• Kasuistik
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  • Dr. Peter C. Döller
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  • 27.05.2009

Reizhusten mit Blasenproblemen: Bilharziose

Ob Südostasien, Afrika oder Südamerika: Fernreisen sind beliebt. Einmal in Urlaubslaune, nehmen viele Menschen reisemedizinische Warnungen nicht ernst und wundern sich dann über ungewollte „Mitbringsel“. Schistosomenlarven etwa dringen beim Baden durch die Haut in das Blut- und Lymphsystem und verwandeln sich in der Leber zum Pärchenegel. Wird die Infektion rechtzeitig erkannt, gibt es glücklicherweise eine wirksame Therapie.

Liebespärchen in der Leber

Flammend roter Sonnenuntergang, Silhouetten knorriger Bäume in der Steppe, endlose Weite ... Fast konnte Christiane Behrensen den Geruch Afrikas wieder wahrnehmen. Auch ihre Freunde schienen beim Anblick der Dias versunken in die Schönheit Afrikas. Zusammen mit ihrem Freund war die 34-Jährige ein Jahr durch Afrika gereist. Nun brannten ihre Freunde darauf, den Reisebericht zu hören. Doch Christiane Behrensen konnte den Abend nicht genießen. Wieder einmal war sie so müde, dass sie sich bereits bettreif fühlte, als die Gäste eintrafen. Dazu waren die Bauchschmerzen, die sie in den letzten Tagen verspürt hatte, schlimmer geworden. Hatte sie sich etwa eine Virusgrippe eingefangen?

 

Reizhusten und Harndrang

Als die letzten Gäste gegangen waren, fiel Frau Behrensen sofort ins Bett. Doch die Nacht war alles andere als erholsam: Mehrmals wurde sie von heftigem Harndrang geweckt, beim Wasserlassen verspürte sie starke Schmerzen. „Nun auch noch eine Blasenentzündung“, dachte die junge Frau und suchte am nächsten Tag ihren Hausarzt auf. Dr. Heinrich Simons wusste, dass seine Patientin in Afrika gewesen war und befragte sie sorgfältig nach ihren Beschwerden. Frau Behrensen erzählte, dass sie vor allem morgens sehr müde sei und sich wie gerädert fühle. Sie beschrieb die Schmerzen im rechten Oberbauch und beim Wasserlassen. Auf genaues Nachfragen des Arztes erinnerte sie sich, dass sie seit zwei bis drei Wochen etwa drei Mal am Tag breiigen Stuhl hatte. Zusätzlich fiel ihr der Reizhusten ein, der sie seit über zwei Monaten plagte. Auswurf sei nicht aufgetreten, richtig fiebrig habe sie sich nicht gefühlt.

 

Fotos: Dr. Peter C. Döller

oben: Eier von Schistosoma haematobium (A, Endstachel) und von Schistosoma mansoni (B, mit Seitenstachel)
unten: Das Schistosomen-Pärchen: Das Männchen bildet mit den Seitenrändern des Körpers eine Rinne und schließt das Weibchen ein. Dadurch erscheint der Körper des Männchens wie längs gespalten. (schizein: griech.= spalten; soma: griech.= Körper)

 

Vor ihrer Reise hatte sich Frau Behrensen in einem Tropeninstitut reisemedizinisch beraten lassen und die empfohlene Malariaprophylaxe regelmäßig durchgeführt. Sie habe alle erforderlichen Impfungen vor ihrer Reise erhalten, wisse aber nicht mehr, welche es waren, da ihr Impfpass während der Reise gestohlen wurde. In Afrika sei sie nicht erkrankt, nur ab und zu wären kurz anhaltende, selbst limitierende Durchfälle aufgetreten.

 

Körperliche Untersuchung unauffällig

Nach der ausführlichen Anamnese untersuchte Dr. Simons seine Patientin sorgfältig: Die erste orientierende körperliche Untersuchung ergab keinen pathologischen Befund. Der Arzt nahm seiner Patientin Blut ab, um die Routineparameter zu bestimmen. Am nächsten Morgen lag das Ergebnis der Blutuntersuchung vor: Die Laborwerte lagen sämtlich im Normbereich bis auf eine Eosinophilie von 17% im Differenzialblutbild.

 

Eosinophiler Granulozyt im Blutausstrich. Einziger pathologischer Laborbefund bei Frau Behrensen: Eosinophilie von 17%. Normal sind bis zu 6% Eosinophile im Blut.

