Kasuistik Sinusitis
Der Winter ist zwar vorbei, aber auch im Frühjahr kann es einen noch erwischen: Man niest, hat vielleicht sogar Fieber, die Nase beginnt zu laufen – und plötzlich liegt man im wahrsten Sinne des Wortes auf der Nase: Akute Sinusitis lautet die Diagnose. Prof. Dr. Heizmann, Arzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, zeigt Ihnen, wie eine solche Erkrankung ablaufen kann.
Eiterstraßen in der Nase
"Meine Damen und Herren, bitte klappen Sie Ihre Tische zurück und stellen Sie die Lehnen Ihrer Sitze wieder senkrecht. Wir beginnen nun mit unserem Anflug auf Berlin-Tegel." Die freundliche Stimme der Stewardess ließ Herrn Dr. Beinlich zusammenzucken. Schon beim Start in Köln-Bonn hatte er starke Kopfschmerzen verspürt, die, nachdem das Flugzeug die Reiseflughöhe erreicht hatte, langsam abgeebbt waren. Er schloss die Augen und klammerte sich mit beiden Händen an die Armlehnen. Mit jeder Minute, mit jedem Meter, wurde der Druck im Kopf stärker und ein heftiger Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen. Nach der Landung war er noch völlig benommen, obwohl die Schmerzintensität langsam nachließ. "Ich muss noch einmal zum Arzt", schwor er sich. Zur Belohnung für die überstandene Tortur zündete er sich sofort seine geliebte Zigarette an und sog den Rauch tief in die Lungen, um ihn dann langsam und genüsslich über die Nase auszuatmen. Gleich am nächsten Morgen ließ er sich einen Termin bei einem HNO-Arzt geben. Dabei hatte die Erkrankung vor einigen Wochen so harmlos mit einer Infektion der oberen Atemwege begonnen ...
Nur ein Schnupfen
Infektionen der oberen Atemwege werden meist durch Viren hervorgerufen, wobei es sich überwiegend um Adeno-, Parainfluenza- oder Rhinoviren handelt, die durch ihre große antigene Vielfalt immer wieder erneut Infektionen hervorrufen können. Der Ablauf einer solchen Infektion ist bekannt: Die Patienten sind müde und abgeschlagen, haben Kopf- und Muskelschmerzen, gelegentlich ist die Körpertemperatur erhöht. Im Rahmen einer örtlichen Entzündung schwellen die nasalen Schleimhäute an und die Nase beginnt durch die Schleimbildung zu laufen, wobei meist fast wasserklare Flüssigkeit sezerniert wird. In vielen Fällen kommt es zu einer Spontanheilung in spätestens zehn bis vierzehn Tagen. Bakterielle Superinfektionen durch Keime wie Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae oder Moraxella catarrhalis können jedoch den Krankheitsverlauf signifikant verschlechtern und verlängern.
Kamillendampf und Taschentücher
Auch bei Dr. Beinlich begann es ganz harmlos mit Schnupfen und Müdigkeit. Natürlich kam die Erkrankung höchst ungelegen, wichtige berufliche Entscheidungen standen an, die keinen Aufschub duldeten. Er hoffte, dass die Erkältung bald vorüberginge, doch leider entwickelte sich alles anders: Der anfänglich klare Schleim verfärbte sich langsam, aber sicher gelb bis gelbgrün und wurde deutlich zäher. Herr Beinlich musste immer heftiger in seine zahlreichen Taschentücher schneuzen, um die Nase vom Schleim freizubekommen. Am nächsten Morgen erwachte er mit heftigen Kopfschmerzen, sodass er sich entschloss, seinen Hausarzt aufzusuchen. Nach einem kurzen Blick auf Dr. Beinlich stellte er die offensichtliche Diagnose "akute purulente Rhinitis" und gab den Ratschlag, den Schleim durch Inhalation von Kamillendämpfen zu verflüssigen.
Auch der folgende Tag brachte keine Besserung. Die Symptome hatten sich verstärkt. Neben den Kopfschmerzen hatte Dr. Beinlich nun auch Schmerzen im Wangenbereich, vor allem, wenn er sich nach vorne beugte. Beim Rasieren empfand er das Berühren der Gesichtshaut als unangenehm und schmerzhaft. Auch seine Körpertemperatur war mit 38,1°C deutlich erhöht. Erneut stellte er sich bei seinem Arzt vor, der nun von einer akuten Sinusitis sprach und das Antibiotikum Roxithromycin verordnete. Anstelle von Kamillendampf sollte Herr Beinlich Emser Salz inhalieren und bei Bedarf schleimhautabschwellende Nasentropfen als Spray applizieren.
