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  • Dr. med. Thao Tran
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  • 20.07.2016

FUO: eine Fülle unzähliger Optionen

Lymphom? Karzinom? Okkulter Abszess? Hyper-IgD-Syndrom? Hinter einem Fieber unklarer Genese (FUO) können sich viele höchst unterschiedliche Krankheitsbilder verbergen. Hier einige Tipps, wie man trotzdem schnell zur Diagnose kommt.

 

©Thomas Jansa/Fotolia.com

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Besorgt mustert Dr. März* seinen langjährigen Patienten. Seit sechs Wochen plagen den 54-jährigen Herrn Schultz Beschwerden, die einfach nicht weggehen wollen. Er hat Fieber, fühlt sich abgeschlagen und seine Glieder schmerzen. Wegen dieser Symptome hatte der Hausarzt zunächst einen einfachen grippalen Infekt vermutet und Bettruhe, viel Flüssigkeit und Paracetamol verordnet.

Als sich die Symptomatik nach einer Woche nicht gebessert hatte und das Fieberthermometer weiter konstant an die 39° C zeigte, nahm Dr. März Blut ab. Es zeigte sich eine Leukozytose und ein erhöhtes CRP, woraufhin er einen versteckten bakteriellen Infekt vermutete und eine einwöchige „empirische“ Antibiotikatherapie startete. Leider erfolglos – denn Herr Schultz leidet immer noch an dem quälenden Fieber. Und zu den Gliederschmerzen sind jetzt auch noch kolikartige Bauchschmerzen gekommen. Mittlerweile hat er 6 kg abgenommen. Doch auch diverse bildgebende Untersuchungen wie Abdomensonografie, Röntgenthorax und eine Koloskopie zeigen keinen richtungsweisenden Befund. Dr. März ist mit seinem Latein am Ende. Was hat der Mann bloß?

Kriterien für echtes FUO

Verläufe wie dieser sind häufiger, als man denkt. 3 % der Patienten in deutschen Kliniken leiden an Fieber, bei dem unklar ist, was sich dahinter verbirgt. Damit gehört das „fever of unknown origin“ (FUO) zu den häufigsten „detektivischen“ Herausforderungen im Krankenhaus. Im Jahre 1961 definierten die beiden Internisten Robert Petersdorf und Paul Beeson, wann man von einem „echten FUO“ ausgehen muss: Die Fieberperiode muss mindestens drei Wochen andauern. Die Temperaturen müssen bei mehrfachen Messungen höher als 38,3°C liegen.

Und: Trotz intensiver Diagnostik in einem stationären Aufenthalt von mindestens einer Woche ist keine das Fieber auslösende Krankheit nachzuweisen. Diese Kriterien haben sich bis heute nur in einem Punkt verändert: Weil die Diagnostik heute viel besser ist als vor 40 Jahren, sieht man mittlerweile schon einen Aufenthalt von drei Tagen oder drei ambulante Konsultationen ohne Diagnoseerfolg als ausreichend an, um einen Fall als FUO einzustufen.

 

Warum? Woher? Ein bunter Strauß!

Einem unklaren Fieber auf die Spur zu kommen, ist deswegen so schwierig, weil es so extrem viele Krankheiten gibt, die es auslösen können. Meistens (ca. 28 %) sind die Ursachen infektiös – was kein Wunder ist, denn der pathophysiologische Sinn des Fiebers liegt ja darin, beim Eindringen von Mikroorganismen den Sollwert der Körperkerntemperatur nach oben zu regulieren, um ihnen das Überleben so schwer wie möglich zu machen. Schwierig für diagnostizierende Ärzte: Der Infektionsherd kann fast überall im Körper stecken. Mögliche FUO-Auslöser sind z. B. eine Endokarditis, eine Sinusitis oder eine Osteomyelitis.

Auch abdominelle Abszesse, etwa nach einer gedeckten Perforation bei Sigmadivertikulitis oder eine Tuberkulose können anhaltendes Fieber verursachen. „Beliebte“ nosokomiale Infektionsquellen sind einliegende Katheter, Gelenkprothesen und Implantate. Bei immunschwachen Patienten, die etwa HIV haben oder wegen einer Transplantation oder Chemo abwehrgeschwächt sind, müssen auch Infektionen mit ungewöhnlichen Erregern wie Pilzen oder Toxoplasma in Betracht gezogen werden.

An zweiter Stelle der Ursachen stehen die entzündlichen, nichtinfektiösen Leiden (ca. 21 %). Führend sind dabei Kollagenosen, wie der systemische Lupus erythematodes, diverse Vaskulitiden wie die Riesenzellarteriitis und Systemerkrankungen wie der Morbus Crohn oder die Sarkoidose. Danach folgen Malignome (ca. 17 %), wie das Hodgkin- und das Non-Hodgkin-Lymphom, myeloproliferative Erkrankungen und solide Karzinome.

