- Praxisanleitung
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- Dr. med. Ulrike Weber
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- 20.09.2005
Cholezystolithiasis - der Weg der Steine
Zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung haben Gallensteine. Meistens bleiben diese stumm, doch in 20–30% der Fälle lösen sie Beschwerden aus: Bauchschmerzen und Koliken vergällen den Patienten das Leben. Bei jedem Fünften kommt es zur akuten Cholezystitis. Diese lässt sich in einigen Fällen mit Antibiotika und Schmerzmitteln behandeln. Doch oft hilft nur noch eins: Die Gallenblase muss raus. Dr. Ulrike Weber schildert, wie man in diesem Fall vorgeht.
An einem verregneten Sonntagnachmittag traf sich die 74-jährige Else Schneider zu einem gemütlichen Kaffeeklatsch mit ihrer Nachbarin, die extra eine große Schwarzwälder Kirschtorte gebacken hatte. Die Damen genossen den Nachmittag. Abends war Else Schneider übel. Außerdem hatte sie heftige Bauchschmerzen, so heftig, wie eigentlich noch nie. Sie rief ihren Hausarzt an, der sofort kam. Er untersuchte die Patientin kurz und wies sie ins Krankenhaus ein.
Helle Reflexe im Ultraschall
In der chirurgischen Ambulanz herrschte reger Betrieb. Doch da Else Schneiders Schmerzen immer schlimmer wurden und sie mittlerweile auch erbrach, untersuchte der Dienst habende Assistenzarzt sie sofort. Er tastete vorsichtig den Bauch ab. Im rechten Oberbauch waren die Schmerzen besonders stark. Resistenzen oder Abwehrspannung spürte er nicht. Seine Verdachtsdiagnose war Gallenkolik. Der Arzt legte zunächst einen venösen Zugang und nahm Blut ab. Dann schickte er die Patientin zur Röntgenuntersuchung des Abdomens und des Thorax im Stehen, um andere Ursachen des akuten Abdomens auszuschließen. Anschließend machte er einen Ultraschall des Oberbauches. Und tatsächlich: Er fand die typischen Reflexe von Gallensteinen. Die Wand der Gallenblase war verdickt und von einem Flüssigkeitssaum umgeben. Außerdem zeigte das Blutbild der Patientin eine Leukozytose von 16.000/ml. Der Arzt informierte den Oberarzt. Dieser untersuchte die Patientin ebenfalls. Inzwischen ließ sich die Gallenblase prall unter dem rechten Rippenbogen tasten, und es lag eine Abwehrspannung vor. Offensichtlich hatte eine Cholezystolithiasis zur akuten Entzündung der Gallenblase geführt. Noch am selben Abend mussten die Ärzte der Patientin die Gallenblase entfernen.
Bauchweh und Koliken
Nicht bei jedem verläuft ein Gallensteinleiden so akut. Die meisten Menschen wissen nicht einmal etwas von den Konkrementen in ihrer Gallenblase. Doch fast jeder Dritte wird symptomatisch. Das häufigste Symptom ist die vorübergehende Gallenkolik. Sie äußert sich in krampfartigen rechtsseitigen Oberbauchschmerzen, die in die rechte Schulter oder in den Rücken ausstrahlen können und oft von Übelkeit und Erbrechen begleitet sind. Manchmal weisen uncharakteristische Oberbauchschmerzen auf eine Cholezystolithiasis hin. Die Patienten berichten gelegentlich von passagerer Stuhlentfärbung und dunklem Urin – typische Zeichen der Cholestase. Viele Patienten geben Druckschmerz im rechten Oberbauch an. Lösen die Steine eine akute Cholezystitis aus, findet sich eine Abwehrspannung im rechten Oberbauch. Ist die Gallenblase ausreichend gestaut, kann man den Gallenblasenhydrops wie bei Else Schneider durch die Bauchdecke tasten.
Auf der Spur der Steine
Zum Nachweis einer Cholezystolithiasis ist die Sonographie die Methode der Wahl. Ein Gallenstein zeigt sich als heller Reflex mit dahinter liegendem Schallschatten. Auch sehr kleine Gallensteine lassen sich sonographisch darstellen. Bei einer chronischen Cholezystitis ist die Wand der Gallenblase verdickt. Ein Flüssigkeitssaum um die Gallenblase ist pathognomonisch für eine akute Cholezystitis. Ist der Ductus choledochus erweitert (über 4–6 mm), sind wahrscheinlich auch im Gallengang Steine. Auch das Pankreas ist zu sehen. Pankreatitis ist nämlich eine Differenzialdiagnose bei Oberbauchschmerz. Weil man sie aber per Ultraschall kaum nachweisen kann, sollte man laborchemisch neben Bilirubin sowie Leukozyten und CRP als Entzündungsparameter auch Lipase und Amylase bestimmen.
