• Kasuistik
  • |
  • Via medici
  • |
  • 22.09.2005

Arzt mit Hepatitis B

Hand aufs Herz: Gehen Sie jedes Mal zum Betriebsarzt, wenn Sie sich mit gebrauchten Nadeln gestochen haben? Als Mediziner sollten Sie gegen Hepatitis B geimpft sein. Doch manche Menschen bilden nicht genügend Antikörper und können sich trotzdem infizieren. Gerade Ärzte sollten daher ihren Titer bestimmen lassen. Denn eine chronische Hepatitis kann zu einer Leberzirrhose oder einem Karzinom führen.

Sklerenikterus

 

Müde, abgeschlagen - ein grippaler Infekt?

Christoph Schrader* schälte sich aus seinem OP-Kittel, warf die blutigen Handschuhe in den Mülleimer und ging in den OP-Aufenthaltsraum. Dort ließ er sich erschöpft in eines der durchgesessenen Sofas fallen. "Noch 12 Stunden bis Dienstende", dachte der 38-jährige Chirurg, "wie soll ich das bloß durchhalten?" Schon seit Wochen fühlte er sich müde und abgeschlagen. Als er nach dem Dienst duschte, taten ihm sämtliche Gelenke weh. "Wahrscheinlich habe ich einen grippalen Infekt", dachte Christoph Schrader, "mit etwas Paracetamol bin ich bestimmt bald wieder fit."

Nach der Frühbesprechung nahm er zwei Tabletten und stürzte sich in die Stationsarbeit. Als er gegen Abend nach Hause kam, konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten. Seine Frau riet ihm, den Hausarzt aufzusuchen, doch das hielt ihr Mann für überflüssig. "Der kann auch nichts anderes feststellen, als dass ich eine Grippe habe", argumentierte der junge Arzt, "wenn ich mich richtig ausgeschlafen habe, geht's mir wieder besser." Aber als er nach dem Wochenende noch starke Bauchschmerzen bekam, suchte er am Montag zwischen zwei OPs seinen ehemaligen Studienkollegen Dr. Ephraim Kettler in der Inneren auf.

 

Weitere Symptome

Er erzählte dem Internisten von seiner Müdigkeit und den Bauchschmerzen. Die Frage seines Freundes, ob er im außereuropäischen Ausland war, konnte Christoph Schrader verneinen. Als Dr. Kettler wissen wollte, ob er Kontakt zu Blutprodukten gehabt oder sich mit einer gebrauchten Nadel gestochen habe, musste der Chirurg nachdenken: Ein kleiner Pieks während der Operation - bei tiefen Darmnähten oder beim Verschließen der Bauchdecke - das passierte häufig. Kein Chirurg kümmerte sich darum. Der Gang zum Betriebsarzt, das Warten und das dreimalige Blutabnehmen - das war ihm immer zu nervig gewesen. Überhaupt war doch das Risiko, sich mit Hepatitis oder HIV anzustecken, ziemlich gering, oder?

 

Das Risiko, sich durch einen Stich oder Schnitt bei einem HBV-Infizierten mit Hepatitis B zu infizieren, beträgt im Mittel 15%.

Die genaue Fragerei seines ehemaligen Kommilitonen war ihm allmählich peinlich. Dr. Kettler wollte wissen, ob sich die Farbe seines Stuhles und seines Urins geändert habe. Christoph Schrader musste zugeben, dass sein Stuhlgang seit einigen Tagen in der Tat heller und der Urin fast bierbraun geworden war. Nun wurde der Internist hellhörig. Er untersuchte seinen Patienten sorgfältig. Zunächst fiel ihm die Gelbfärbung der Bindehäute auf. Christoph Schrader hatte einen deutlichen Sklerenikterus. Auch die übrige Haut des Chirurgen war gelblich gefärbt. Als der Internist den Bauch seines Kollegen palpierte, gab dieser einen Druckschmerz im gesamten Abdomen an. Unter dem rechten Rippenbogen tastete Dr. Kettler eine vergrößerte Leber. Christoph Schrader war beunruhigt, als er das besorgte Gesicht des Internisten sah. Er ließ sich bereitwillig Blut abnehmen. Wieder zurück im OP war er froh, dass er durch eine interessante Darmoperation abgelenkt wurde.

