• Bericht
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  • Moritz Völker
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  • 24.02.2014

Die Vorklinik in Witten

Die Wittener Vorklinik ist keine Vorklinik im klassischen Sinn. Während normalerweise der Fokus auf den Grundlagenfächern liegt, werden diese hier zwar keinesfalls ignoriert, jedoch auch nicht in der gleichen Intensität wie an anderen Unis verfolgt. Renate und Moritz erzählen, wie die Vorklinik in Witten gestaltet ist.

 

Studenngruppe- Foto: Fotolia/Contrastwerkstatt

 

Um über das Wittener Modell sprechen zu können, muss man wissen, dass hier der Modellstudiengang begründet wurde. Der Grund für den Modellstudiengang war die Vorstellung, eine neue Art der Lehre in der Medizin zu etablieren. Das haben sich die Verantwortlichen vor allem durch die frühe Integration von Klinik und Praxis versprochen. Dieses Modell musste nun nur noch in die Schablone des Gesundheitsministeriums NRW’s gequetscht werden und schon hatte Witten ein Curriculum.

 

POL

Kernpunkt der Wittener Vorklinik ist das POL. Übersetzt bedeutet POL Problemorientiertes Lernen und verdeutlicht die Art und Weise, wie hier gelehrt wird. Dabei setzen sich kleine Gruppen aus sechs Studierenden, einem Arzt und einem Studenten aus den klinischen Semestern jeden Mittwoch für zwei Stunden zusammen und knobeln über einen fiktiven Patientenfall. Aufgrund der, vor allem zu Beginn noch fehlenden Kenntnisse, werden hierzu die skurrilsten Thesen durch die Studierenden aufgestellt und versucht, mit Kausalketten zu belegen. Dabei gibt es immer einen Punkt, an dem die Gruppe merkt, dass es einfach an anatomischem, physiologischem, biochemischem… etc. Wissen fehlt, um ein wirklich fundiertes Ergebnis präsentieren zu können. An diesem Punkt überlegt man sich, was man lernen muss, um bei diesem Fall auf das Ergebnis zu kommen. Natürlich gibt es hierbei Hilfestellung durch die beisitzenden Tutoren.

 

„Ja, bin ich denn schon Arzt?“  -  Eine Woche voller Sprechstunden

Nun ist im Curriculum eine Woche Zeit, die Lernziele im Eigenstudium und in den Seminaren zu bearbeiten. Manchmal geht man aus POL heraus, ohne überhaupt eine Diagnose zu haben, „nur“ mit einem Zettel und Lernzielen darauf. Aber spätestens während der allwöchentlichen Recherche in den Weiten der Medizin und vielen verschiedenen Fachbüchern, stößt man auf die richtige Diagnose. Es ist also klar, dass hier sehr viel Wert auf eigenverantwortliches Lernen gelegt wird.

In den jeweiligen „Sprechstunden“, wie die meisten unserer Veranstaltungen heißen, werden unsere Fragen von den Profs aufgenommen und fundiert beantwortet. Hierbei gibt es eine weitere Besonderheit in Witten: Während sonst vor allem Blockweise einzelne Fächer unterrichtet werden, finden in Witten alle Fächer von der Anatomie und dem Präpp-Kurs über die Physiologie und Biochemie bis hin zu Physik und dem Untersuchungskurs parallel statt. Das bedeutet, dass die Fähigkeit der Studenten gefordert ist und auch gefördert wird, gezielt zu einem Krankheitsbild verschiedene Fächer zu verknüpfen. Der Unterricht ist besonders effektiv, da wir nur in Kleingruppen von maximal 20 Kommilitonen unterrichtet werden.

Selbstverständlich gibt es auch Grundlagen, die erst einmal gelegt werden müssen, wie zum Beispiel in Chemie oder den Physiologie-Praktika. Aber soweit möglich, bewegt sich der Unterricht nah an den Patienten-Fällen. Das tolle ist, dass die Studenten die eben gelernte Anatomie direkt im Untersuchungskurs in vivo an den Kommilitonen nachvollziehen können und spezifische Untersuchungsmethoden erlernen.

 

Der Mittwoch Abend naht ...