 

Dieser Wert war bei einem Normalwert für eosinophile Zellen von 6% bzw. zwischen 40 und 440 Eosinophile pro Mikroliter Blut deutlich erhöht. Da die Eosinophilen bei vielen parasitären Erkrankungen erhöht sind und Frau Behrensen lange Zeit im Ausland war, überwies Dr. Simons seine Patientin zur Abklärung in die Ambulanz einer Tropenklinik.

 

Reizhusten, Fleckschatten und Eosinophilie

Der Tropenmediziner konnte den unauffälligen Untersuchungsbefund seines Kollegen bestätigen. In den Laboruntersuchungen zeigte sich ebenfalls eine ausgeprägte Eosinophilie, die übrigen Laborwerte waren unauffällig. Die Urin- und Stuhlproben von Frau Behrensen zeigten keine Auffälligkeiten. Auch die später erhaltenen Befunde der Bakterienkulturen schlossen eine bakterielle Infektion aus. Serologische Untersuchungen auf Antikörper gegen Filarien und Schistosomen ergaben einen negativen Befund. Dr. Dieckmann war ratlos. Sollte seine Patientin doch nur eine ganz gewöhnliche Virusgrippe haben?

Klarheit erhoffte sich der Internist durch die technischen Untersuchungen. Während das EKG einen Normalbefund zeigte, war in der Röntgenaufnahme des Thorax im posterior-anterioren Strahlengang sowie in der Seitaufnahme im linken Oberfeld ein flauer, unscharf begrenzter Fleckschatten von etwa einem Zentimeter Durchmesser zu sehen. In der daraufhin durchgeführten computertomographischen Untersuchung konnte Dr. Dieckmann zahlreiche, in beiden Lungenflügeln nachweisbare Herde von bis zu 1,1 cm Durchmesser erkennen.

 

Computertomographische Aufnahme der Patientin: zahlreiche, in beiden Lungenflügeln nachweisbare Herde von bis zu 1,1 cm Durchmesser.

Gezielte Spezialuntersuchungen

Nun begann der Tropenmediziner mit seiner Detektivarbeit: Aufgrund der Reiseanamnese und der Eosinophilie war eine Tropenkrankheit nicht unwahrscheinlich. Der Reizhusten der Patientin ließ den Arzt an die Lungenpassage einer Wurmlarve mit einem eosinophilen Infiltrat denken. Dieses so genannte Löffler-Syndrom tritt beispielsweise bei einer Infektion mit Spul- oder Hakenwürmern auf. Frau Behrensen litt als Kind unter sehr starker Neurodermitis; auch eine Allergie kann Ursache einer Eosinophilie sein. Differenzialdiagnostisch müssen Infektionen wie Histoplasmose sowie multiple Metastasen, Granulome bei rheumatischen Erkrankungen oder Sarkoidose sowie tuberkulöse Prozesse ausgeschlossen werden. In der Regel gehen diese jedoch nicht mit einer ausgeprägten Eosinophilie einher. Dr. Dieckmann konzentrierte sich daher zunächst auf die Abklärung einer Wurmerkrankung. Mit gezielten Anreicherungsverfahren konnten sowohl aus dem Sammelurin als auch aus dem Stuhl der Patientin vitale Eier von Schistosoma haematobium nachgewiesen werden.

 

 

Entwicklungszyklus: Larven dringen in die Haut ein, und legen nach der Reifung Eier ab. Diese wandern in Blase und Darm und werden ausgeschieden. Im Wasser schlüpfen die Larven und vermehren sich in Schnecken.

 

Damit war die Diagnose klar: Frau Behrensen hatte eine Blasenbilharziose, eine Infektion durch Schistosoma haematobium.

 

Juckreiz, Fieber und Granulome

Theodor Bilharz (1825–1862) beschrieb 1851 bei einem seiner Forschungsaufenthalte in Kairo erstmalig die nach ihm benannte Wurmerkrankung. Die Schistosomiasis oder Bilharziose wird im Wesentlichen von drei Schistosomenarten verursacht: Schistosoma haematobium sowie S. mansoni und S. japonicum. Diese Schistosomenarten sind geografisch unterschiedlich verbreitet. Eine Schistosomiasis kann sich klinisch auf vielfältige Weise äußern. Die Symptome sind dabei abhängig vom Entwicklungsstadium der Parasiten.