 

Die Laborwerte

Am nächsten Tag besprach Ephraim Kettler mit ihm die Laborwerte: "Deine Leberwerte sind extrem erhöht: GOT beträgt 1.474 U/l, GPT 2.219 U/l (Normalwerte bis 50 U/l). Eine Ursache für deinen Ikterus habe ich auch gefunden: Der Bilirubinwert ist mit 13,9 mg/dl deutlich erhöht." Ein Bilirubinwert bis 1,2 mg/dl gilt als normal, ab einem Wert von 2,0 mg/dl lässt sich in den Skleren ein Ikterus erkennen. Der Internist hatte wegen der Lebervergrößerung eine Virusserologie durchführen lassen. Eine Hepatitis A war aufgrund der negativen Reiseanamnese von Christoph Schrader unwahrscheinlich, dement-sprechend waren die IgM-Antikörper gegen das Hepatitis-A-Virus negativ. Das Screening auf Hepatitis B war hingegen erschreckend: HBs-Antigen und HBe-Antigen waren beide positiv, ebenso die IgM-Anti-körper gegen das Core-Protein (Anti-HBc-IgM). Die Hepatitis-C- und -D-Serologie waren glücklicherweise negativ.

"Du hast dich wahrscheinlich bei einer deiner Stichverletzungen mit Hepatitis B angesteckt", erklärte Dr. Kettler dem ehemaligen Kommilitonen. Nun erinnerte sich Christoph Schrader an die Leber-Teilresektion bei einem HBV-positiven Patienten mit Leberkarzinom vor zwei Monaten. Die OP war so spannend gewesen, dass er nach dem Nadelstich nicht vom Tisch abtreten wollte. Nach der OP hatte er den Vorfall völlig vergessen. Dr. Kettler riet Christoph Schrader dringend, Bettruhe einzuhalten und auf Alkohol und Medikamente zu verzichten, damit die Leberfunktion sich wieder normalisieren kann. "Mit einer akuten Hepatitis B ist nicht zu spaßen", erklärte er dem protestierenden Chirurgen, "es besteht die Gefahr, dass du eine chronische Hepatitis, eine Zirrhose oder sogar ein Leberkarzinom bekommst".

 

Hepatitis B - mehr als ein "Leberschnupfen"

Eine Hepatitis - das hatte dem jungen Chirurgen gerade noch gefehlt. Dabei wollte er doch in zwei Monaten seine Facharztprüfung zum Unfallchirurgen ablegen ... Die Prüfung sollte Christoph Schrader lieber verschieben. Anders als bei einer Hepatitis A, die gerne als "Leberschnupfen" bezeichnet wird und nie chronisch verläuft, ist die Heilung einer Hepatitis B nicht immer gegeben. Die Infektion wird durch das Hepatitis-B-Virus (HBV) übertragen. Das HBV besteht aus

  • einem Hüllprotein (Hepatitis-B-Surface-Antigen, HBsAg)
  • dem Kern (Hepatitis-B-Core-Antigen, HBcAg)
  • der DNA
  • und der DNA-Polymerase

Weltweit sind etwa 350 Millionen Personen chronisch mit HBV infiziert. Die Prävalenz der HBV-Infektion zeigt deutliche geografische Unterschiede: In einigen Regionen wie Südostasien, in den Ländern südlich der Sahara oder in China sind über 8% der Bevölkerung HBsAg-Träger. Reiche Länder wie Nordamerika, Westeuropa oder Australien haben niedrige Infektionsraten von unter 2%. In diesen Ländern konnte die Inzidenz neuer HBV-Infektionen durch effektive gesundheitspolitische Maßnahmen gesenkt werden: Es gibt eine wirksame Impfung, Blutspender, Blutprodukte und transplantierte Organe werden routinemäßig auf HBV kontrolliert. Schwangere erhalten einen kostenlosen HBV-Test, Drogenabhängige werden über die Gefahr einer Infektion aufgeklärt und mit sterilen Einwegspritzen versorgt.

 

Übertragung: parenteral, sexuell und konnatal

Eine HBV-Infektion wird parenteral über Blut oder Blutprodukte, durch verunreinigte Instrumente oder durch gemeinsam benutzte Injektionskanülen übertragen. Letzteres ist häufig bei Drogenabhängigen der Fall. Vor allem in den so genannten Entwicklungsländern wird das Virus in vielen Fällen von der Mutter auf das Ungeborene übertragen. Ein häufiger Übertragungsweg sind sexuelle Kontakte: Etwa die Hälfte der Hepatitis-B-Infektionen werden durch Geschlechtsverkehr übertragen.