Nach nun einer Woche trifft sich die POL-Gruppe erneut. Einer der Studis hat eine Nachbereitung vorbereitet, mit der er kontrolliert, ob nun auch alle die Fragen der letzten Woche und Aspekte aus den Seminaren beantworten können. Sollte dies nicht der Fall sein, heißt es nacharbeiten, denn direkt im Anschluss gibt es den neuen Fall und der ganze Spaß beginnt von vorn. Jeder startet wieder mehr oder weniger bei Null. Spannend wird es, wenn man bereits gelerntes in neue Fälle integrieren kann bzw. versucht, durch dieses auf neue Erkenntnisse zu stoßen. Und somit füllt sich mit der Zeit eine zuerst leere Karte langsam und  man kann sich später von Insel zu Insel hangeln, bis irgendwann eine komplette Landkarte des Menschen im eigenen Kopf aufgezeichnet ist.

 

Die Schwerpunkte in der Vorklinik

In den vier Semestern gibt es jeweils Schwerpunktthemen. Während sich das erste Semester der Orthopädie widmet, folgt im zweiten die Innere Medizin, im dritten die Neurologie und im vierten Semester schließlich die Immunologie, Hämatologie, Gynäkologie/Urologie, sowie weitere „Lückenfüller“. Dabei merkt man nach und nach, dass das Konzept der „Wittener Lernspiralen“ aufgeht und man immer wieder mit bereits gelernten Themen in Berührung kommt. Durch die Wiederholung können die Themen gut im Kopf gefestigt werden.  

 

Wer die ganze Zeit lernt, will auch zeigen was er kann

Natürlich wird auch in Witten nicht auf Prüfungen verzichtet. Aber auch hier gibt es eine Besonderheit. Man wird jeweils schwerpunktmäßig zu seinem Semester geprüft, jedoch auch zu allen vorangegangenen Semestern tauchen Fragen auf. Das bedeutet, man sollte in allem was man bisher gelernt hat, fit sein. Aus  drei MEQ’s (Modified Essay Questions) und zwei OSCE’s (Objective Structured Clinical Examinations) entsteht das 1. Staatsexamen!

In den MEQ’s werden dabei keine MC (Multiple Choice) Fragen gestellt. Man muss stattdessen im freien Text auf Fragen zu Patientenfällen antworten, die wie auch in POL, scheibchenweise  vorgelegt werden. Hier beweist man, dass man klinisch denken kann und darf dabei mit dem gesammelten Wissen glänzen.

In den OSCE’s wiederum werden die praktischen Fähigkeiten abgeprüft. Hierbei hat man in der Regel für 10-14 Stationen jeweils 5-10 Minuten Zeit, um einen Patienten spezifisch zu seinen Beschwerden zu untersuchen und abschließend eine Diagnose zu stellen. Natürlich ist vor allem der Weg das Ziel und die Diagnose eher sekundär.

 

Und sonst so?

 Soviel erstmal zum Thema Pol … Uff … Aber damit noch nicht genug! Denn parallel zu diesen Veranstaltungen und Prüfungen besteht die Medizin mittlerweile aus noch mehr. So gilt es, Scheine in Ethik, Recht, Gesundheitsökonomie und Kommunikation zu sammeln. All das muss nicht zwangsläufig in der Vorklinik geschehen, da man in Witten sehr viele Freiräume für die individuelle Stundenplangestaltung bekommt. Es ist aber ratsam, den Überblick nicht zu verlieren, da die Woche auch in der Klinik nur sieben Tage und der Tag weiterhin 24 Stunden haben wird (auch wenn man sich das manches Mal anders wünscht …).

In diesen IC- Veranstaltungen (integrierte Curricula) muss man Scheine in Form von Vorträgen, Hausarbeiten oder Prüfungen sammeln. Oder auch durch Simulations-Patienten Kontakte (SPK’s), bei welchen man bei einem Schauspiel-Patienten eine Anamnese durchführt, die aufgezeichnet und später in Kleingruppen mit einem Psychologen ausgewertet werden.

Das alles klingt nach sehr viel Aufwand und sollte auch nicht kleingeredet werden. Das Studium macht aber trotzdem auch  unglaublich viel Spaß. Witten bietet den Studenten sehr viele Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten, so dass fast jeder es nebenher noch schafft, neben vielen netten WG-Abenden seine eigenen Interessen intensiv zu verfolgen und sich zu engagieren.

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