 

Geografische Verbreitung der Schistosomen (Quelle: WHO)

 

Der Mensch infiziert sich beim Baden in stehenden oder langsam fließenden Süßwasser-Gebieten. Schistosomenlarven dringen mithilfe von Enzymen und intensiven Bewegungen in die Haut ein. Unmittelbar nach dem Eindringen kann eine allergische Zerkarien-Dermatitis auftreten und einen quälenden Juckreiz verursachen. Häufig bleibt dieses Krankheitsstadium unbemerkt. Nachdem die Gabelschwanzzerkarien durch die Haut eingedrungen sind, werfen sie ihren Schwanz ab. Das so entstandene Schistosomulum wandert innerhalb einer Woche über das Blut- und Lymphsystem in die Lunge. Dort können sich die Parasiten durch eine entzündliche Reaktion (Pneumonitis) bemerkbar machen. Im Blutbild lässt sich in dieser Phase häufig eine Eosinophilie nachweisen. Über die Blutbahnen wandern die Erreger weiter in die Pfortader und ihre Äste. In der Leber reifen sie zu adulten Würmern heran und begeben sich als Pärchenegel in die venösen Kapillaren des Darmes (Schistosoma mansoni, S. japonicum) oder der Blase (S. haematobium). Dort können die Schistosomen jahrzehntelang überleben.

Etwa 30–40 Tage nach der Infektion beginnen die adulten Weibchen Eier in die tiefer gelegenen mesenterialen und vesikalen Venen abzulegen. Die Eier wandern in Darm oder Blase und werden mit dem Urin oder Stuhl ausgeschieden. Die Symptomatik einer akuten Schistosomiasis beginnt 2–16 Wochen nach der Infektion. Das so genannte Katayama-Fieber äußert sich meist als fieberhafte Erkrankung mit Abgeschlagenheit, Myalgien, Kopfschmerzen, Lymphadenopathie, Juckreiz, Übelkeit und Durchfall. Die Symptome ähneln sehr einem Fieberschub bei Malaria. Diese muss sorgfältig durch eine Blutuntersuchung ausgeschlossen werden. Die Eier bleiben nicht nur in Blase oder Darm, sondern können über den Blutkreislauf in Leber und Lunge, ZNS, Haut oder andere Organe wandern und zu einer chronischen Bilharziose mit Granulombildung führen. Nach Monaten bis Jahren kann es zu einer Hepatosplenomegalie mit der Folge einer portalen Hypertension kommen. In ungünstigen Fällen kann sich sogar ein Leberzellkarzinom entwickeln. Frau Behrensen hatte bereits eine chronische Bilharziose: Die Lungenherde waren nicht durch die Wanderung der Schistosomula verursacht, sondern durch Eigranulome, die sich um Ei-Embolien entwickelt hatten.

Gute Aussichten: Mittel der Wahl zur Behandlung einer Schistosomiasis ist Praziquantel (Biltricide®). Das Medikament wird über einen Zeitraum von drei Tagen in einer Dosierung von täglich 40 mg/kg Körpergewicht verabreicht. Die Heilungsraten liegen bei über 80%. Organschäden bei chronischer Bilharziose wie portale Hypertension, Aszites, Hepatosplenomegalie oder Ösophagusvarizen können durch die medikamentöse Behandlung jedoch nicht therapiert werden.

Glücklicherweise waren bei Frau Behrensen noch keine Organschäden aufgetreten. Die junge Frau hatte sich wahrscheinlich beim Bad im Malawisee infiziert. Der Tropenmediziner hatte die Bilharziose rechtzeitig erkannt und begann sofort mit der Behandlung. Die Therapie zeigte schnelle Erfolge: Der Anteil der Eosinophilen ging wieder auf den Normalwert zurück. Reizhusten, Müdigkeit und Blasenschmerzen ließen schnell nach. Die Rundherde in der Lunge waren jedoch erst nach zwei Jahren nicht mehr nachweisbar. Frau Behrensen war froh, dass sie so glimpflich davongekommen war. Sie schwor sich, bei ihren nächsten Reisen nie wieder in Binnenseen zu baden – auch wenn es noch so heiß ist.

 

Dr. med. Dr. rer. nat. Peter C. Döller

Dr. Dr. Peter C. Döller ist Mikrobiologe und Arzt für Infektionsepidemiologie in der Paul-Lechler-Tropenklinik in Tübingen.

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