Sinusitis: verstopfte Nasennebenhöhlen
Als Sinusitis wird die Entzündung der Schleimhaut der paranasalen Sinus bezeichnet. Am häufigsten sind die Siebbeinhöhle (Sinus ethmoidalis) und die Kieferhöhlen (Sinus maxillaris) betroffen. Eine akute Sinusitis beginnt meist im Rahmen einer typischen, primär meist viralen Infektion der oberen Atemwege. Dabei schwellen die Schleimhäute an und verlegen die Ausgänge in die Nasenhöhle. Symptome einer Sinusitis sind pochende Schmerzen über der Stirn, im Wangenbereich mit Ausstrahlung in die Zähne, hinter den Augen oder in seltenen Fällen im Hinterkopfbereich, vor allem bei Beteiligung der Keilbeinhöhle. Typisch ist der Klopfschmerz über den betroffenen Höhlen oder eine Zunahme der Schmerzen, sobald sich der Patient nach vorne beugt oder fest auftritt. Diese Schmerzen werden durch den Druck des Sekrets und die eingeschlossene Luft verursacht. Viele Patienten haben gleichzeitig einen eitrigen Ausfluss aus der Nase. Es kann zu Fieber und allgemeinem Krankheitsgefühl mit Müdigkeit, Abgeschlagenheit kommen.
Dauert die Erkrankung länger als drei Wochen, wird von einer chronischen Sinusitis gesprochen. Sie kann Wochen, gelegentlich auch Monate dauern und wird durch anatomische Veränderungen wie zu große Nasenmuscheln, eine Septumdeviation oder adenoide Wucherungen (Polypen) gefördert. Eine gewisse Prädisposition zur Entwicklung einer chronischen Sinusitis besteht bei Personen mit Allergie gegen Hausstaub, Pollen oder Pilzsporen, seltener bei Personen mit Immunschwäche. Typisches Symptom der chronischen Sinusitis ist ein Räusperzwang, der durch das kontinuierlich in den Rachen und auf die Stimmbänder laufende eitrige Sekret verursacht wird. Zusätzlich treten Kopf- und Halsschmerzen sowie Geruchs- und Geschmackstörungen auf. Luftdruckwechsel, z.B. im Flugzeug, führt zu einer Verstärkung der Schmerzen. Die Symptome verschwinden manchmal für einige Tage fast völlig, um dann erneut aufzutreten.
Die Therapie der Sinusitis umfasst neben abschwellenden Nasentropfen (Sympathomimetika) und Inhalationen auch die Gabe eines Antibiotikums. Im Fall von Herrn Beinlich wurde Roxithromycin gegeben, ein Medikament aus der Klasse der Makrolide, dessen Wirkungsspektrum vor allem Erreger wie Chlamydien, Mykoplasmen, Legionella, aber auch S. pneumoniae oder H. influenzae umfasst, die typischen bakteriellen Erreger von Infektionen des Respirationstraktes.
Mal besser, mal schlechter
Das Befinden von Herrn Dr. Beinlich besserte sich nach zwei Tagen unter der antibiotischen Therapie und er entschloss sich, eine Dienstreise nach Hamburg anzutreten. Nach drei Tagen, an denen er keine Gelegenheit hatte, die Therapie konsequent durchzuführen, verschlechterte sich sein Zustand erneut. In Hamburg stellte er sich deshalb in der Sprechstunde eines Allgemeinarztes vor, der ihm nach kurzer Anamnese ein Rezept mit einem anderen Antibiotikum ausstellte, da Roxithromycin offensichtlich unwirksam war. Wie Herr Beinlich der Packungsbeilage entnahm, war in dem neuen Medikament eine antimikrobielle Substanz mit dem Namen Clarithromycin enthalten. Wieder zu Hause, nahm er regelmäßig seine Clarithromycin-Tabletten ein und inhalierte konsequent mit Kamillentee im Wechsel mit Emser Salz. Abschwellende Nasentropfen nahm er nur noch selten. Und wirklich, nach zwei Wochen trat eine allmähliche Besserung ein. Er begab sich auf eine weitere Dienstreise. Und da wurde alles wieder schlimmer, sodass Herr Beinlich sich – nach dem schrecklichen Rückflug von Köln nach Berlin – entschloss, den HNO-Arzt aufzusuchen.