Der Rest der Ursachen verteilt sich auf einen bunten Strauß an weiteren Leiden, die keiner dieser drei Gruppen zugeordnet werden können. Dazu gehören tiefe Venenthrombosen ebenso wie medikamenteninduziertes Fieber, Fieber bei Alkoholentzug und „abgefahrene“ Leiden wie das vererbliche Hyper-IgD-Syndrom. Auch an die Möglichkeit von Manipulationen im Sinne eines vorgetäuschten Fiebers („Münchhausen-Syndrom“) sollte man denken.

Beachten sollte man, dass sich die Häufigkeiten der FUO-Ursachen je nach Lebensalter unterscheiden. So sind Kinder häufiger durch Infekte betroffen, während bei Erwachsenen Krebs eine größere Rolle spielt. Da Tumoren und Infektionen dank immer besserer Diagnostik auch immer häufiger früh detektiert werden, werden die entzündlichen nichtinfektiösen Syndrome in der FUO-Suche immer wichtiger.

Diagnostik: Gute Anamnese!

Um einem FUO auf die Schliche zu kommen, gibt es leider keinen Goldstandard oder Algorithmus. Aufgrund des breiten Spektrums an Ursachen sollte man – sofern man noch keinen konkreten Verdacht hat – in der Diagnostik allerdings immer möglichst breit ansetzen. Das bedeutet im ersten Schritt eine ausführliche Anamnese. Man sollte Stuhlgang und Miktion abfragen, um Hinweise auf komplizierte Harnwegsinfekte und chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) abzuchecken.

Auch kürzlich durchgeführte OPs und Zahneingriffe sollten erfragt werden, um nosokomiale Infektionen oder eine Endokarditis eingrenzen zu können. B-Symptome wie Gewichtsverlust können den Verdacht Richtung Malignom lenken. Keinesfalls vergessen darf man, abzufragen, welche Medikamente genommen werden. Um exotische Ursachen auszuschließen, sollte man auch eine Reise-, Sozial- und Sexualanamnese erheben. Eine akribische Dokumentation des Fieberverlaufs bringt dagegen leider wenig. Meist besteht keine Korrelation von Fieberkurven oder -höhe zu bestimmten Erkrankungen.

Bei der klinischen Untersuchung sollte man zunächst verifizieren, ob die Temperatur wirklich so hoch ist oder ob falsch gemessen oder manipuliert wurde. Die körperliche Untersuchung sollte vollständig durchgeführt – und ruhig nach ein paar Tagen wiederholt werden, um keine sich entwickelnden Befunde zu übersehen. Vor allem Lymphknoten, Gelenk- oder Hautbefunde können wertvolle Hinweise liefern.

Vermutet man einen Infektfokus, helfen Zahnarzt, Urologen und Gynäkologen gerne bei der Suche. Zur laborchemischen Routine wie dem Blutbild, den Elektrolyten und dem CRP sollten zusätzlich ein Differenzialblutbild, eine BSG, eine Serumproteinelektrophorese und die Leberenzyme angefordert werden.

Auch eine mikrobiologische Diagnostik mit Blutkulturen kann sinnvoll sein. Vermutet man eine Infektion in den Harnwegen, ist eine Urinkultur anzulegen. Eventuell kommt auch eine serologische Abklärung von HIV oder einer Hepatitis in Frage. Um Kollagenosen auszuschließen, bestimmt man die antinuklearen Antikörper. Stehen Vaskulitiden im Raum, sind die pANCA und cANCA hilfreich. Auch die Rheumafaktoren sowie das anticitrullinierte Protein können herangezogen werden. Ergibt sich aus diesen Befunden ein Verdacht, ist zur Diagnosesicherung evtl. eine Biopsie des befallenen Organs durchzuführen (z. B. Temporalisbiopsie bei Arteriitis temporalis). Bei Verdacht auf hämatologische Leiden muss Knochenmark punktiert oder ein Lymphknoten exstirpiert werden. Bei Darmsymptomen sollte man endoskopische Maßnahmen zum Ausschluss einer CED oder eines M. Whipple ergreifen.

Unverzichtbar bei der Suche nach einem fieberauslösenden Befund sind natürlich auch die bildgebenden Verfahren, zunächst die Abdomensonografie, der Röntgenthorax und die transösophageale Echokardiografie. Kommt man damit nicht weiter, schließt man eine CT bzw. MRT an. Als besonders sensitive Methode hat sich die FDG-PET erwiesen, die vor allem okkulte Neoplasien, Lymphome und Vaskulitiden detektieren kann. Weil dieses Verfahren sehr aufwendig und teuer ist, wird es aber trotzdem nur selten durchgeführt.