Der klinische Verlauf einer HBV-Infektion ist abhängig vom Alter des Patienten und von Vorerkrankungen. Bei Erwachsenen äußert sich die Infektion in einem Drittel der Fälle als akute Leberentzündung: Nach einer Inkubationszeit von 30-180 Tagen kommt es zunächst zu einem etwa einwöchigen Prodromalstadium: Die Patienten fühlen sich abgeschlagen und müde, haben wenig Appetit und häufig subfebrile Temperaturen. Sie klagen über Glieder- und Oberbauchschmerzen. Einige Patienten entwickeln danach einen Ikterus mit Juckreiz und Vergrößerung von Leber und Milz. Dieses zweite Stadium kann mehrere Wochen andauern. Selten kann eine akute HBV-Infektion zu einer fulminanten Hepatitis mit Tod durch Leberversagen führen. Bei 5-10% der erkrankten Erwachsenen heilt die akute Hepatitis nicht aus, das Virus wird weiterhin im Körper repliziert. Die meisten der chronischen HBsAg-Träger sind klinisch gesund. Einige Patienten entwickeln jedoch eine Leberzirrhose oder ein primäres Leberzellkarzinom, das eine sehr schlechte Prognose hat.

 

Diagnose

Klinik und Serologie: Stellt sich ein Patient mit unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit, Abge-schlagenheit und Oberbauchschmerzen vor, gibt bereits eine gründliche Anamnese Hinweise auf eine mögliche Hepatitisinfektion. Hatte der Patient eine Bluttransfusion oder eine Transplantation? Hatte der Patient sexuellen Kontakt mit Drogenabhängigen oder ist er selbst drogenabhängig? Neben Anamnese und klinischer Untersuchung sind Laboruntersuchungen unverzichtbar, um eine HBV-Infektion nachzuweisen. Massiv erhöhte Transaminasen mit meist nur wenig erhöhten Cholestaseparametern wie alkalische Phosphatase oder g-GT geben einen ersten Hinweis auf eine Hepatitis. Der wichtigste serologische Marker der akuten und chronischen HBV-Infektion ist das HBs-Antigen.

Akute Hepatitis B

Anti-HBc und HBsAg positiv: Bei der akuten symptomatischen Hepatitis B ist das HBsAg kurz vor, während und etwas nach der klinischen Krankheitsphase. Gleichzeitig sind immer IgM-Antikörper gegen das Core-Protein (Anti-HBc-IgM) mit nachfolgender Bildung von IgG-Antikörpern (Anti-HBc-IgG) nachweisbar. In den Fällen, in denen HBsAg nicht nachweisbar ist, sowie im Zeitraum zwischen Verschwinden des HBsAg und Bildung von Anti-HBs, ist der Nachweis von Anti-HBc-IgM der einzige Beweis einer akuten Hepatitis B. Diese Phase wird als "diagnostisches Fenster" bezeichnet. Ebenfalls in der Frühphase der Erkrankung tritt häufig die sekretorische Form des Core-Proteins, das HBeAg, in das Serum über. Dies weist auf eine hohe Virusreplikation und Infektiosität des Patienten hin. Bessern sich klinische Symptome, sinken die Transaminasen GOT und GPT, HBeAg und HBsAg verschwinden und der Körper bildet Antikörper gegen die beiden Antigene (Anti-HBe, Anti-HBs). Die serologische Konstellation mit Anti-HBc-, Anti-HBe- und Anti-HBs-Antikörpern ist charakteristisch für eine abgelaufene Hepatitis B und zeigt an, dass der Patient gegen eine Neuinfektion mit HBV immun ist.

Bei chronischer Hepatitis B

antivirale Therapie: Die chronische HBV-Infektion ist definiert als eine Virusinfektion, die länger als 6 Monate besteht. Bei der chronischen HBV-Infektion persistiert HBsAg in der Regel über viele Jahre oder Jahrzehnte (a Abb. 6). Die Transaminasen können dabei im Normbereich liegen oder erhöht sein. Neben dem serologischen Nachweis viraler Antigene oder Antikörper lässt sich HBV-DNA mittels PCR* im Serum der Patienten nachweisen. Christoph Schrader ließ in den nächsten Wochen regelmäßig Transaminasen, HBsAg und Antikörper kontrollieren. Der Chirurg war erleichtert: GOT, GPT und Bilirubin normalisierten sich, das HBsAg verschwand und es bildeten sich Antikörper gegen HBsAg und HBeAg. Seine akute Hepatitis war ausgeheilt und brauchte keine weitere Behandlung. Kommt es zu einer chronischen Hepatitis B, ist jedoch eine antivirale Therapie indiziert, um das Risiko einer Leberzirrhose oder eines Leberkarzinoms zu mindern. Für eine antivirale Therapie stehen drei Präparate zur Verfügung: Interferon-alpha (IFN-a) und die Nukleosidanaloga Lamivudine und Adefovir. Therapiert werden sollte, wenn nach über sechs Monaten die Transaminasen immer noch erhöht sind und weiterhin eine Virusreplikation stattfindet. Letzteres zeigt sich durch ein positives HBeAg oder einen positiven HBV-DNA-Nachweis. IFN-a wird drei Mal wöchentlich subkutan verabreicht. Eine Therapie dauert 4-6 Monate. Damit gehen bei 30-40% der Patienten die Transaminasen auf Normalwerte zurück. Häufig kommt es im Laufe der IFN-a-Therapie zu grippeähnlichen Symptomen mit Fieber, Myalgien und Kopfschmerzen, die sich im Allgemeinen in den ersten 1-2 Wochen der Behandlung bessern.