Ein neues Antibiotikum
Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt in Berlin nahm sich Zeit: Nach einer sorgfältigen Anamnese untersuchte er die Nase mit einem Endoskop. Dabei stellte er fest, dass die mittlere Nasenmuschel beträchtlich vergrößert war und den Abfluss aus der linken Kieferhöhle stark behinderte. Er nahm von einer Eiterstraße, die sich aus dem Ostium maxillare entleerte, einen mikrobiologischen Abstrich. Neben einigen Ratschlägen zur unspezifischen Therapie (einschließlich der Anregung, das Rauchen zumindest zeitweilig aufzugeben) empfahl er eine erneute Antibiotikatherapie, dieses Mal mit Moxifloxacin (Avalox®) über sieben Tage. Clarithromycin, erklärte der HNO-Arzt dem verwunderten Herrn Beinlich, sei ein Antibiotkum aus der Makrolidgruppe, dessen Wirkungsspektrum mit dem des Roxithromycins identisch ist. Das neue Antibiotikum gehöre hingegen zur Gruppe der Chinolone. Tatsächlich besserten sich Herrn Beinlichs Symptome nach zwei Tagen und waren am fünften Tag praktisch verschwunden. Im Abschlussbericht des Arztes stand dann der Name des Keims (Staphylococcus aureus), der mit hoher Wahrscheinlichkeit für den eitrigen Prozess verantwortlich gewesen war.
Erreger der Sinusitis: Streptokokken und Co.
S. pneumoniae, H. influenzae, M. catarrhalis, Streptococcus pyogenes und S. aureus heißen die häufigsten Erreger einer Sinusitis, wobei die ersten drei vor allem bei akuter Sinusitis, die anderen beiden bei chronischen Infektionen auftreten. Im Laufe der Zeit kann es zu einem Erregerwechsel kommen, auch in Abhängigkeit von den vorangegangenen therapeutischen Maßnahmen. Die Antibiotika-Therapie richtet sich primär nach den am häufigsten vorkommenden Erregern. Bei chronischer Sinusitis ist eine mikrobiologische Untersuchung notwendig, da auch Anaerobier oder Pseudomonas aeruginosa in das Kalkül gezogen werden müssen. Das Material hierzu wird von den Abflussstraßen oder aus dem erkrankten Sinus gewonnen. Prinzipiell kommen eine ganze Reihe von Antibiotika in Betracht: Amoxicillin/Clavulansäure, Cefaclor, Cefuroxim-Axetil, Loracarbef, Clarithromycin oder Azithromacin. Seit kurzer Zeit steht mit Moxifloxacin ein Chinolon der Gruppe 4 für die Therapie der Sinusitis zur Verfügung, das durch sein Wirkungsspektrum sowie pharmakokinetische und pharmakodynamische Eigenschaften für diese Indikation besonders geeignet scheint. Das Wirkungsspektrum umfasst nicht nur S. pneumoniae, H. influenzae, M. catarrhalis, so genannte "atypische Erreger" (Chlamydia, Mycoplasma, Legionella) und S. aureus, sondern zusätzlich auch Anaerobier. In Geweben und Flüssigkeiten des Respirationstraktes werden sehr hohe Konzentrationen erreicht, die auch 12 Stunden nach Einnahme der Standarddosis von 400 mg/d weit über den minimalen Hemmkonzentrationen liegen. Chinolone haben zusätzlich die pharmakodynamische Eigenschaft, Mikroorganismen konzentrationsabhängig abzutöten, d.h. je höher die Konzentration über der minimalen Hemmkonzentration des Erregers liegt, desto schneller wird dieser eliminiert.
Cave: "Haemophilus-Schwäche" und Salztoleranz
Noch einmal zurück zu Herrn Beinlich und seiner Erkrankung. Es ist vorstellbar, dass die bakterielle Superinfektion am Krankheitsbeginn durch H. influenzae verursacht wurde, da die Gabe von Roxithromycin erst einmal keinen wesentlichen Einfluss auf den Krankheitsverlauf hatte. Viele Substanzen aus der Makrolidgruppe haben eine so genannte "Haemophilus-Schwäche", d.h. diese Bakterien werden nicht in ausreichendem Maß abgetötet. Außerdem ist in Deutschland eine zunehmende Resistenz von S. pneumoniae gegen Makrolide feststellbar. Unglücklicherweise wurde nach Roxithromycin ein Präparat aus der gleichen Gruppe verordnet, ein Fehler, der nicht selten passiert. Bei der mikrobiellen Untersuchung fand sich jedoch nicht H. influenzae, sondern S. aureus. Dieser Erregerwechsel wurde vielleicht durch die Inhalation mit einer Salzlösung gefördert, da S. aureus, das in niedriger Konzentration Bestandteil der Flora des oberen Respirationstraktes ist, salztolerant ist und damit einen Selektionsvorteil gegenüber anderen Keimen hat. Um dies zu vermeiden hätte Herr Beinlich vielleicht besser weiter Kamillendämpfe inhaliert.
Infos zum Autor
Prof. Dr. Wolfgang R. Heizmann ist Arzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie am Laborzentrum Berlin.