wieder ein halbes Jahr zurück! Viele Eindrücke sind verblasst, andere sind noch so präsent wie sie es Ende November waren.


Insgesamt hatte mich meine Erkrankung beinahe 3 zusätzliche Studienjahre gekostet. Die neun Jahre Studium waren zwar manchmal lang, aber meistens war ich sehr gerne Studentin und genoss all die Einblicke, zu denen einen nur ein aktiver Studentenstatus befähigte. Mir war vollkommen bewusst, dass ich nie mehr wieder so viele günstige Gelegenheiten bekommen würde, mich in der Welt der Medizin umzusehen. Auch den Luxus, keine großen Zukunftsentscheidungen fällen zu müssen, vermisst man nach Beendigung seiner Ausbildung schnell. Jahrelang war schon vorausgeplant, was als nächstes kam: eine Klausur, ein Praktikum, das neue Semester. Nun jedoch musste ich selbst entscheiden, wo ich mich in einem halben Jahr sah. Oder in fünf Jahren. Wo lagen meine Prioritäten? Wie konnte es beruflich für mich weitergehen – oder vielmehr: beginnen?

Aufgrund meiner geringen körperlichen Belastbarkeit bin ich in meiner Berufswahl sehr eingeschränkt. Bestimmte Fachrichtungen kommen grundsätzlich nicht infrage, wie beispielsweise chirurgische oder auch gemischt konservative und operative Fächer. Ein rein konservativer Zweig ist aber für mich durch die hohe Arbeitslast auf den Stationen ebenfalls nur eingeschränkt geeignet, weshalb ein „Laborfach“ wie Mikrobiologie oder Pathologie sinnvoll wäre. Durch den geringen bis fehlenden Kontakt mit (lebenden) Patienten, sind für mich solche Fächer allerdings uninteressant. Ich möchte meine Erlebnisse auf Patientenseite in meinen Berufsalltag einbringen und fände es schade, wenn diese wertvollen Erfahrungen „umsonst“ gewesen wären. Der entscheidende Faktor, ob ich auf Dauer arbeiten kann, ist die Flexibilität meines zukünftigen Jobs. Meine Erkrankung ist sehr spontan – und deshalb muss ich es auch sein. Im Sommer werde ich die Probe aufs Exempel machen und eine 50%- Stelle mit geregelten Arbeitszeiten in der Ambulanz der Transfusionsmedizin beginnen. Ob das klappen wird? Mal sehen, aber ausprobieren möchte ich es schon. Muss ich auch, denn mit Kranksein lässt sich kein Geld verdienen.


Im Februar habe ich meine erste Stelle als Ärztin angetreten, ein kleiner Job für zwei Stunden pro Woche, bei dem ich in der Adipositasambulanz ein Abnehmprogramm ärztlich begleite. Die Teilnehmer werden ein ganzes Jahr betreut und haben wöchentliche Termine mit Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapeuten, und eben mir. Dieses Konzept hat mir von Anfang an sehr gut gefallen, denn anders als im gewöhnlichen Klinikalltag, kann man diese Patienten über Monate sehr eng begleiten und wirklich Anteil an deren Entwicklung nehmen.

Dass eine Ernährungsumstellung einen so kurzfristigen Effekt auf die mit der Adipositas assoziierten Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ II oder arterielle Hypertonie hat, hätte ich nicht erwartet. Von der optischen Veränderung gar nicht erst zu sprechen – das motiviert nicht nur die Teilnehmer, sondern auch die betreuenden Therapeuten und Ärzte. Mittlerweile sind meine Patienten und ich ein eingespieltes Team und ich freue mich jede Woche, wenn ich zur Arbeit gehen kann und von ihnen auf den neusten Stand gesetzt werde. Für viele bin ich durch die regelmäßigen Gespräche die erste Ansprechpartnerin für Probleme aller Art. Das fängt mit Beschwerden durch das Abnehmen an, hört aber bei chronischen Rückenschmerzen oder familiären Problemen noch längst nicht auf.

Natürlich bin ich keine Hausärztin und muss oft an die jeweiligen Fachärzte weiterverweisen, aber die ersten Überlegungen treffen stets die Patienten und ich gemeinsam, was sehr viel Spaß und Abwechslung bringt. Dass ich in den letzten Jahren selbst fast sämtliche Fachrichtungen als Patientin kennenlernen durfte, ist dabei nur von Vorteil. Wenn bei einer Gastritis eine Magenspiegelung im Raum steht, weiß ich genau wovon ich spreche, wenn ich dem Patienten den Ablauf erkläre; oder was einen beim Kardiologen erwartet, wenn man sich bei ihm mit Extrasystolen vorstellt. Manchmal geht es aber auch einfach nur darum, welches Mineralwasser bei diesen Temperaturen hinsichtlich des Elektrolytgehalts empfehlenswert ist und in welchem Supermarkt man es finden kann.


Da die Gruppentreffen in den Abendstunden stattfinden, betreue ich die Patienten ärztlicherseits erst einmal allein. Natürlich habe ich einen Oberarzt, den ich fragen kann. Allerdings nicht unmittelbar, denn der befindet sich dann schon im Feierabend. Durch Abschauen lernen geht mit diesem Konzept aber leider nicht, sodass ich mich freue, wenn ich bei meiner zukünftigen Stelle etwas mehr fachlichen Input bekomme.

Die Arbeit in der Adipositasambulanz möchte ich aber trotzdem weiterführen, ich habe seit einigen Wochen eine zweite Gruppe dazu bekommen und möchte natürlich wissen, was aus meinen Schützlingen wird. Mit etwas Glück ergibt sich so eine schöne Mischung zwischen intensiver persönlicher Betreuung beim Abnehmprogramm und dem eher distanzierten Ambulanzbetrieb in der Transfusionsmedizin. So finde ich mich Stück für Stück in meiner Rolle als Ärztin ein, jede Woche mit ein bisschen mehr Selbstsicherheit. Und wer weiß, vielleicht lande ich irgendwann doch noch in der Kardiologie. Denn wie einer meiner Patienten gesagt hat: „Das schaffen Sie schon!“

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