Aufschluss per Röntgenstrahlen
Zur Standarddiagnostik gehört die Röntgenaufnahme des Abdomens im Stehen. Zwar kann man darauf Gallensteine nur erkennen, wenn sie groß und kalkhaltig sind, aber man erhält andere Hinweise: Sind die Gallengänge gut sichtbar, sind sie voll Luft. Dieses Phänomen heißt Aerobilie. Es tritt auf, wenn sich Gas bildende Bakterien in den Gallengängen befinden, und ist Ausdruck einer Cholangitis. Das gleiche Bild tritt allerdings auch nach einer Papillotomie auf und ist dann nicht pathologisch. Im Röntgenbild ist gegebenenfalls eine weitere Komplikation zu sehen, der Gallensteinileus: Es zeigen sich Spiegel und eine
Aerobilie als Folge der Perforation und der dadurch entstandenen Verbindung zwischen dem gasgefüllten Darm und den Gallengängen. Auch den Thorax sollte man durchleuchten, denn eine basale Pneumonie kann Oberbauchbeschwerden verursachen.
Kontrastmittel macht Steine sichtbar
Eine weitere Diagnosemöglichkeit ist die i.v.-Cholangiographie: Man verabreicht Kontrastmittel intravenös, das über Leber und Gallengänge ausgeschieden wird. Steine im Ductus choledochus verdrängen das Kontrastmittel und sind als Aussparungen zu erkennen. Die Gallenblase stellt sich retrograd dar, wenn der Ductus cysticus steinfrei ist. Bei einem Zystikusverschlussstein kann das Kontrastmittel nicht in die Gallenblase fließen, sodass man sie nicht sieht.
Bei Verdacht auf eine Choledocholithiasis ist es sinnvoll, nicht erst eine i.v.-Cholangiographie, sondern gleich eine ERCP (endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie) durchzuführen. Denn bei dieser Untersuchung besteht zusätzlich zu ihrer sehr guten diagnostischen Aussagekraft die Möglichkeit zur Intervention. Bei der ERCP schiebt man ein Endoskop durch den Magen in das Duodenum und intubiert die Papilla vateri mit einem kleinen Schlauch. Darüber spritzt man Kontrastmittel in den Ductus choledochus und den Ductus pancreaticus. Findet der Arzt einen Choledochusstein, kann er ihn mit einem Fangkörbchen bergen, dem Dormiakörbchen. Bei großen Konkrementen muss man eine Papillotomie durchführen, um den Stein zu entfernen. Bei der ERCP lässt sich außerdem eine weitere Ursache für Oberbauchbeschwerden ausschließen: das Ulkus von Magen oder Duodenum.
Entzündungszeichen weisen den Weg
Gallenkoliken sind sehr unangenehm. Deshalb muss man den Patienten schnell helfen. Gegen die Schmerzen hilft Butylscopolamin (Buscopan®). Wenn weder die Temperatur noch Lipase, Leukozyten oder CRP erhöht sind, reicht diese Therapie. Sind die Entzündungsparameter allerdings erhöht, braucht der Patient ein Antibiotikum gegen die Cholezystitis. Bei Abwehrspannung im rechten Oberbauch, einem tastbaren Gallenblasenhydrops oder einem sonographisch nachgewiesenen Flüssigkeitssaum um die Gallenblase reicht die Antibiose nicht, es liegt eine akute OP-Indikation vor. Bei erhöhter Lipase und Entzündungszeichen muss eine Notfall-ERCP erfolgen, bei der die Steine aus dem Ductus choledochus entfernt werden. Ist die Lipase erhöht, nicht aber Temperatur, Leukozyten und CRP, genügt die übliche konservative Therapie der akuten Pankreatitis mit Nahrungskarenz, Flüssigkeitszufuhr, Antibiose und Analgetika.
Handlungsbedarf bei symptomatischen Steinen
Neben diesen Notfallsituationen stellt sich bei Patienten mit bekannten Gallensteinen auch im beschwerdefreien Intervall die Frage nach der adäquaten Therapie. Die symptomlose Cholezystolithiasis als Zufallsbefund ist nicht behandlungsbedürftig. Erst die symptomatische Cholezystolithiasis zwingt zum Handeln, denn Gallensteine können zu Komplikationen führen. Eine Gallenkolik oder die Unverträglichkeit bestimmter Nahrungsmittel sind noch eher harmlos, ernster wird es bei der chologenen Pankreatitis, die lebensbedrohlich werden kann, oder der Cholezystitis, deren Ausmaß zwischen einer leichten Entzündung und einer Abszedierung in das Leberbett variiert. Auch Gallenblasenkarzinome sind nicht selten und entstehen in den meisten Fällen auf dem Boden einer Cholezystolithiasis.
