• Interview
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  • Anna Vinarskaja
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  • 30.09.2010

Körperwelten in Köln - Eine Herzenssache

Während der Ausstellung "Körperwelten - Eine Herzenssache" in Köln hatten wir die Gelegenheit zu einem Interview mit der Kuratorin der Ausstellung, Dr. Angelina Whalley. Sie erzählte, ob Sie sich gelegentlich in der Ausstellung ekelt, was ihr von ihrem Medizinstudium in Erinnung blieb und wie sie mit Kritik an der Ausstellung umgeht.

Anna Vinarskaja und Dr. Whalley im Interview

 

> Sehen Sie sich selbst als Wissenschaftler oder Künstler?

Wir sehen uns definitiv nicht als Künstler. Unsere Sache dient der Gesundheitsaufklärung und soll auch Laien ansprechen, mit der gegebenen Ästhetik. Es heißt doch: „Ein guter Lehrer ist ein guter Entertainer“. Doch auch wir müssen den üblichen Werbestrategien folgen.

> Wissen die Spender, welche Figur sie einmal darstellen werden?

Nein, die Positionsfindung erfolgt während der Präparation. Dies ist zunächst vom Körper selbst abhängig, aber auch davon, welches Organsystem herausgearbeitet werden soll. Man kann im Spendeformular ankreuzen, ob man öffentlich ausgestellt werden möchte oder nicht. Dazu wird auch intern ein sogenannter „Monsterfragebogen“ ausgefüllt, der persönliche Grenzen austestet. Dieser enthält auch die explizite Frage, ob man als Sex-Plastinat dargestellt werden möchte.

> Können Angehörige Abschied nehmen?

Ja, es ist eine ganz normale Trauerfeier möglich, wenn sie es wünschen. Es fällt dann nur das Begräbnis weg.
In Zukunft werden wir eventuell ein Grab für die Präparierreste einrichten.
Da die Plastinate komplett anonymisiert sind und dem lebenden Menschen in keinster Weise mehr ähneln, werden die Plastinate auch nicht von Angehörigen erkannt.

> Würden Sie selbst Freunde oder Ihnen Nahestehende plastinieren?

Mein Mann hat sogar seinen besten Freund präpariert. Er war selber Arzt und ist mit 42 Jahren an Nierenkrebs gestorben. Er wollte das, was er bereits zu Lebzeiten begeistert tat, nämlich lehren, auch im Tode weiterführen. Dies war für meinen Mann nötige Trauerarbeit.
Wenn wir einmal verstorben sind, möchten wir definitiv plastiniert werden. Mir ist es egal, in welcher Pose, mit oder ohne Identifikation. Als Erfinder der Plastination sollte mein Mann jedoch als solcher ausgezeichnet werden.

> Würden Sie berühmte Personen anonym plastinieren?

Es gab ernsthafte Gespräche, Michael Jackson zu konservieren. Jedoch entschied sich die Familie ausdrücklich dagegen.

> Sie haben auch an Sex gedacht...

Natürlich, wer denkt denn nicht an Sex?! (lacht)

> Es war ja abzusehen, dass „Der Schwebende Akt“ Trubel auslösen würde. Wieso haben sie ihn trotzdem reingenommen?

Er beschreibt eine anatomische Funktion, mehr nicht.

> Wieso ist er bereits für 16-Jährige zugänglich? Einschlägige Filme sind doch auch erst ab 18 zugelassen.

Das hat ja nichts mit Erotik zu tun. Teenager heutzutage sind doch immer früher reif, werden schon mit 16 schwanger.

> 22 Prozent der Körperspender wollen einem guten Zweck dienen. Ist dies wirklich ein guter Zweck oder eher die Befriedigung von Neugier?

Wenn wir nicht unserer Neugier nachgehen würden, würden wir noch immer in der Steinzeit leben.
Es bewirkt eine natürliche Selbstfindung über eine ganz andere Art der Aufnahme, da die Exponate echt sind. Die Menschen, die sich die Ausstellung angucken, bekommen mehr Respekt und lernen über sich selbst.

> Wäre die Wissenschaft nicht ein besserer Zweck?

Nein, wieso soll es nur einer Elite zugänglich sein? Auch wenn junge Leute mit einem „Cool!“ reagieren, wurde die Wirkung meines Erachtens nach nicht verfehlt.

> Manche Spender melden sich doch aus Geldnot?