Therapie: keine Blindschüsse!

Man mag es angesichts dieser breit aufgestellten „Diagnose-Artillerie“ kaum glauben – aber in ca. 5–15 % aller Fälle kann auch nach Hightech-Diagnostik kein zugrunde liegendes Leiden gefunden werden. Für die Ärzte und besonders für die Patienten ist das natürlich unbefriedigend. Trotzdem sollte man möglichst keine probatorische Antibiotika- bzw. Kortisontherapie durchführen. Zwar kann dies zu einem raschen Rückgang des Fiebers führen. Die Symptomatik wird dadurch aber nur maskiert, eine evtl. im Verlauf aber doch noch mögliche Diagnose erschwert und die gezielte Therapie verzögert. Lediglich in Ausnahmefällen, wie bei einem septischen oder immunschwachen Patienten, oder bei dem Verdacht auf Arteriitis temporalis ist ein sofortiges Eingreifen mittels kalkulierter Antibiose oder Hochdosis-Kortisontherapie ohne gesicherte Diagnose vonnöten.

Rheumatologischer Volltreffer

Dr. März gehörte zu den Glücklichen, die dem FUO ihres Patienten schließlich eine Diagnose zuordnen konnten. Da der Hausarzt merkte, dass er mit seinen diagnostischen Möglichkeiten nicht mehr weiterkam, zog er eine befreundete Rheumatologin zurate. Diese führte nochmals eine ausführliche Anamnese durch und wurde rasch hellhörig, als Herr Schulte erzählte, dass er nicht nur Bauch-, Muskel- und Gelenkschmerzen habe, sondern neuerdings auch noch die Hoden so empfindlich seien. Zudem fiel ihr eine netzartige livide Zeichnung an den Beinen auf. Steckte da vielleicht eine Vaskulitis dahinter? Zunächst führte die Rheumatologin eine ausführliche Labordiagnostik mit der Bestimmung von Rheumafaktoren, demanti-CCP sowie cANCA und pANCA durch. Die Werte ergaben keinen pathologischen Befund, sodass sie zusätzlich noch eine Angiografie der Hirn­arterien veranlasste. Diese brachte den Durchbruch: Der Befund zeigte Mikroaneurysmen sowie perlschnurartige Kaliberschwankungen. Eine darauf folgende Biopsie ergab das Bild einer Arteriitis. Zusammen mit der Anamnese und dem bisherigen Krankheitsverlauf konnte die Rheumatologin also die Diagnose einer Polyarteriitis nodosa stellen. Dr. März begann sofort mit einer Kortisontherapie, unter der sich die Symptome rasch besserten und das Fieber wieder unter 37 °C sank.

*Alle Namen sind fiktiv. Die Kasuistik ist eine Synthese aus dem Erfahrungsschatz der Autorin.



Kategorien und Ursachen von Fieber unklarer Genese (FUO)


> Klassisches FUO


Infektionen: Endokarditis, Abszesse (z. B. intraabdominal), Tuberkulose, komplexe Harnwegsinfekte, M. Whipple, virale Infekte (z. B. Epstein Barr oder Zytomegalie)


Krebserkrankungen: u. a. Lymphome (Hodgkin und Non-Hodgkin), Leukämie, solide Malignome wie kolorektales oder hepatozelluläres Karzinom


Nichtinfektiöse entzündliche Erkrankungen: z. B. Rheumatoide Arthritis, Morbus Still, Kollagenosen (z. B. Lupus erythematodes), Vaskulitiden (z. B. Riesenzellarteriitis), M. Crohn

Sonstige Ursachen: z. B. alkoholische Fettleber, rezid. Thromboembolien, familäres Mittelmeerfieber,
Arzneimittelfieber, Hyper-Ig-D-Syndrom


> Nosokomiales FUO


z. B. Katheterinfektionen, Pneumonien, Sinusitiden (bei nasotrachealer Intubation), Alkoholentzug, Transfusionsreaktionen, Thrombophlebitis


> Neutropenisches FUO


z. B. in Verbindung mit einer Chemotherapie und systemischen Mykosen


> HIV-assoziiertes FUO


Direkt nach der Infektion, dann infolge von Superinfektionen (z. B. mit Mykobakterien oder Pilzen) und schließlich als „inflammatorisches Immunrekonstitutionssyndrom“ (IRIS) bei Anschlagen der antiretroviralen Therapie 

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