Prinzipiell ist es möglich, unverkalkte Cholesterinsteine per Stoßwellenlithotripsie zu zertrümmern. Doch die Trümmer können beim Abgang Koliken auslösen. Vor allem aber bleibt der Ort erhalten, an dem sich die Steine bilden. Es kann jederzeit ein Rezidiv entstehen. Eine weitere konservative Therapiemöglichkeit, die allerdings auch nur in bestimmten Fällen zum Erfolg führt, ist die orale Litholyse mit Urodesoxycholsäure. In der Regel ist die Cholezystektomie Therapie der Wahl. Diese sollte man übrigens nicht Jahre hinausschieben, denn die Gefahr der Komplikationen steigt und der Patient hat ein höheres allgemeines OP-Risiko, je älter er wird.
Cholezystektomie durchs "Schlüsselloch"
Die Cholezystektomie ist eine Domäne der minimal invasiven Chirurgie. Vorteile dieser Methode gegenüber der konventionellen: Das kosmetische Ergebnis ist besser, die Architektur der Bauchwand bleibt erhalten, und die postoperativen Schmerzen sind geringer. Wegen der kleineren Zugänge treten seltener Wundheilungsstörungen auf. Davon profitieren besonders dicke Patienten, da Wunden bei starkem subkutanem Fettgewebe schlechter heilen. Der Operateur insuffliert CO2 in die Bauchhöhle, um einen Arbeitsraum zu schaffen. Dann bringt er einen Trokar (ein Rohr von etwa 12 mm Durchmesser) durch die Bauchdecke ein. Durch dieses Rohr schiebt er eine Kamera in die Bauchhöhle. Dann schafft er drei weitere Zugänge für Instrumente. Der Chirurg präpariert nun vorsichtig den Ductus cysticus und die A. cystica frei. Wenn diese Strukturen sicher identifiziert sind, dürfen sie mit Clips verschlossen und durchtrennt werden. Dann wird die Gallenblase von unten aus ihrem Bett geschält und über einen der Zugänge entfernt.
Rippenbogenrandschnitt rechts
Manchmal muss man vom laparoskopischen auf konventionelles Vorgehen umsteigen: bei schweren, nicht beherrschbaren Blutungen, ausgeprägten Verwachsungen oder starken postentzündlichen Veränderungen. Bei einigen Patienten ist von vornherein klar, dass man konventionell operieren muss – beispielsweise bei bekannten Verwachsungen oder wenn Steine aus dem Gallengang entfernt werden müssen, also eine Choledochusrevision geplant ist. Bei der konventionellen Cholezystektomie legt der Chirurg einen Rippenbogenrandschnitt rechts. Hat er die Muskulatur durchtrennt, öffnet er das Abdomen und fasst die Gallenblase. Ab hier geht es weiter wie bei der laparoskopischen Operation, nur mit anderen Instrumenten.
Choledochusrevision
Falls eine Choledocholithiasis nicht vor der Operation per ERCP oder i.v.-Cholangiographie ausgeschlossen wurde, wird über eine feine Sonde Kontrastmittel in den Ductus cysticus gespritzt und eine Röntgenaufnahme gemacht. Eine Choledocholithiasis auszuschließen bzw. die Choledochussteine zu beseitigen, ist wichtig, weil diese Komplikationen wie Koliken und Pankreatitis auslösen können. Um die Steine zu entfernen, wird der Ductus choledochus längs inzidiert und mit einer starren Optik, dem Choledochoskop, inspiziert. Die Steine, werden unter Sicht mithilfe von Fasszange oder Ballonkatheter entfernt. Anschließend wird der Ductus choledochus wieder zugenäht. Da durch diese Manipulation die Papille schwillt und der Abfluss des Gallensekrets gestört sein kann, wird eine T-Drainage in den Ductus choledochus eingelegt. Diese Drainage wird durch die Bauchdecke ausgeleitet und zehn bis zwölf Tage später entfernt.
In der Regel verlassen die Patienten nach vier bis sieben Tagen die stationäre Behandlung, nach komplizierten Eingriffen kann sich die Behandlungsdauer auch über einen längeren Zeitraum erstrecken. Ist die Gallenblase entfernt, sind die Patienten geheilt. Nur fettreiche Gelage sollten sie meiden – ab und zu ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte ist trotzdem noch drin!
Infos über die Autorin
Dr. Ulrike Weber ist Chirurgin und Funktionsoberärztin am Bethesda- Krankenhaus in Stuttgart.