Das ist wohl richtig. Früher mussten die Angehörigen jedoch selbst für den Leichentransport zu uns ins Institut aufkommen. Heute haben wir ein „Bodymobil“, welches die Leichname innerhalb von Deutschland abholt. Aus dem Ausland müssen immernoch die Hinterbliebenen für den Antransport sorgen.

> Die Anatomie an der Uni ist nur für Fachpersonal offen. Denken Sie nicht, dass dies seinen Sinn hat?

Aber unsere Ausstellungsstücke sind doch ganz anders als die Leichen im Präparierkurs, die sahen schrecklich aus und der Formalingestank war schlimm.

> Ist wirklich alles an den Stücken echt?

Da Augen schwer zu plastinieren sind, ist nur der Augapfel original. Auch fehlende Zähne werden ersetzt – wie beim Lebenden.

> Wieviel kostet eine Plastination?

Eine Figur beansprucht mindestens 1.500 Arbeitsstunden und 50.000 Euro.

> Wohin gehen die Einnahmen?

Die Einnahmen fließen direkt zurück in die Ausstellung und das Herstellen weiterer Plastinate. Unser persönliches Einkommen ist uns nicht wichtig.

> Gehen Exponate auch mal kaputt?

Es geht kein Körper verloren. Selbst wenn die Fixierung nicht wie gewünscht funktioniert, wird dies kompensiert und man kann z.B. eine Schicht tiefer präparieren.

> Ihre Plastinationen hatten mal einen Auftritt im James-Bond-Film "Casino Royal"...

Ja, das war sehr aufregend und interessant zu sehen, wie so viel Arbeit für nur wenige Sekunden investiert wurde. Der Produzent hatte unsere Ausstellung zweimal in London besucht und war sehr begeistert davon. Die Figuren wurden nur für den Film hergestellt und sonst nirgends gezeigt. Es sprach die Masse an. Wir müssen "Edutainment" dafür in Kauf nehmen.

> Wie steht Ihre Familie zu Ihrer Arbeit?

Meine Mutter fand es fürchterlich, dass ich plötzlich mit Leichen arbeiten sollte.

> Ekelten Sie sich nicht vor Ihrer Arbeit?

Ich bin ja Ärztin und habe bereits Erfahrungen aus dem Präp-Kurs u.ä. Als ich ein halbes Jahr auf meinen Studienplatz warten musste, habe ich nebenbei in der Rechtsmedizin gejobbt. Als ich mit einem Arzt erstmals zu einem Friedhof fuhr, um einer Leiche Blutproben zu entnehmen, weinte ich und wurde ohnmächitg. Das Prozedere erinnerte mich an die Polsterei meines Onkels und ich war einfach nicht darauf vorbereitet. Bei einer späteren Autopsie eines Mordopfers war es dann gar kein Problem mehr, da ich mich darauf einstellen konnte.

> Sie wollten doch eigentlich Chirurgin werden...

Ja, anfangs war ich auch eher unzufrieden. Mein Mann und ich haben eine Vereinbarung getroffen: Er geht nicht nach Amerika, was er eigentlich als ostdeutscher Flüchtling immer anstrebte, und ich gebe die Chirurgie auf. Heute bin ich jedoch froh. In meinem Beruf kommt nie Routine auf, er ist persönlich bereichernd.

> Wie gehen Sie mit der ganzen Kritik um?

Zunächst wird nur in Deutschland so ausgiebig und gründlich darüber diskutiert. Voltaire sagte schon: „Am Grunde eines Problems sitzt immer ein Deutscher.“
Anfangs habe ich alles persönlich genommen, doch nun bin ich dankbar für Kritik jeglicher Art. Die größten Punkte, die stets kritisiert werden sind die Verletzung der Menschenwürde und dass die Ausstellung Geld verdient.

> Auf Ihrer Homepage zitieren Sie einige berühmte Besucher. Der amerikanische Schauspieler Danny DeVito sagte demnach: „Sehr gut gemacht! Ich bin jetzt richtig hungrig.“ - Wieso wird etwas so Unangebrachtes veröffentlicht?

Oh, das habe ich nicht gewusst. Das stimmt, das ist in der Tat nicht geeignet.

> Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Es wäre angemessen, der Ausstellung einen festen Platz, z.B. ein Museum einzurichten. Außerdem würde ich gerne ein Lymphpräparat herstellen, aber das ist anatomisch noch nicht machbar.

Vielen Dank für das Gespräch

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