Seltener, aber schwerwiegender sind neurotoxische Wirkungen des Interferons. Diese äußern sich durch Verwirrtheit, Krampfanfälle, Schwindel, Parästhesien oder Depressionen, die bis zum Suizid führen können. Gelegentlich kommt es zur Leuko- oder Thrombopenie. Regelmäßig sollte daher das Blutbild kontrolliert und gegebenenfalls die IFN-a-Dosis reduziert werden. Weiterhin sollten während der Therapie Transaminasen und Nierenfunktion kontrolliert werden. Alle drei Monate sollten serologische Kontrollen erfolgen. Lamivudine und Adefovir stehen als Alternative zur Behandlung der chronischen Hepatitis B zur Verfügung. Die Präparate werden eingesetzt bei Kontraindikationen gegen IFN-a, bei HBV-DNA-positiven Patienten, die eine Lebertransplantation bekommen sollen, als Rezidivprophylaxe nach einer Lebertransplantation und bei einer Koinfektion mit HBV und HIV.

Bei jeder Hepatitis

kein Alkohol, keine Medikamente: Hat ein Patient eine Leberentzündung, sollte er unbedingt auf hepatotoxische Substanzen wie Alkohol oder Medikamente verzichten, um die Leber nicht noch weiter zu schädigen. Um eine Verbreitung der Infektion zu verhindern, ist eine ausführliche Aufklärung über Infektionswege und Prophylaxe gerade bei chronischen HBV-Trägern, die sich klinisch gesund fühlen, sehr wichtig. Partner von chronischen HBs-Trägern sollten sich gegen HBV impfen lassen.

 

Prävention

Impfung und Selbstschutz: Die wichtigste Maßnahme, sich vor einer Hepatitis B zu schützen, ist neben hygienischen Maßnahmen die Prävention durch eine passive oder aktive Impfung. Die passive Impfung mit Hepatitis-B-Immun-globulinen (HBIG) ist indiziert, wenn der Patient sofort geschützt sein soll, beispielsweise nach Nadelstichverletzungen mit HBsAg-positivem Material oder als Prophylaxe Neugeborener von HBsAg-positiven Müttern. Eine aktive Impfung erhalten seit einigen Jahren routinemäßig medizinisches Personal, Dialysepatienten, Hämophile, Drogenabhängige, potenzielle Organspendeempfänger sowie seit kurzem auch alle Neugeborenen. Der Erfolg der Impfung sollte unbedingt immer mit einer Titerbestimmung kontrolliert werden, da es so genannte "non-responder" gibt, die keine Antikörper bilden. Bei diesen Patienten kann durch Nachimpfen versucht werden, die Antikörperproduktion anzukurbeln.

Christoph Schrader hatte sich impfen lassen, war jedoch ein "non-responder". Er hatte es nach der Grundimmunisierung versäumt, seinen Titer kontrollieren zu lassen. Deshalb hatte er sich bei dem Patienten infiziert. Der junge Chirurg hat noch einmal Glück im Unglück gehabt: Durch die akute HBV-Infektion hatte sein Körper Anti-HBs gebildet, das HBsAg war verschwunden. Im OP würde er jetzt trotzdem vorsichtiger sein - denn gegen HIV gibt es bislang noch keine Impfung.

 

Erschienen in Via medici 1/04

Mein Studienort

Medizinstudenten berichten aus ihren Unistädten

Werde Lokalredakteur Die Unistädte auf Google Maps
Medizin im Ausland

Erfahrungsberichte und Tipps aus über 100 Ländern

Erfahrungsbericht schreiben Auslands-Infopakete
Cookie-Einstellungen