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- Klinikgeschichten
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- Fred Müller*
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- 01.09.2015
Penisinvagination - Highlight im PJ
Fred Müller* durfte als PJler bei einer geschlechtsangleichenden OP Haken halten.
Etwas unmotiviert schreite ich an diesem Morgen zum OP-Plan. Nachdem ich gestern bei einer Ösophagusresektion mit Magenhochzug stundenlang Haken gehalten habe, schmerzen meine malträtierten Muskeln heute so stark, dass ich lieber ein Jahr lang den Biomüll rausbringen würde, als diese Tortur nochmal durchzustehen. Sehnlichst wünsche ich mir, heute z.B. bei einem Dialyseshunt assistieren zu dürfen. Da kann man wenigstens sitzen und die Haken sind so klein, dass man sie wie eine englische Tasse Tee schon mit zwei Fingern halten kann.
Gelangweilt scanne ich den Plan nach meinem Namen ab. Müller, OP3, Penisinvagination. Ei ei ei, böser Alkohol. Scheint, als vertrage ich nicht mal mehr mein geliebtes Feierabendbier. Noch einmal fahre ich mit meinem Zeigefinger die Excel-Kästchen Zeile für Zeile ab und mache bei meinem Namen halt. Daneben steht tatsächlich: Penisinvaginatin. Strike! Ich feiere wie Usain Bolt nach einem WM Sieg und tanze den Mackarena. Wow, ich, Fred Müller*, darf bei einer geschlechtsangleichenden Operation dabei sein! Begeistert mache ich mich auf in den OP-Saal.
Dort liegt ein etwa 50-jähriger Mann in Steinschnittlagerung auf dem OP-Tisch, also mit gespreizten Beinen ähnlich wie auf ein Gyn-Stuhl. Als die Chirurgin das Skalpell am Hodensack ansetzt und beginnt, die Hoden herauszuschneiden, beiße ich schmerzvoll die Zähne zusammen – bereits der Anblick tut mir im Schritt weh. Um nichts in der Welt würde ich meinen Gaudizapfen hergeben. Schnipp schnapp, schon sind auch die Nebenhoden und Samenstränge dran. Jetzt geht es dem Penis an den Kragen: Geübt spaltet die Chirurgin ihn der Länge nach auf.
Während die Schwellkörper entnommen werden, schiebt sich gegenüber von mir immer wieder die OP-Tür spaltbreit auf. Klar, so eine OP wird nicht alle Tage gemacht und lockt natürlich neugierige Kollegen an.
Für einen transsexuellen Menschen ist eine Geschlechtsangleichung oft die ersehnte Operation nach einem jahrelangen Leidensweg. Denn bevor die OP durchgeführt werden darf, muss der Patient viele formelle Voraussetzungen erfüllen: Er muss für mindestens sechs Monate eine gegengeschlechtliche Hormontherapie gemacht und sich für etwa eineinhalb Jahre einer psychotherapeutischen Betreuung mit Alltagstest unterzogen haben. Dazu braucht er zwei unabhängige fachpsychiatrische oder fachpsychologische Gutachten zur Diagnose der Transsexualität (z.B. Gerichtsgutachten) und eine Indikationsstellung (Anzeige der medizinischen Notwendigkeit) zur geschlechtsangleichenden Operation von seinem Arzt (z.B. Psychiater). Der ganze Nervenkrieg über die eigene Identität, die Akzeptanz der Transsexualität, der Umgang damit im Familien- und Freundeskreis, ist hier noch gar nicht mitgerechnet.
Mit den Fingern bohrt die Chirurgin nun eine Höhle in das Gewebe zwischen Enddarm und Blase um Platz zu schaffen für die Neovagina. Dann stülpt sie die Penisschafthaut und ein Hauttransplant vom ehemaligen Hodensack in das neu gebildete Loch und fixiert die Hautteile im Inneren. Nun ist die Klitoris dran.
Eines der wichtigsten Ziele einer solchen OP ist natürlich, die Orgasmusfähigkeit zu erhalten. In den meisten Fällen gelingt das auch. Der Orgasmus ist zwar nach der OP anders als vorher, aber für die Patienten durchaus noch befriedigend. Damit auch unser Patient bzw. unsere Patientin nach der OP noch die unbeschreibliche Gefühlsexplosion beim Sex erleben kann, wird nun aus der Eichel und dem damit verbundenen unversehrten Gefäß-Nerven-Bündel eine Neoklitoris geformt. Anatomisch korrekt setzt sie die Chirurgin so ein, dass das obere Drittel sichtbar ist.
Mit geübten Schnitten und Resten aus Teilen des Hodensacks werden jetzt die Schamlippen geformt. Ich bin baff, wie geschickt die Chirurgin arbeitet. So eine OP gehört zur Königsdisziplin in der plastischen Chirurgie. In mir erwacht das prickelnde Gefühl von Ehrgeiz – nicht mehr lange und ich kann in meiner Facharztweiterbildung zum plastischen und ästhetischen Chirurgen das Skalpell schwingen. Natürlich nicht gleich mit so einer Operation, aber immerhin steh ich dann nicht mehr nur als Hakenhalter im OP.
Jetzt fehlt nur noch der korrekte Sitzt der Harnröhre. Dafür wird sie ein wenig gekürzt und unterhalb der Klitoris angenäht. Fertig! Zumindest für heute, denn das Ergebnis entspricht noch nicht dem gewünschten Endergebnis. Wenn nach ein paar Monaten die Wunden verheilt sind, kommt die Patientin nochmals unters Messer. Dann wird die noch überschüssige Haut vor dem Eingang der Neovagina korrigiert und so geformt, dass der Eingang der Vagina gerade und erweitert wird. Dadurch wird auch gleich die hintere Vereinigung der großen Schamlippen gebildet. Die vordere Vereinigung der Schamlippen wird durch ein Hautteil über dem Schambein so geformt, dass die Klitoris überdeckt wird. Die kleinen Schamlippen werden beim Schamhügelaufbau um die Klitoris herum mit überschüssiger Haut gefaltet.
Am Ende ist die Illusion perfekt– die Neovagina ist nun kaum noch von einer „echten“ Vagina zu unterscheiden.
Leider dauert mein PJ nicht mehr so lange und ich werde bei der zweiten OP nicht assistieren können. Doch ich habe heute so viel Spannendes gesehen und gelernt, dass es die Schmerzen in meinen Armen, den imperativen Harndrang und die geschwollenen Beine auf alle Fälle wert war.
*Name von der Redaktion geändert